Süddeutsche Zeitung

Afrika-Tourismus:"Viele gehen jetzt hungrig ins Bett"

Duncan Engaken betreibt eine Lodge in Botswana. Doch Gäste dürfen seit Monaten nicht mehr ins Land. Er erklärt, warum das zu einer noch größeren Katastrophe führen könnte als Corona.

Interview von Hans Gasser

Duncan Engaken, 47, hat vor zehn Jahren seine erste Lodge im Herzen des Okavangodeltas, im Moremi Game Reserve, gebaut. Er ist heute einer von wenigen Einheimischen, die eine Lodge besitzen. In der Gomoti River Lodge beschäftigt er 28 Mitarbeiter und kann 38 Gäste beherbergen, bisher kamen die vor allem aus Deutschland. Doch seit mehr als einem halben Jahr kommen keine Touristen mehr, die Grenzen sind zu. Insgesamt nur 3000 Covid-19-Infektionen wurden registriert, bisher sind 16 Menschen daran gestorben. Deutschland warnt zwar sei 1. Oktober nicht mehr vor Reisen in das Land, Urlauber dürfen wegen der Einreisebeschränkungen aber noch gar nicht hinein, auch Flüge gibt es kaum.

SZ: Wie stark ist die Auswirkung des seit Monaten stillstehenden Tourismus in Ihrem Land?

Duncan Engaken: Tourismus trägt am zweitmeisten zum Bruttoinlandsprodukt Botswanas bei, nach Mineralien und Diamanten. Bei der Zahl der Beschäftigten ist der Tourismus sogar an erster Stelle. Durch den Lockdown und die immer noch geschlossenen Grenzen hat er einen völligen Kollaps erlitten, alles steht still, die Menschen haben keine Arbeit. Wir sind auf Ground Zero.

Was macht die Regierung zur Unterstützung?

Im April, Mai und Juni haben die Angestellten eine Art Lohnausfall von der Regierung bekommen, im Schnitt umgerechnet 150 Dollar. Das ist sehr wenig. Es reicht vielleicht gerade, um Brot für einen Monat zu kaufen.

Was machen die Menschen dann?

Es ist sehr hart. Viele Mitarbeiter von Lodges im Okavangodelta oder im Chobe-Nationalpark kommen von weit her, um hier zu arbeiten. Sie müssen hier deshalb eine Wohnung mieten, sie müssen Schulgebühren für private Schulen zahlen, damit die Kinder eine gute Ausbildung bekommen. Oder sie müssen den Kredit für ein kleines Haus abzahlen. All das können sie nun nicht mehr.

Können Sie Ihren Mitarbeitern helfen?

Bevor die Regierung im April die Gelder zahlte, habe ich manchen meiner 28 Mitarbeiter in der Lodge zu helfen versucht. Aber jetzt habe ich selbst keine Ersparnisse mehr. Zudem muss ich immer noch Leute bezahlen, die nach der Lodge schauen, die Zelte und Boote instandhalten, das kostet mich Geld, während ich aber keines verdiene. Solange Touristen kamen, hatten die Angestellten durch Trinkgelder oft das vier- bis fünffache ihres Lohns dazuverdienen können. Davon haben sie gelebt. Viele gehen jetzt hungrig ins Bett.

Die deutsche Regierung warnt seit 1. Oktober nicht mehr vor Reisen nach Botswana, sondern rät nur noch ab, weil es Einreisebeschränkungen gibt.

Das ist sehr gut und für Botswana eine sehr wichtige Entwicklung. Botswana wird sicher die Grenzen öffnen, ähnlich wie Namibia. Ich habe seit der Eröffnung meiner ersten Lodge vor zehn Jahren immer hauptsächlich mit deutschen Gästen und Veranstaltern wie Chamäleon Reisen gearbeitet, das lief sehr gut.

Manche sagen, dass Touristen Einheimische anstecken könnten und dies wegen der schlechten Gesundheitsversorgung zu einer Katastrophe werden könnte.

Ja, das könnte sein. Das öffentliche Gesundheitssystem ist nicht gut. Aber: Hunger ist noch schlimmer. Und mit dem Hunger und der Unterernährung kommen andere Krankheiten. Malaria ist auch ein Problem. Das ist zusammengenommen viel tödlicher als Covid-19. Das wird die größere Katastrophe. Zudem haben wir eine sehr junge Bevölkerung. 65 Prozent sind Youngsters, jünger als 40! Sie leben meist für sich in den Städten oder arbeiten in den Lodges, während die Alten draußen auf dem Land leben. Die Gefahr, diese anzustecken, wäre also nicht so groß.

Was werden Sie tun, um in Ihrer Lodge Infektionen vorzubeugen?

Wir würden uns natürlich an die allgemeinen Vorkehrungen halten: Händedesinfektion, überall Masken tragen, Abstand halten. Das ist hier übrigens viel einfacher als in Europa. Botswana ist sehr dünn besiedelt. Auf acht Quadratkilometer kommt ein Mensch. Die Gäste sind meistens ohnehin nur in der Wildnis unterwegs, um Tiere zu sehen, und sie wohnen in kleinen Hotels und Lodges.

Ihr Nachbar Namibia will Touristen fünf Tage nach der Einreise noch einmal testen, während sie schon unterwegs sind.

Das halte ich für sehr schwer durchführbar. Gerade in Botswana sind die Touristen in entlegenen Gebieten unterwegs, das wäre zu aufwendig und zu teuer. Bei der Einreise einen negativen PCR-Test vorzuweisen, halte ich da für den besseren Weg. Das Personal in den Lodges könnte man auch testen.

Tourismuskritiker sagen, von dem Geld, das für eine Reise ausgegeben wird, bleibt das wenigste in Afrika.

Nein, das stimmt nur, wenn die Lodges zu 100 Prozent Ausländern gehören. Aber in unserem Fall ist es so, dass das Geld zum Großteil hier bleibt und vielen Einheimischen zugute kommt, sie davon Häuser bauen, Essen kaufen und Schulgebühren bezahlen.

Sollte der Reisebann noch Monate anhalten, was würde das für Sie bedeuten?

Meine Lodge würde langsam zerfallen, denn sie ist ja aus Zeltbahnen und Holz gebaut. Das muss man instand halten, wozu ich Personal und Material brauche, das ich aber nicht mehr bezahlen kann.

Falls die Grenzen geöffnet werden, glauben Sie, die Touristen würden gleich wiederkommen?

Zunächst nicht in großer Zahl, aber einige würden sicher kommen. So ist es immer: Obwohl Autounfälle passieren, kaufen und fahren viele Leute Autos. Es gibt die Ängstlichen und die weniger Ängstlichen. Und selbst, wenn nur wenige kommen, wäre das besser als dieser Stillstand. Ein halber Laib Brot ist besser als gar keiner.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5049256
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.10.2020/edi
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.