Calcio Storico in Florenz:Die letzten Gladiatoren

Ein Spiel wie eine Massenkarambolage: Beim Calcio Fiorentino sind auf dem Sandplatz Tritte, Schläge, Ringen erlaubt. Am meisten Angst haben die Kämpfer direkt vor dem Spiel - und gleich danach.

Von Kevin McElvaney

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Quelle: Kevin McElvaney

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Fußballer, die in der Champions League oder bei der EM-Qualifikation um den Ball kämpfen? Da können die Einwohner von Florenz nur milde lächeln. Ein wahrer Kampf um den Ball findet jedes Jahr direkt vor der Kirche Santa Croce statt: der Calcio Storico oder Calcio Fiorentino - schließlich gibt es diese Form des "historischen Fußballs" nur in Florenz. Wem bislang eine Städtereise zu langweilig war, kann für kommenden Juni jetzt getrost eine Reise in die Toskana buchen.

Dann findet das Spiel statt, bei dem es ernst wird. Was anderswo als Foul oder gar Körperverletzung gilt, gehört hier dazu. Die Sportler der traditionell vier Mannschaften aus vier Stadtvierteln sind sonst als Boxer, Kampfsportler, beim Rugby und ja, auch als Fußballer aktiv. In diesem Jahr trat im Finale die grüne (für das Viertel San Giovanni) gegen die weiße (für Santo Spirito) Mannschaft an. Für die Weißen ging Maurizio "Bonfi" Bonfiglio auf den Sandplatz - für ihn war es das letzte Mal.

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Vor Beginn des Finales warteten die je 27 Teilnehmer der Mannschaften vor der Santa Croce. Viele erfahrene und ehemalige Spieler kamen vorbei, um Tipps und Ratschläge zu geben, Familie und Freunde wünschten Glück.

James Zikic (links im Bild) kam als erster Nicht-Florentiner im Jahre 2013 zum Calcio Storico: Als Mixed Martial Arts-Kämpfer habe den Briten dieses Spiel und seine Geschichte fasziniert. "Ich wollte nur bei den Bianchi spielen, es ist das traditionellste und ehrlichste Team", sagte er. Zikic blieb für etwa drei Monate im Jahr in Florenz, um mit seiner Mannschaft zu trainieren.

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Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass man sein Leben lang nur für ein Team spielt - viele Spieler zeigen diese Verbundenheit mit Tattoos oder Schmuck. Die Taube mit drei Blitzen ist das Wahrzeichen des weißen Teams und des Viertels Santo Spirito, des Heiligen Geistes.

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Die Offiziellen des Calcio Storico prüfen jeden Teilnehmer kurz vor Spielbeginn und gehen sicher, dass keine verbotenen Gegenstände auf das Feld geschmuggelt werden. Symbole von Tieren oder Gegenständen auf der rechten Beckenseite ersetzen traditionell die Spielernummern. Die Arme dürfen seit einigen Jahren nur noch bis zum Handgelenk umwickelt werden: Früher hatten einige Männer Trockengips in den Mullbinden versteckt, die Hände ins Wasser getaucht und mit diesen "Gipsfäusten" Gegner schwer verletzt.

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Die rechte Augenbraue von Federico Baldi war im Halbfinale durch einen Schlag aufgeplatzt und musste genäht werden. Um die Stelle zu schützen, wurde sie verbunden und zur Täuschung auch die linke Augenbraue verdeckt. Zum Ende des Spiels riss Federico diese Binde ab. Einerseits, da sie seinen Blick störte, andererseits, um den Kontrahenten zu zeigen: Ich fürchte eure Schläge nicht. Seinen Spitznamen "Der Hund" erhielt er wegen der Art, wie er Gegner anbrüllt.

Kurz vor Beginn sahen sich die Spieler das erste Mal auf dem Feld, da ihnen die Sicht zuvor durch die Musiker verstellt war. Viele legten jetzt ihre T-Shirts ab und präsentierten tätowierte Oberkörper.

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Die Fans empfingen ihre Teams mit Sprechchören und brachten die Tribünen zum Beben. Die Mannschaften liefen beim Einmarsch in das Stadion auch an den tobenden gegnerischen Fans vorbei. Im Zentrum des Feldes stimmten historisch gekleidete Ritter und Musiker auf den Calcio Fiorentino ein, der seit dem 15. Jahrhundert gespielt wird. Es gibt weder Preisgeld noch Gage für die Spieler, die beteuern, dass sie allein aus Überzeugung und Leidenschaft teilnehmen - für die Ehre ihres Viertels.

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Doch nicht allen geht es um die Ehre ihres Stadtteils: Seit einigen Jahren dürfen bis zu zwei Spieler auch außerhalb von Florenz wohnen. So holte das grüne Team zwei polnische Martial-Arts-Kämpfer, die nur zum Finale anreisten und vorher kaum mit dem Team trainiert hatten. Ihre Aufgabe bestand primär darin, an der Frontlinie zu stehen und gegnerische Spieler umzuschlagen. Eigentlich ist nur das Duell zwischen zwei Männern erlaubt, diese Regel wird jedoch oft missachtet.

Einer der "weißen" Teilnehmer sagte hinterher, es war wie ein Schockmoment, als sich hinter ihm das hohe Gitter zu den Zuschauerrängen schloss und klar war: Aus der Arena kommt er die nächsten 50 Minuten nicht raus - außer er wird verletzt.

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Aber es war ja auch ein Ball im Spiel: Dieser soll in ein Tornetz bugsiert werden, das an den Breitseiten des Sandplatzes gespannt ist. Das Tor beginnt auf Hüfthöhe über einer orangenen Schaumstoffwand, ist etwa einen Meter hoch und zieht sich über die komplette Spielfeldbreite. Tore bedeuten einen Punkt für das jeweilige Team, ein Wurf über das Netz gibt zur Strafe einen halben Punkt für die gegnerische Mannschaft.

Nachdem ein Tor gefallen ist, kommt es zum Einwurf an der Mittelfeldlinie. Neben den Kämpfern und Ringern gibt es Sprinter (oftmals Fußballer), die versuchen, den Ball an den drei oder mehr Torwarten vorbeizumanövrieren - und bis dahin selbst auf den Beinen zu bleiben.

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Das Spielfeld vor der Santa Croce im Herzen von Florenz wird eigens für die zwei Halbfinale und das Finalspiel mit Sand aufgeschüttet und mit Tribünen und meterhohen Zäunen umgeben. Das Großereignis ist für die Florentiner ein traditionelles und ehrwürdiges Spiel. Doch in manchen Jahren endete es mit einer brutalen Massenschlägerei. Die Organisatoren modifizierten aus diesem Grund jedes Jahr die Regeln und verbieten nun beispielsweise Tritte ins Gesicht und sperren Spieler bei Verstößen auf Jahre.

Inzwischen wurde die Regel eingeführt, dass ein Zweikampf erst starten darf, sobald Augenkontakt herrscht und die Fäuste beider Kämpfer angehoben sind. Andernfalls ist nur ein Angriff als Ringer erlaubt. Doch natürlich wurde auch beim Calcio Storico gefoult.

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Vor allem zum Spielende heizte sich die Stimmung auf und Sanitäter blieben gleich auf dem Feld, um schneller eingreifen zu können. Das Finalspiel 2015 war eines der wenigen, bei dem kein Spieler das Spielfeld auf einer Trage verlassen musste.

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Die Zuschauer werden durch zwei Zäune vom Spielfeld getrennt. Dieses Jahr wurden die Fans der Grünen und der Weißen auf den beiden Haupttribünen platziert, so dass sie durch die Touristen auf den Nebentribünen voneinander getrennt waren.

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Zu Beginn des Spiels gab es im Adrenalinrausch viele Faustkämpfe, doch der tiefe Sandboden erschöpft. Schwächere Spieler versuchten vor allem gegen Ende der 50 Spielminuten (ohne Pause), ihre Gegner zu Boden zu ringen und dort bis zu einem Tor zu halten. Verbotenerweise traten manche zu, um sich freizukämpfen. Am Ende war der Sand mit zerrissenen T-Shirts und leeren Plastikflaschen übersät.

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Vor dem Spiel am Johannistag im Juni hatte sich die Mannschaft getroffen, um monatelang für das Ereignis zu trainieren und Spielzüge zu üben. Hier entschied sich, wer für sein Viertel auf den Platz darf. Für Maurizio "Bonfi" Bonfiglio war klar, dass es sein letztes Spiel sein würde: Es sind Männer bis Mitte 40 dabei, dann sind sie zu alt. Ausgerechnet im Finale war "Bonfi" nicht bis zum Ende mit von der Partie, er wurde zweimal kurz hintereinander niedergestreckt. Weil die Blutung nicht zu stoppen war, musste er vom Feld - und schlug sich aus Frust und Enttäuschung im Krankenwagen die Faust blutig.

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Das weiße Team gewann mit 4,5 zu 0,5 Punkten, die Fans stürmten auf den Platz. Nach dem Ringen waren Spieler wie Rodrigue Nana von Kopf bis Fuß mit Sand bedeckt. Nana und seine Spielkameraden erzählten später beim Feierbier auf dem Santo Spirito (der Piazza ihres Viertels), dass sie den Gang zur Dusche und die folgenden Stunden am meisten fürchteten: Der Adrenalinpegel sinkt, Prellungen schwellen an und Schürf- und Kratzwunden brennen beim Duschen höllisch.

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Doch davor wurde der Triumph ausgekostet: Spieler des weißen Teams liefen Runden im Stadion und bedankten sich bei den Zuschauern, während die frustrierten Spieler des grünen Teams längst das Stadion verlassen hatten. Im nächsten Jahr werden sie wieder kämpfen, um die Ehre ihres Viertels.

© SZ.de/kaeb/ihe/hum
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