Süddeutsche Zeitung

Budapest: Musikszene:Es brodelt in der Baugrube

Budapest geht in die Ohren und in die Beine: An den unterschiedlichsten Orten wird wie wild Musik gemacht.

Judith, die Sängerin der Band "Klesmeresz", steckt ihren roten Lockenkopf zwischen dem Bühnenvorhang hervor. Elegante Ehepaare und leger gekleidete Jugendliche blicken erwartungsvoll auf die kleine Bühne des jüdischen Lokals "Spinoza Ház". Dann geht es los: Mit Geige, Klarinette, Trommeln und Kontrabass spielt die siebenköpfige Band mal euphorisch und schwungvoll auf, dann wieder wird die Musik langsam und klagend. "Jahrzehntelang gab es überhaupt keine Klezmer-Bands mehr, aber jetzt spielt wieder ein gutes Dutzend in Budapest", sagt Richard, der Kontrabass-Spieler von "Klesmeresz".

Die bittersüßen Klänge haben ihren Ursprung im Osteuropa des 15. Jahrhunderts. Klezmer hießen damals jüdische Wandermusikanten. Heute erleben die schwermütig-beschwingten Melodien eine kleine Renaissance, nicht nur in Ungarn. Im jüdischen Viertel rund um die Große Synagoge hat sich in den vergangenen Jahren eine lebendige Klezmer-Szene entwickelt.

Doch viele Häuser in den schmalen, verwinkelten Straßen stehen leer. Die heruntergekommenen Fassaden der Jugendstilhäuser sind stumme Zeugen einer düsteren Vergangenheit. Wo heute Cafés und Restaurants wie das "Spinoza Ház" regelmäßig zu Konzerten laden, lag während der Nazi-Herrschaft das Ghetto Budapests.

Aus Ruinen erwächst erfrischend Neues - das gilt auch für den "Gödör Klub". Wer hinein will, muss in eine Grube hinabsteigen. Ende der 1990er Jahre sollte hier das neue Nationaltheater gebaut werden. Geblieben ist die Grube der Baustelle, "gödör" auf Ungarisch. Heute spielen hier die angesagtesten Musiker wie die Budapester Gypsy-Bands "Amala-Kanchi Dosh" und "Parno Graszt".

Entfesselter Schuhplattler

Mit Akkordeon, Gitarre und Trommeln heizen die jungen Roma-Musiker ihrem Publikum ein. Hände klatschen, Füße wippen im Takt, doch wer sich aufs Parkett wagt, sollte die passenden Tanzschritte beherrschen. Mit einfachem Herumhopsen ist es nicht getan. Die Männer tanzen eine Art entfesselten Schuhplattler. Ausgelassen wirbeln sie über die Tanzfläche. Die Frauen machen kleine Trippelschritte, lassen den Rock kreisen und ihre schwarzen, langen Haare fliegen. Der Bandsänger jauchzt ins Mikrofon, der Raum kocht. Ein Mann lässt sich alle paar Minuten dramatisch auf die Knie fallen, um dann wie ein Flummi wieder aufzuspringen. Liebespaare rotieren über das Parkett, Mütter tanzen mit ihren halbwüchsigen Kindern und junge Männer mit zurückgegelten, schwarzen Haaren und Lederjacke mustern am Rande der Tanzfläche die tanzenden Mädchen.

Raus aus dem aufgeheizten Club, ein paar Meter in die nahe Fußgängerzone - und schon tönt die nächste Melodie herüber. Ein junger Mann mit E-Gitarre und Ghettoblaster singt Popsongs, um 23.00 Uhr, mitten in der fast menschenleeren Fußgängerzone. Unharmonisch, aber hartnäckig heult er den Mond an. In fast jeder Fußgängerunterführung und vor den Metro-Eingängen sitzen Straßenmusikanten. Am "Deák Ferenc tér" singt ein dickes Mädchen mit hoher, klarer Stimme und aufgerissenen Augen ein trauriges Lied.

Im Bauch des Musikschiffs

Natürlich wird in Budapest auch auf der Donau musiziert. Neben den unzähligen Schiffrestaurants, in denen von Tisch zu Tisch gehende Musikanten den Touristen das Geld aus der Tasche fiedeln, gibt es das gänzlich unromantische "A38". Das große, graue Schiff liegt vertäut am nachtschwarzen Budaer Ufer. Früher war es mal ein ukrainisches Lastschiff, heute werden in seinem Bauch Konzerte gegeben.

Wer die Spuren des klassischen Musikerbes der Stadt sucht, wird schnell fündig. Am beliebten Platz "Liszt Ferenc tér" sitzt eine Skulptur des Komponisten Franz Liszt, um die Ecke steht die von ihm mitgegründete Musikakademie. Bei geöffneten Fenstern sind die Fingerübungen der Musikstudenten zu hören.

Nicht weit entfernt erhebt sich die Ungarische Staatsoper, ein Neorenaissance-Prachtwerk aus dem 19. Jahrhundert. Decken und Wände im Inneren sind über und über mit barocken Ornamenten bedeckt. Weniger altehrwürdig, dafür experimenteller ist das nahe Operettentheater. Hier wird das Klezmer-Musical "Menyasszonytanc", Brauttanz, aufgeführt. Das Stück thematisiert die Konflikte zwischen der rumänischen, jüdischen und ungarischen Bevölkerung und wirbt für Toleranz. In der Musik funktioniert das gut.

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Patrizia Schlosser, dpa /dd
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