Bukarest:Werbung ist das halbe Leben

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In Rumäniens Hauptstadt verdecken riesige Reklame-Transparente die Fassaden. Hinter den Bannern leben Menschen - und sind nicht einmal unzufrieden.

Kathrin Lauer

Stoßstange an Stoßstange stehen sie da. Alle verfluchen den Dauerstau - alle, außer dem Taxifahrer Mihai Velcovici. Er vertritt nämlich eine raffinierte Theorie über die Vorteile des Staus für die Wirksamkeit der riesigen Reklame-Transparente, die hier, am zentralen Magheru-Boulevard, rücksichtslos die Fassaden bedecken.

Ob Werbung für ein Natotreffen, politische Parteien oder Konsumgüter: Bukarest ist voller Reklame. (Foto: Foto: AP)

Diese Straßenwerbung, denkt Mihai, kann man nicht wegzappen wie die Fernsehspots. Den Autofahrern bleibt nichts anderes übrig, als diese schrillen Fetische des jungen rumänischen Kapitalismus zu ertragen. Ja, im Stau, habe man sogar nichts Besseres zu tun, als hinzustarren, auf jene riesigen Bilder von löslichem Kaffeepulver, westlichen Autos und Damendessous, die hier alles einhüllen: Fenster, Balkone, Blumentöpfe, Wäscheleinen.

Straßenwerbung, denkt Mihai weiter, ist und bleibt in Bukarest effizient. Deshalb hofft er, dass ihm jene Reklametafel erhalten bleibt, die sein Küchenfenster seit Jahren komplett verdeckt. Als kleine Entschädigung für den getrübten Blick aus dem Fenster erhält Mihai von der Werbefirma 100 Euro pro Monat - seine Einkünfte steigen damit um ein Drittel, auf insgesamt 400 Euro. Davon lebt Mihai mit seiner Frau und dem 17jährigen Sohn in einer winzigen Mansardenwohnung im elften Stock, hier, am Magheru-Boulevard.

Jahrelang klebte ein Plakat für österreichisches Bier vor dem Fenster. Seit einiger Zeit ist diese Holztafel aber ungenutzt - das macht Mihai Sorgen. "Ich verstehe das nicht", lacht er, "mein Küchenfenster ist doch die zweitbeste Werbefläche in ganz Bukarest, kilometerweit zu sehen." Lange hat Mihai mit der Werbefirma prozessieren müssen, um an sein Geld zu kommen. Dann hat er die Reklameexperten auch noch beim Stromklau erwischt: Für ihre Leuchtschrift zapften sie einfach Mihais Leitung an. "Das haben die gemacht, ohne zu fragen. Aber jetzt müssen sie bezahlen!"

Mihai ist 50 Jahre alt, zwei Meter groß und hat einen kleinen Bauch. Bei Fahrten durch die Bukarester Nacht hat er es schon mit aggressiven Drogensüchtigen zu tun gehabt. So einer weiß, wie man sich durchsetzt. Das Küchenfenster, durch das man eh nur Bretter sieht, hat er zu einer Luke umgebaut, kleiner als sein Fernseher. Dafür hat er das Wohnzimmerfenster auf das Doppelte vergrößert. "Bei klarem Wetter, kann ich von hier aus sogar die Karpaten sehen."

Der Lappen bringt Geld

Der wichtigste Reklameplatz in der Stadt ist der Obor, der größte und älteste Bauernmarkt der rumänischen Hauptstadt, den heute hässliche Plattenbauten umgeben. In einem spärlich beleuchteten Büro, am Treppeneingang jenes Hochhauses, dessen Fassade vom dritten bis zum neunten Stock ein Transparent mit einem Laptop und eines mit einem Auto bedeckt, sitzt ein dürrer Mann mit grauen Haaren.

"Bitte schreiben sie meinen Namen nicht", sagt er, "ich war früher bei der Armee - sie verstehen?" Der Mann nennt sich "Administrator" - hat also jene Funktion, die in jeder rumänischen Mietskaserne Respekt einflößt. Das liegt daran, dass er das Geld für die Wohnnebenkosten einkassiert. Davor zittern die meisten Rumänen, vor allem jetzt im Winter, wegen der Heizungsrechnung.

Richtig hart trifft es die armen Rentner, die in diesem Haus in der Mehrheit sind. Darum ist der Offizier a. D. hochzufrieden mit den Einnahmen, die jener "Lappen" bringt, wie er das Werbetransparent nennt. Jedenfalls ist es gelungen, mit dem Geld die Wasser- und Heizungsrohre zu erneuern und im Treppenhaus die zugigen Fenster zu ersetzen.

Und täglich grüßt das Wahlplakat. (Foto: Foto: AP)

Dumitru Rosca, 65 Jahre alt, muss heute etwa 100 Euro für Heizung, Wasser und Kanalisation bezahlen. Zusammen mit seiner Frau lebt er von 400 Euro Rente. Maschinenbauarbeiter war er früher, wie die meisten seiner Nachbarn, die damals, Anfang der 80er Jahre eine der begehrten Zuteilungen für Neubauwohnungen bekommen haben.

Noch vor der Wende konnten die Mieter diese Wohnungen günstig kaufen. Deshalb ist auch Rosca Besitzer einer Eigentumswohnung. Im sechsten Stock wohnt er in zwei Zimmern, direkt hinter dem Lappen mit der Auto-Reklame. Gerne zeigt er seinem Besuch, wie so eine Reklame aussieht, wenn man von innen auf sie blickt. Frau Rosca ist über den Besuch weniger begeistert: "Was wollen sie von uns? Die Reklame stört uns doch überhaupt nicht".

Dass sich das Leben hinter der Werbefläche materiell gelohnt hat, sieht man daran, dass die Wohnung frisch renoviert ist. Türen und Fenster sind neu, auch die Fliesen im Flur. Durch viele kleine Löcher in der Werbefläche leuchtet die Nacht am Obor-Platz wie durch einen Schleier herauf. Augenärzte würden von einer übrig gebliebenen Sehleistung von etwa 60 Prozent sprechen.

Der Rentner Ion Draghici aus dem zehnten Stock hatte bis vor einem Jahr auch einen Lappen vor dem Fenster. Dann aber zog ein arabischer Geschäftsmann unter ihm in den achten Stock, der freie Sicht haben wollte. Also musste der Lappen weg. "Diese Araber, das kennen wir ja, lauter Schlawiner", schimpft der namenlose Administrator.

Wie in jedem rumänischen Häuserblock hängt auch hier, im Eingangsflur, eine Tabelle mit den Beträgen, die jeder Bewohner dem Administrator geben muss. Mit roter Tinte ausgefüllt ist eine extra Rubrik, in der Schulden vermerkt sind. "Immer sind die reichen Ausländer die säumigsten Zahler", redet sich der Administrator in Rage. "Das machen sie extra, um die Einbrecher abzuschrecken. Denn die Banditen schauen sich diese Tabelle an, um herauszufinden, bei wem es etwas zu holen gibt. Natürlich nicht bei denen, die bei mir Schulden haben." Vorurteile und Ressentiments gedeihen auch hinter großformatigen Kaufanreizen prächtig.

Neben der Maustaste brennt Licht

Edel graphitfarben dunkelt der Lappen mit dem Laptop vor den Fenstern. Neben der Maustaste leuchtet jetzt ein warmes Viereck auf. Jemand ist wohl nach Hause gekommen und hat Licht angeknipst. Dann geht das nächste Licht an, gleich hinter der Entfernen-Taste. Ein paar Minuten dauert dieses Schauspiel - dann ist die Nacht da. Grelle Außenlampen schalten sich automatisch ein und strahlen das Laptop-Transparent noch bis zum nächsten Morgen an - auch die vielen Wohnungen dahinter.

© SZ vom 03.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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