Es ist schon Jahre her, aber dieses Zittern hat er immer noch im Hintern. Das sei in einem drin, auch wenn man da nicht mehr sitzt, sagt Eberhard Kastner. Dieses sanfte Brummen des SRs 1500.
Meter um Meter hat er sich mit dem Schaufelradbagger durch den märkischen Sand gefressen, rund um die Uhr, damals in Meuro in der Lausitz. "Energiedistrikt der DDR" hieß im Sozialismus sein Revier, dort hat er insgesamt vierzig Jahre gearbeitet. An Silvester 1999 verließ der letzte Brocken Braunkohle das Förderband der Grube Meuro, und Eberhard Kastner, der damals schon in Rente war, gab ihm das letzte Geleit.
Später wurde die Förderanlage, zu der sein Bagger gehörte, gesprengt. Ein paar Frauen weinten am Grubenrand und Eberhard Kastner stellte sich das Armaturenbrett seines Baggers zuhause im Wohnzimmer ins Regal. "Einmal Kohle, immer Kohle", sagt der 77-Jährige.
Wo Eberhard Kastner an diesem Frühlingstag steht, wird einmal ein See sein. Noch ist da ein immenses Loch. Mitgebaggert von Kastner, ausgekohlt von seinen Kollegen.
Die Grube, aus der von 1965 bis 1999 etwa 350 Millionen Tonnen Kohle gefördert wurden, sieht aus, als hätte ein Riese seine Pranke in den märkischen Sand geschlagen und kilometerlang durchgekratzt. Der Krater soll nun zum See werden, zum Ilsesee. Benannt nach der Bergbaugesellschaft Ilse AG, für die 1871 die Tochter eines Berliner Grubengründers Patin stand.
Vor ein paar Wochen hat das Land Brandenburg in Großräschen den Hahn aufdrehen lassen. Aus einem Aluminiumrohr laufen nun 120 Kubikmeter Wasser pro Minute in die sandige Grube. Zentimeter um Zentimeter steigt der Pegel. In elf Jahren soll das Loch voll gelaufen sein, noch ist nicht einmal der zukünftige Seegrund bedeckt. Eine schnellere Flutung ist auch deswegen nicht möglich, weil Oder, Neiße und Elster nicht genügend Wasser für die Seen übrig haben.
Mehr als 300 Kilometer Strand
Es ist die letzte Braunkohlegrube in der Lausitz, die geflutet wird, und Großräschen soll einmal das Tor zum Seenland werden. 30 Seen mit 140 Quadratkilometern Fläche wird es in der Lausitz geben, verteilt auf Brandenburg und Sachsen. Die Hälfte ist schon fertig geflutet, alle Strände zusammen sind mit ihren 300 Kilometern fast so lang wie die Ostseeküste von Mecklenburg-Vorpommern.
Der Kohlenkeller der DDR wird zu Europas größter künstlicher Wasserlandschaft, und Brandenburgs Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns schwärmt schon von der "Märkischen Riviera". Eberhard Kastner sagt bergmännisch: "Restlochkette".
Man muss einiges an Phantasie aufbringen, um mehr als ein Loch zu sehen, wenn man in Großräschen steht. Bodo Kirchner kann sich viel vorstellen. Er will im August im alten Ledigenheim am Grubenrand ein Hotel eröffnen, vier Sterne peilt er an.
In der Villa von 1923 wohnten einst Kumpel ohne Familienanschluss; Jahre stand sie leer, bis ein Großräschener Unternehmer in die verblasste Schönheit investierte. Stolz führt Kirchner durch den Bau, in dem Bataillone von Handwerkern sägen, hämmern, schlagbohren. Parkett wird freigelegt, Stuck restauriert.
"Das mit den Seen wird eine große Sache hier", schiebt Kirchner alle Zweifel beiseite. Nur wer schnell zuschlage, könne später gut verdienen, sagt er. Kirchner nennt sein Haus mit Blick auf das 70 Meter tiefe Loch "Hotel am See". Falsch ist das nicht, nur dass der See noch eine Pfütze ist.
In Großräschen hält man sich mit solchen Details nicht auf. Seit drei Jahren führt die "Seestraße" auf die Grube zu, davor hieß sie "Ernst-Thälmann-Straße". Anleger markieren den Rand des späteren Hafens. 2003 gründete sich der "Ilse-Seesportverein". Die Wartezeit bis 2018 vertreiben sich die Mitglieder mit Floßfahrten auf dem benachbarten Sedlitzer See.
In der Grube bei Großräschen liegt Dorothea Miottkes Heimat. Die 42-Jährige betreibt das Café am See, und stammt aus einem Ort, der 1989 von der Karte verschwand: Bückgen. Es war die größte Umsiedlungsaktion der DDR, 4000 Menschen verloren damals ihre Heimat. "Wäre die Wende ein Jahr früher gekommen, gäbe es Bückgen vielleicht noch", sagt sie und seufzt.
1990 wurden 17 von 22 Gruben der DDR geschlossen. Ihren Kindern werde sie nie zeigen können, wo sie aufgewachsen ist, bedauert sie. Nach der Umsiedlung machte sie einen Bogen um Großräschen. "Das musste ich mir nicht antun", sagt Dorothea Miottke und serviert Lachs auf grünen Nudeln, in der Soße sind Spreewaldgurkenstückchen. Die Kohle führte sie zurück zur abgebaggerten Heimat: Ihr Café gehört zur IBA, die 500 Meter neben ihrem einstigen Elternhaus ihren Sitz hat.
Die IBA ist die Internationale Bauausstellung. Dabei wird nichts ausgestellt, sondern gestaltet, der Strukturwandel der Region nämlich. Inspiriert von Fürst Pückler-Muskau, der Parks im englischen Stil in der Gegend gestaltete und als schräger Visionär galt, nennt sie sich "IBA Fürst-Pückler-Land".
Insgesamt will sie 24 Projekte in der Lausitz umsetzen, und jedes hat mehr oder minder mit der Kohle zu tun, die hier seit 150 Jahren abgebaggert wird. Es gibt die IBA-Terrassen in Großräschen, wo eine halbe Förderbrücke in den Krater ragt wie ein Sprungbrett in einen leeren Pool. Es gibt schwimmende Häuser, eine Gartenstadt und bei Lichterfeld das Besucherbergwerk F60. Eine Klang- und Lichtinstallation lässt die 502 Meter lange Förderbrücke, die wie ein gefällter Eiffelturm im Pudersand liegt, sphärisch wirken. Ehemalige Kumpel führen auch nachts Touristen herum.
Eine Klang- und Lichtinstallation lässt die 502 Meter lange Förderbrücke, die wie ein gefällter Eiffelturm im Pudersand liegt, sphärisch wirken. Ehemalige Kumpel führen auch nachts Touristen herum.
Die Zeichen stehen auf Glückauf: Die Immobilienpreise steigen, ein dänischer Ferienhausanbieter sondiert attraktive Standorte, CenterParks soll auch schon nachgefragt haben.
Nicht alle Investoren bauen wirklich, manchen dauert es zu lang, bis die Lausitzer Seenplatte angerichtet ist. Dabei hat die Region das bitter nötig, mehr als 25 Prozent der Menschen hier sind arbeitslos, viele sind mit dem Wegfall Zehntausender Jobs in der Kohleindustrie abgewandert.
Großräschen zum Beispiel zählt mit 11 335 Einwohnern heute 15,4 Prozent weniger als noch vor sieben Jahren. Hält der Trend an, werden es 2020 nur noch gut 9400 Einwohner sein. Doch mit dem Seenland soll sich alles ändern, Tausende Jobs im Tourismus sollen in der Lausitz entstehen, so die Vision.
Großräschen hofft auf den Ilsesee, Bluno auf die Blunoer Südsee. Nach der Ebbe soll eine Flut von Touristen die Region retten. Manche sind heute schon da, wühlen sich mit Jeeps durch die Kohlekrater, baden in bereits gefluteten Seen, machen Touren auf 500 Kilometer langen Radwegen. Wenn sie im nächsten Jahr wiederkommen, wird sich das Lausitzer Seenland wieder ein Stückchen verändert haben. Eine Landschaft im Fluss.
Nun ist es nicht so, dass man einfach einen Schlauch in eine Grube legt und ein paar Jahre später ist da ein See. Vor der Kür kommt die Pflicht, vor der IBA die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV).
Das bundeseigene Unternehmen saniert die stillgelegten DDR-Tagebaue, sichert die Uferregionen und stellt den Grundwasserhaushalt soweit wieder her, dass er sich weitgehend selbst regulieren kann.
Für Maßnahmen wie diese haben Bund und Länder bislang 4,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Würde das alles nicht passieren oder würden die Gruben zu schnell geflutet werden, bestünde Lebensgefahr in der gesamten Seenplatte.
Immer wieder unterspült das Grundwasser bei nicht freigegebenen Restlöchern das sandige Ufer, als Folge sind schon ganze Wälder in die Grube gerauscht, es hat auch Tote gegeben. Weil bereits ein einzelner Tritt eine Sandlawine auslösen kann, sind alle Seebaustellen mit einer dichten Kette von ,,Betreten verboten''-Schildern gesäumt.
Ewige Wunden in der Landschaft
Es sind riesige Wunden in der Landschaft, um die sich die Experten kümmern müssen. Im Bergbau geht es immerhin um eine nicht geringere Dimension als: die Ewigkeit. Ein so brutaler Eingriff in die Natur wie er im Bergbau geschieht, hat ewig Folgen.
Um an die Kohle zu gelangen wurden kilometerlange, hundert Meter tiefe Furchen in die eiszeitliche Moränenlandschaft gegraben. Das Grundwasser wurde abgesenkt, damit es nicht in die Gruben läuft. Als Folge trockneten Wälder und Moore aus, für die Landwirtschaft waren die dürren Äcker nutzlos. ,,Der liebe Gott hat die Lausitz geschaffen, und der Teufel hat die Kohle drunter gelegt'', sagt Walter Karge, der letzte Direktor der Grube Meuro.
Schon zu Zeiten der DDR hat er sich Gedanken über eine zukünftige Seenlandschaft gemacht. Heute steht er der LMBV beratend zur Seite. Und er sagt, dass Eberhard Kastner der beste Baggerfahrer der Region war.
Kastner wischt das Lob seines ehemaligen Chefs weg. Zuviel Gewese um seine Person mag er nicht. Überhaupt wird ihm ein bisschen zu viel Aufhebens gemacht um die Seen und die Kunst. Häuser müssen für ihn nicht dringend in alten Kohlegruben schwimmen, und Lachs mit Nudeln muss es auch nicht unbedingt sein für den Kumpel in Rente.
Im IBA-Café wird er später Kartoffelsalat mit Bockwurst bestellen, Senf extra. ,,Wissen Sie, für uns war das Arbeit hier'', sagt Kastner und klopft sich den märkischen Sand von der Hose. Da könne man nicht plötzlich einfach so einen Schalter umlegen.