Brasilien:Überleben im Sumpf

Ein Jaguar im Pantanal in Brasilien

Noch vor wenigen Jahrzehnten waren Jaguare von Zentralargentinien über Mittelamerika bis in den Süden der USA verbreitet. Mit Ausnahme von verschiedenen Schutzgebieten sind sie inzwischen fast überall selten geworden.

(Foto: Nature Picture Library/ imago images)

In Brasilien stehen die Reviere der Jaguare in Flammen. Im Pantanal sind sie halbwegs sicher - noch. Dabei ist die Raubkatze ein Touristenmagnet und somit Garant für ein Millionengeschäft.

Von Win Schumacher

Die Straße zum Herrscher des Dschungels führt in den Morast. Am frühen Morgen hat ein wütender Tropenregen den Urwald unter Wasser gesetzt, die Tropfen klatschen gegen die Windschutzscheibe, dass die Scheibenwischer kaum nachkommen. In der Regenzeit zeigt sich die Heimat des Jaguars als Welt unter Wasser.

Eine Fahrt auf der Transpantaneira, der einzigen Straße ins brasilianische Pantanal, führt in den größten Sumpf der Erde - das Reich der mächtigsten Raubkatze Amerikas.

Es ist ein Kontrastbild zu den Fotos, die seit Wochen die Welt bewegen: Der Amazonasregenwald, die grüne Lunge der Erde, steht in Flammen. Das Feuer machte auch vor dem Pantanal in den westlichen Bundesstaaten Mato Grosso und Mato Grosso do Sul nicht Halt. Der Norden rund um die Transpantaneira blieb bisher jedoch weitgehend verschont.

Die Region ist Heimat einer einzigartigen Artenvielfalt und Rückzugsort für unzählige bedrohte Tiere. Der Herrscher über dieses Labyrinth aus Wasser und Urwald ist noch immer der Jaguar.

"Kaum irgendwo sonst gibt es mehr Jaguare pro Quadratkilometer", sagt Rafael Hoogesteijn. Der aus Venezuela stammende Wissenschaftler erforscht seit mehr als zehn Jahren die Raubkatzen im Pantanal. Für Panthera, eine Organisation, die sich weltweit für den Schutz von Großkatzen engagiert, setzt er sich vor allem für Jaguare ein, die mit Viehzüchtern in Konflikt geraten. Die anhaltenden Brände erfüllen ihn mit Sorge.

Jaguare fressen die größten Nagetiere der Welt

"Der Verlust von Lebensraum durch die Feuer bedeutet einen Bestandseinbruch", sagt der Artenschützer, "vor allem im Süden des Pantanals, in der Gegend um Corumbá und an der Grenze zu Bolivien, gab es viele Feuer. Gott sei Dank brannte es hier im Norden aber kaum."

In der Trockenzeit liefern sich um die zahllosen Wassergräben entlang des 147 Kilometer langen Highways unzählige Tiere ein Schaulaufen. Mehr als 120 teils abenteuerliche Brücken führen ins Herz des Pantanals. Ameisenbären tragen ihren Nachwuchs Huckepack, Nasenbären recken ihre geringelten Schwänze in die Höhe, und Krabbenfüchse halten am Straßenrand Ausschau nach einem Frühstückshappen.

Hunderte Wasserschweine hocken neben Heerscharen von Kaimanen entlang der Ufer von Tümpeln und Teichen. Die auch Capybaras genannten Sumpfbewohner sind keine Schweine, sondern entfernte Verwandte der Meerschweinchen und somit die größten Nagetiere der Welt - Hauptbeute der Jaguare.

Noch vor wenigen Jahrzehnten waren Jaguare von Zentralargentinien über Mittelamerika bis in den Süden der USA verbreitet. Mit Ausnahme von verschiedenen Schutzgebieten sind sie inzwischen fast überall selten geworden und gebietsweise ausgerottet. Durch die fortschreitende Zerstörung der Regenwälder verliert die drittgrößte Katze der Welt immer weitere Teile ihres einstigen Lebensraums.

Ängste der Umweltschützer wurden Wirklichkeit

Laut des brasilianischen Instituts für Weltraumforschung wurden in den ersten acht Monaten dieses Jahres bereits 6404 Quadratkilometer Wald zerstört - fast doppelt so viel wie im Vorjahr. Bis Jahresende könnten 10 000 Quadratkilometer vernichtet sein. Das entspricht der vierfachen Fläche des Saarlands und, durchschnittlich berechnet, 250 Jaguar-Revieren.

Die schlimmsten Befürchtungen von Umwelt- und Klimaschützern haben sich mittlerweile bewahrheitet. Die Politik des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro, seine Förderung von Rinderzucht, Landwirtschaft und Bergbau in Amazonien und die Ankündigung der Verkleinerung von Schutzgebieten ist nicht nur eine existenzielle Bedrohung für die letzten indigenen Völker. Auch die Rückzugsorte der Jaguare schrumpfen drastisch.

Fischer nahmen Jaguaren die Angst vor Menschen

Verantwortlich für die dramatische Lage machen Naturschützer wie Hoogesteijn Bolsonaros Umweltpolitik. Er hat die Auflagen zum Waldschutz gelockert und unterstützt offen die Agrarlobby. Ein Großteil der verheerenden Feuer geht auf Brandrodungen durch Farmer zurück.

Für Hoogesteijn ist der Jaguar der Wächter der Wildnis und der Motor des Naturtourismus, der im Norden des Pantanals inzwischen ein Millionengeschäft ist. "Bisher konnten selbst die Nachrichten über die Brände den Erfolg des Jaguar-Tourismus nicht aufhalten", sagt der Artenschützer. Nirgendwo in Südamerika lässt sich die Tierwelt des Kontinents in solcher Vielfalt und Dichte beobachten wie im Norden des Pantanals. Mögen Amazonien und die Bergwälder der Anden noch artenreicher sein - die meisten ihrer Bewohner bleiben den Touristen verborgen.

Das Pantanal aber ist ein Mosaik aus Grasebenen, Feuchtgebieten und Wäldern. Dies ermöglicht Besuchern Tierbeobachtungen, wie man sie sonst nur in Afrika erleben kann. Der Schutz der Jaguare hat somit nicht nur einen enormen ökonomischen Wert, er erhält gleichzeitig die biologische Vielfalt. "Fehlt die Raubkatze als wichtiges Glied in der Nahrungskette, verändert sich das gesamte Ökosystem", sagt Hoogesteijn.

Porto Jofre am Ende der Transpantaneira hat sich in nur wenigen Jahren von einer weltabgeschiedenen Fischersiedlung zu einem beliebten Treffpunkt für Ökotouristen und Naturfotografen verwandelt. Sie kommen fast alle mit der Hoffnung, dem Jaguar zu begegnen. "Ich kannte Jaguare als Kind nur als vorbeihuschende Schatten", sagt Ailton Alves de Lara, "sie waren immer bereits verschwunden, bevor man sie richtig wahrgenommen hatte."

650 Vogelarten wurden im Pantanal gezählt

Der 38-jährige Naturführer bricht im Morgengrauen von Porto Jofre aus mit dem Motorboot auf, um die scheue Raubkatze aufzuspüren. Über dem São Lourenço-Fluss wabern Dunstschwaden. Unzählige Inselchen aus Schwimmpflanzen treiben dem Boot entgegen. Noch ist die Sonne nicht aufgegangen, doch das Leben im Pantanal ist längst erwacht.

Am Flussufer haben sich Scharen von weißen Reihern versammelt. Amazonas- und Grünfischer, farbenprächtige Verwandte des europäischen Eisvogels, spähen aus der Ufervegetation nach Beute.

Seit 1998 führt de Lara Touristen durch das Pantanal. Kaum jemand kennt die einzigartige Tier- und Pflanzenwelt besser als er. "Ein Tapir!", ruft der Naturführer plötzlich. In einiger Entfernung schwimmt das größte Landtier Südamerikas durch den Fluss. Von seinem mächtigen Körper ist allerdings nur der Kopf zu sehen. Am anderen Ufer angekommen, ist er sogleich im Unterholz verschwunden.

Die ersten Sonnenstrahlen brechen durch das Blätterdach der Urwaldbäume. Unbekannte Vogelstimmen flüstern aus dem Ufergebüsch. Ein Schlangenhalsvogel trocknet seine Flügel in der Morgensonne. "Im Pantanal wurden mehr als 650 Vogelarten gezählt", erklärt de Lara. Der Naturführer kennt die allermeisten nicht nur mit Namen, sondern weiß auch über ihr Verhalten einiges zu erzählen. Der Scherenschnabel fischt seine Beute mit geöffnetem Schnabel von der Wasseroberfläche. "Wenn der Wehrvogel ruft, ist oft ein Jaguar nicht weit", sagt de Lara. Der aber lässt noch auf seinen Auftritt warten.

In einem Altwasserarm treibt sich eine Gruppe Riesenotter spielerisch durchs Wasser. Mit einer Länge von mehr als eineinhalb Metern sind sie deutlich größer als ihre in Europa heimischen Verwandten. Neugierig beäugen sie das sich nähernde Boot, lassen sich aber von dem Menschenvolk nicht weiter ablenken. "Sie sind die wahren Herrscher am Fluss", sagt de Lara. "Ich habe schon beobachtet, wie eine Gruppe einen Jaguar in die Flucht schlug."

Inzwischen ist es Mittag geworden. De Lara zieht sich mit seinem Boot vor der unerbittlichen Hitze unter die tief hängenden Zweige eines alten Pfefferbaums zurück. "Als wir vor 20 Jahren mit den Jaguar-Touren begannen, bekamen wir nur mit viel Glück ein Exemplar zu Gesicht", erzählt de Lara. "Damals wurden die Tiere noch regelmäßig von Viehzüchtern getötet." Am Ende der Transpantaneira um Porto Jofre, wo es weniger Viehweiden gab, fingen Fischer an, die Tiere mit Fangabfällen zu füttern. Die Jaguare verloren allmählich ihr Misstrauen und lockten bald die ersten Naturfotografen.

"Sie haben gelernt, dass ihnen hier vom Menschen keine Gefahr droht", erzählt de Lara, "erst seit wenigen Jahren sehen wir in der Trockenzeit bei fast jeder Bootsfahrt welche." Die Region gilt inzwischen als der beste Ort überhaupt, um die Tiere zu beobachten.

"Ohne den Jaguar geht es nicht"

Noch ist das Pantanal über natürliche Korridore mit Amazonien und bis nach Argentinien verbunden. "Wir müssen verhindern, dass die Bestände wie bei Löwen und Tigern in isolierte Populationen zerfallen", sagt Artenschützer Hoogesteijn, "ohne den Jaguar geht es nicht." "Der Jaguar hat bereits fast die Hälfte seines historischen Verbreitungsgebiets verloren", sagt de Lara, "und noch immer büßt er weiter an Lebensraum ein."

Den noch jungen Jaguar-Tourismus sieht de Lara als Garant für den nachhaltigen Schutz der Tiere und den Erhalt der Regenwälder. Er ist eine lukrative Alternative zu Soja- und Zuckerrohrpflanzungen, extensiver Rinderzucht und der damit einhergehenden Entwaldung. Die Pantaneiros haben das inzwischen begriffen. "Zuerst waren die meisten Farmer sehr kritisch", sagt de Lara, "heute unterstützen uns alle 15 der Fazendas um Porto Jofre." Die meisten haben inzwischen eigene Gästezimmer. "Ohne den Jaguar wäre diese Entwicklung undenkbar."

Auch Hoogesteijn setzt auf die Katze als Hoffnungsträger für die gesamte Region. "Wo der Jaguar geschützt wird, geht es dem gesamten Ökosystem gut. Am Ende profitiert auch der Mensch."

Auftritt der Königin

Als die Nachmittagssonne tiefer steht, drängt Ailton zum Aufbruch. Zunächst fährt sein Motorboot den wild mäandernden Três-Irmãos-Fluss hinauf, vorbei an ockerfarbenen Sandbänken, auf denen kleine Grüppchen von Capybaras Ausschau nach dem Jaguar halten - genauso wie der Naturführer. Am Ende gibt der gellende Ruf eines Wehrvogels den entscheidenden Hinweis für den Auftritt des Königs - oder besser: der Königin.

Eine Flussbiegung weiter schleicht ein ausgewachsenes Weibchen an einem Schilfgürtel vorbei. Furcht vor den drei Booten, die ihm langsam näher kommen, zeigt das Tier nicht. "Ihr Name ist Patricia", sagt Ailton Alves de Lara. "Sie ist eine wunderbare Kaimanjägerin und bei Touristen ganz entspannt." Er hat sie an zwei markanten Rosetten auf der Schulter erkannt.

"Wenn wir ein Tier noch nicht kennen, dürfen die Touristen, die uns begleiten, ihm einen Namen geben", sagt er. Die Chancen für seine Gäste stehen gar nicht schlecht. Zwischen 4000 und 7000 Jaguare soll es im Pantanal geben - aber erst 125 Tiere haben die Guides von Porto Jofre bereits getauft.

Die Audienz bei der Königin dauert nur wenige Minuten: ein höfischer Blick aus ungezähmten Katzenaugen, protokollgemäßer Schaulauf über den Ufersand, zur Freude der Fotografen. Geschmeidig dreht sie ihnen bald wieder den Rücken zu. So schnell wie sie aufgetaucht ist, verschwindet Ihre Majestät auch schon im Schilf.

Reiseinformationen

Anreise: Zum Beispiel mit Lufthansa (www.lufthansa.de), LATAM (www.latam.com) oder mit TAP Air Portugal (www.flytap.com) über Lissabon nach São Paulo. Von dort fliegt z. B. Azul (www.voeazul.com.br) oder GOL Linhas Aréas (www.voegol.com.br) mehrmals täglich nach Cuiabá nördlich des Pantanals.

Reisearrangement: Der Brasilien-Spezialist Gateway Brazil stellt maßgeschneiderte Reisen zusammen und hat mehrere Pantanal-Angebote im Programm, z.B. Große Pantanal-Rundreise: Zehn Tage inklusive Transfers, Ausflüge und Verpflegung ab Cuiabá, DZ ab 3094 Euro p.P., www.gateway-brazil.de

Übernachtung: Araras Eco Lodge, 2-bis-4-Nächte-Paket ab 683 Euro, www.araraslodge.com.br. Pousada Rio Claro, 2-bis-4-Nächte-Paket ab 592 Euro, www.pousadarioclaro.com.br, beides inkl. Transfers, Ausflüge und VP. Pousada Porto Jofre, DZ inkl. VP ab 186 Euro, www.pousadaportojofre.com.br

Weitere Auskünfte: www.visitbrasil.com

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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