Süddeutsche Zeitung

Camping-Typologie:Zeltplatz-Helden und Herings-Laien

Campen wäre ein Traum. Wenn nur nicht die immer gleichen Typen auf dem Platz warten würden.

Von Max Scharnigg

Die Stammgäste

Dauercamper würden sie sich ja selbst nicht nennen, auch wenn ihre Tabbert Comtesse in der Farbe Eierschale schon seit 33 Jahren auf dem gleichen Platz steht und das Vorzelt noch "Made in West-Germany" ist. Die Stammgäste hat die stete UV-Strahlung hier von April bis Oktober in einem alterslos-lederartigen Zustand konserviert, den sie gerne via Unterhemd beziehungsweise Badeanzug zur Schau stellen. Sie duzt den Besitzer des Platzes, die anderen Menschen auf dem Campingplatz siezt sie mit skeptischem Blick, schließlich tummeln sie sich irgendwie alle unerlaubt auf ihrem Grundstück.

Er hat einen Fahnenmast, der wahlweise Fußball- oder Landesflagge zeigt, je nachdem was gerade mehr Beistand braucht. Über die selbst gepflanzte Buchsbaumhecke hinweg schwärmen sie ungefragt von Skatrunden mit Ingrid und Manfred aus Osnabrück, leider beide bereits verstorben. Es gibt ständig Kuchen, Eiskonfekt und eine knisternde Elektromückenfalle. Ihr Hund ist dafür noch sehr bellfreudig und legitimiert die allmorgendliche Inspektionsrunde über den Platz, bei der er neu angekommene Nummernschilder registriert.

Die Stammgäste kann man sich in keiner anderen Kulisse vorstellen als mit einer Illustrierten auf dem Vollplastik-Tisch vor sich, die im gleichen Winkel aufgeschlagen ist wie die Eingangsplane ihres Vorzelts. Ihre Aktivitäten beschränken sich auf gelegentliches Neujustieren der Satellitenschüssel und kritisches Verfolgen der politischen Vorgänge daheim. Mit dem Land, in dem ihr Wohnwagen steht, beschäftigen sie sich hingegen kaum noch. Kennen sie alles, vertragen sie alles nicht.

Der Angeber

Seine Ankunft auf dem Campingplatz bekommt jeder mit, schon allein weil er drei herbeizitierten Helfern eine halbe Stunde lang Kommandos zubrüllt, bis er mit seinem Wohnschiff optimal steht. Zum Aussteigen sagt er in die versammelte Menge: "Jo, in das Schätzchen habe ich meine Lebensversicherung gesteckt. Besser gesagt die meiner Frau, hahaha!" Gemeint sind zehn rollende Wohnmeter aus dem Hause Niesmann+Bischoff für 178 000 Euro Listenpreis. Strenggenommen bräuchte man für die Strecke Rosenheim - Kärnten nicht so ein Luxusmobil, aber dem Angeber geht es ja um Lebensart auf Reisen und eben darum, endlich mal einen Parkplatz für sein Raumschiff zu finden.

Vom Fahrersitz des Luxusmobils kann er außerdem auf alle anderen herabschauen und dank der Vollausstattung auch jene verachten, die wirklich campen oder die Sanitäranlagen auf dem Platz benutzen müssen. Das ist natürlich nichts für ihn. Wenn er seine Zimmerflucht verlässt, dann um auf der bordeigenen Vespa stilgerecht in die Altstadt zu fahren und dort am Marktplatz Prosecco auf Eis zu ordern oder neue Camp-David-Polohemden in Türkis und Rose zu shoppen. Eigentlich hasst er campen.

Die Anfänger

Erkennbar daran, dass sie außerhalb der Aufnahmezeiten des Campingplatzes anreisen und erstmal ratlos zwei Stunden an der Rezeption klingeln. Stolz über ihren ergatterten Zeltplatz in der ersten Reihe neben der Mülltrennung präsentieren sie später den nagelneuen Campingkocher, aber an Sitzgelegenheit und Tisch haben sie diesmal leider noch nicht gedacht. Ihre Zwiebeln für die "schnelle Bolo" müssen sie deshalb mit dem Haustürschlüssel am Wegesrand schneiden. Das alles meistern sie aber mit dem Enthusiasmus der Campinganfänger, die noch nicht ahnen, dass Yogamatten zum Schlafen nur mittelgut funktionieren und die Abspannschnüre am Zelt durchaus Sinn machen.

Egal, es geht ja um Romantik, und die hat bekanntlich mit einer Flasche Wein und einem reingedrückten Korken zu tun, die man am offenen Zeltausgang genießt. Zumindest solange, bis sich Mücken und Ameisen artgerecht verhalten. Das Gewitter in der Nacht veranlasst mindestens einen der beiden zu einem spontanen Umzug in den Renault Clio, aber die Blessuren sind schnell vergessen - beim gemeinsamen Anstehen vor der Duschbaracke, die gerade wegen Reinigung geschlossen ist. Semmeln hätte es zwar am Mini-Supermarkt am Eingang des Platzes noch gegeben, aber nur gegen Reservierung am Vortag, scusi. Egal, so frei und naturverbunden haben sich die beiden schon lange nicht mehr gefühlt!

Der Hilfreiche

Er bildet das stabile Ein-Mann-Empfangskommando für jeden Neuankömmling, hilft überengagiert beim Einparken, setzt ungefragt schon mal die Bodenanker, weist in mehreren Sprachen den Weg zu Wasser und Strom und gehört nach wenigen Minuten schon quasi zur Familie, auch wenn man seinen Namen gleich wieder vergessen hat.

Er ist stets mit Werkzeugkasten und Ersatzkanister zur Stelle und betreibt in seinem eigenen Wohnwagen offenbar einen umfangreichen Ausrüstungsverleih. Anstrengend wird seine Hilfsbereitschaft, sobald es nichts mehr Handfestes zu tun gibt, dann hängt der Hilfsbereite nämlich ständig auf den Parzellen der anderen herum und möchte fachsimpeln, sich die Ausstattung des Campers vorführen lassen oder wissen, wie der Fahrradträger montiert wird.

An schlechten Tagen weist er unwirsch auf die mangelnde Brandschutzvorkehrung am Einweggrill hin oder moniert um acht Uhr morgens einfach mal den Reifendruck bei seinen Nachbarn. Am besten ist dann, man diskutiert nicht, sondern lässt ihn den Schaden beheben, das ist nämlich seine Art von Urlaubsglück.

Der Nörgler

Sein Traum wäre es, endlich offizieller ADAC-Campingplatztester mit der entsprechenden beigen Dienstweste zu sein. Bis dahin tut er einfach so, als ob er es wäre. Er vermisst mit dem Zollstock seinen Stellplatz und mit der Stoppuhr, wie lange es dauert, bis das Wasser im Waschhaus warm wird. Eine fehlende zweite Abwasserschütte notiert er ebenso in seinem Fahrtenbuch wie die nachlässige Sortierung mit deutschen Boulevardzeitungen am Kiosk des Campingplatzes. Kindern und Hunden in seiner Nähe droht er routinemäßig Strafverfolgung an, denn sein zweiter Traumberuf wäre Campingplatzwart.

Aus Hygienegründen hat er sein ganzes Essen von zu Hause mitgebracht. Obwohl ihm eigentlich alles am Campen und Verreisen missfällt, schwärmt er zu Hause von den großartigen Plätzen in Kroatien und Portugal, von denen er einigen sogar bis zu dreieinhalb Sternen verleihen würde, wenn die Besitzer nur ein bisschen mehr Sorgfalt auf die nächtliche Ausleuchtung der Wege legen würden. So kann er die Plätze leider nicht empfehlen.

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