Calvados:Äpfel in Bestform

Ein Schnaps ist daran schuld, dass die Normandie ein riesiger Obstgarten ist. Für Calvados braucht man nämlich ganz, ganz viele Äpfel. Mit Bildergalerie

Von Andreas Schätzl

Der Boden leuchtet rot. Man möchte ihn gar nicht betreten. Gut so. Denn das Rot kommt von Äpfeln. Unzähligen Äpfeln. Nicht irgendwelche, sondern Cidre-Äpfel, für Apfelwein also. "Nicht zum Verzehr geeignet." Sagen sie. Dabei schmecken sie gut. Zumindest die süßen, die wir hier vorfinden.

Apfelberge

Leuchtendes Gut: Cidre-Äpfel, die der Verarbeitung harren

(Foto: Foto: Werner Obalski)

Hier, das ist Milly. Milly liegt in der Normandie. Ziemlich im Westen der Normandie. Wo man von höher gelegenen Lokalitäten aus bereits den Mont St. Michel im Atlantik sieht. Ja, den gibt es tatsächlich nicht nur auf Postkarten und Postern.

Patron im Apfelhain

Was es auch "en réalité" gibt, ist Monsieur Martin. Unübersehbar Bonvivant der feinen französischen Art, scheut sich der bewegliche, graumelierte Herr im dunkelblauen Blazer und und den handgenähten Schuhen durchaus nicht, durch das feuchte Gras zwischen den Spalieren der niedrigen Apfelbäume zu eilen und in gut verständlichem Deutsch diese zentrale Rohmaterial des Cidre facettenreich zu illustrieren.

Wir sind in einer Apfelplantage, umgeben von Hunderten von Bäumchen. Es ist Herbst, dennoch vermag man sich gut vorzustellen, wie es zur Zeit der Apfelblüte, im Frühling, hier aussieht. Ein weißes und rotes Meer, geschaffen von rund neun Millionen Apfelbäumen hier im Nordwesten Frankreichs.

Wir sehen auch sehr viele Rinder, die in ihrer warmbraunen Flauschigkeit alle sehr zufrieden aussehen. Die in geräumigen Abzäunungen frei laufenden Schweine, nicht ganz so zahlreich vertreten, dafür akustisch umso präsenter, wirken nicht minder entspant.

"Ausdrucksstark"

Es leuchtet schnell ein, dass das hier auch das Land von Butter und Käse ist. Fette Butter und üppige Käsesorten. "Ausdrucksstark" heißt das, wie uns Monsieur Martin informiert. Und kriegt gleich elegant die Kurve zurück zu Cidre und Calvados, seiner Domäne.

Domäne ist das richtige Wort, denn Martin ist Besitzer der "Domaine du Coquerel", ein Landwesen, auf dem vor allem - natürlich - Äpfel gedeihen. Und dort verarbeitet werden zu Cidre und Calvados, dem Cidre-Brand. Der heißt dann an diesem Ort "Calvados Gilbert", und das alles geschieht in einer großflächig aufgestellten Anlage, in der sämtliche Schritte von der Apfelanlieferung bis zur Abfüllung und dem Verpacken der Flaschen in Kartons realisiert werden.

Alles unter einem Dach

Der Gutsbesitzer - oberhalb der Destille thront ein zauberhaftes Schloss, in dem Martin, wenn er nicht gerade in Paris weilt, residiert und dirigiert, stets mit Blick auf das, was ihm sein komfortables Auskommen beschert - ist jetzt ganz in seinem Element. Er zeigt uns die gewaltigen Becken, in denen die pausbäckigen Neuankömmlinge zur Waschung gelangen, führt uns in eine Halle, wo eine mächtige Maschine unter beträchtlicher Lärmentwicklung das Obst quetscht und den Saft auffängt, deutet auf steril wirkende, gewaltige Stahltanks, in denen der Saft gärt und sich allmählich zu Cidre mausert.

Marrin stößt mit dem Fuß eine eiserne Klappe im Zementboden auf, unter der wieder irgendwas beeindruckend gurgelt und zischt. Das tut dem empfindlichen Schuhwerk nicht gut, was den patron indes völlig kalt lässt. Vermutlich hat er noch anderes im Schrank. Dennoch: Ihn sich in Blaumann und Arbeitsstiefeln vorzustellen, bereitet keine Mühe: Er ist ein Zupacker, ein Macher, den der Schreibtisch nur dann an sich fesseln kann, wenn es gar nicht mehr anders geht.

Der Frei-Geist doziert nun über einen anderen Geist, eben Calvados. Der ist nichts anderes als destillierter, i. e. gebrannter Cidre / Apfelwein. Man kannte diesen Branntwein übrigens schon vor rund 450 Jahren in dieser Gegend - allerdings schmeckte das "Gebräu" seinerzeit mit Sicherheit anders als heute.

Finesse im Detail

Hier, in der Domaine du Coquerel, wird der Cidre mittels der so genannten kontinuierlichen oder Säulendestillation zu Calvados gebrannt. Diese Destillationsmethode findet in den Calvados-Gebieten mit der Appellation AOC und Domfrontais Anwendung. Sie ist weniger aufwändig als die zweifache Destillation in den traditionellen "Alambiques", den altehrwürdigen kupfernen Brennblasen, welche auschließlich in der Region "Pays d'Auge" praktiziert wird.

Manche behaupten, die Doppelbrennung bringe einen kräftigeren und zugleich komplexeren Brand hervor, der allerdings auch länger zu lagern sei als die kontinuierlich destillierten Sorten. (Ähnliches kennen wir von der Unterscheidung zwischen Single Malt Whiskies und Blended Whiskies: Letztere enthalten zum großen Teil kontinuierlich hergestellten Neutralsprit, der mit dem traditionell zwei- oder dreifach gebrannten reinen Malt Whisky vermischt, "geblendet", wird.)

Eiche muss es schon sein

Wie dem auch sei: Die Gilbert-Produkte munden trefflich, wobei allerdings gerade alkoholische Getränke dort am besten zu schmecken pflegen, wo sie das Licht der Welt erblicken. Mit steigendem Alter des Getränks werden die Fasseinflüsse farblich und vor allem geschmacklich zunehmend spürbar, aber nie so stark, als lutsche man an einem Stück Holz. Dieses kommt bei den Gilbert-Bränden übrigens von Limousin-Eichen, die Fässer sind im Durchschnitt zwischen 200 und 600 Liter groß.

Mindestens zwei Jahre lang muss der Brand da drin ruhen, gewinnt dabei Aroma, Kraft, Milde und nicht zuletzt Farbe (wenngleich diese, wie leider so oft bei Spirituosen, mit minimalen Mengen Zuckerkulör auf Einheitlichkeit getrimmt wird, nach dem Motto: Dunkel suggeriert Alter und Reife!).

Manche Sorten sind vier oder acht Jahre alt, einige haben Jahrzehnte auf dem Gerbholz. Nicht jeder Brand kann so lange gegen das weiße Eichenholz bestehen und sogar noch von seinen Einflüssen profitieren, viele werden irgendwann "holzig". Ganz wenige schließlich haben die absolute Spitzenqualität, um aus einem einzigen Fass in die Flasche zu gelangen; fast alle, auch die ganz alten und die Jahrgangsbrände (die nur aus einem einzigen Jahrgang stammen dürfen), sind Mischungen: bestehend aus dem Inhalt von vielen Fässern, die in riesigen Limousin-Eichen-Tonnen mit rund 200 Hektolitern Inhalt zur Vermählung gelangen und in der Regel auf 40 Prozent Alkoholstärke herabgesetzt werden, bevor sie in die Flaschen gelangen.

Für (fast) jede Gelegenheit etwas

Monsieur Martin weiß, welcher Calvados sich für wofür am besten eignet. Der junge, leichte, helle, gleichwohl "ausdrucksstarke" Fine zum Einstieg, durchaus auch mit Tonic Water legitim, der gut vierjährige VSOP ("Very Superior Old Pale") als Digestif und vor allem pur, der XO ("Extra Old" und von daher mindestens achtjährig) als besinnlicher Tagesausklang.

Alles zu seiner Zeit, und stets in Maßen. Dafür mit Genuss. Ausdrucksstark eben. Egal, ob Cidre, Calvados, Käse oder Butter. Vermutlich halten es sogar die Kühe hier so: Verantwortungsvoller Umgang mit dem Grünfutter macht wohl glücklich.

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