Birma:Flucht nach innen

Birma, gebeutelt von Zyklonen und brutalen Generälen, ist eines der ursprünglichsten Länder Asiens.

Thilo Vonderheide

Abends, wenn die Hitze des Tages im Hof der Shwedagon Pagode von Rangun nachlässt, knien Frauen mit Jasminblütenketten auf den warmen Marmorplatten, versunken in Ehrfurcht vor der goldfunkelnden Spitze des Heiligtums, der inneren Kompassnadel der Menschen im Land.

Kahle Nonnen in rosa Roben leiern Gebete, auf einer Treppe stochern zwei von der Tagesschinderei erschöpfte Brüder wortlos in ihrem Abendessen aus dem Henkelmann.

Im letzten Licht schimmern die Wächterlöwen und Altäre, die Turmspitzen und Ziertraufen wie rotes Gold. Mit Glöckchengeläut nähert sich eine Gesellschaft: Männer in Wickelröcken und weißen Hemden und Frauen in glitzernden, bonbonfarbenen Kostümen, barfuß wie alle hier oben, tragen Fächer, die aus Geldscheinen zusammengesteckt sind.

Die Verwandtschaft geleitet den Prinzen zum Heiligtum, einen neunjährigen Jungen mit der spitzen Krone der Höflinge des alten Birma: Heute beginnt seine Zeit als Novize im Kloster, und damit sein Leben als Erwachsener.

Ein Jungmanager im dunklen Business-Anzug eilt mit einem Strauß Gladiolen zu einem der Altäre, wo bunte Leuchtdioden Buddhas Kopf eine zuckende Lichterkrone aufsetzen.

Leises Murmeln, fröhliches Lachen und ein Geruch nach Sandelholz liegen in der Luft. Dann rückt plaudernd eine Reihe gutgekleideter Damen mit schwingenden Besen an: Sie fegen das Pflaster, der abendliche Ehrendienst.

Erste Kerzen brennen, Hunderte Gläubige drehen jetzt ihre Runden um den erhaben leuchtenden Kegel.

Vielleicht muss man, um dieses Land zu verstehen, alles vergessen, was man zuletzt gelesen hat, und dem trauen, was man vor Augen hat: den Bildern in Birma. Doch dazwischen drängen sich andere, ältere Bilder: arrogante, überforderte Generäle, die nach dem Zyklon Nargis im Mai 2008 die Annahme fremder Hilfe verweigern, während im Irrawaddy-Delta 2,5 Millionen Menschen auf Plastikplanen, Reis und die Bergung der 140.000 Toten warten.

Und noch davor: Soldaten in Kampfuniform, die auf unbewaffnete Mönche einprügeln - in den Protesten der Safran-Revolte im September 2007 brach sich die Verzweiflung über 20 Jahre wirtschaftlicher Stagnation Bahn.

Leben von der Hände Arbeit

Sie kosteten einer immer noch unbekannten Zahl von Menschen das Leben; viele wurden als politische Gefangene weggesperrt. Wer heute nach Birma reist, nimmt diese Bilder mit. Wer das einstige Birma besucht, das die Militärregierung in Myanmar umbenannt hat, muss mit Widersprüchen leben.

Mandalay empfängt seine Gäste als halbwegs moderne Stadt, laut, aber ohne die hektische Aufgeregtheit asiatischer Metropolen. Breitwandplakate werben für 3-D-Zahncreme, O-2-Shampoo und Paris Fresh Soap.

Rund um den Uhrturm, mit dem die britischen Kolonialherren ihren verträumten Untertanen westliche Pünktlichkeit beibringen wollten, wachsen Geschäftshäuser hoch, lärmt und fließt der dichte Strom aus Fahrrädern, Mopeds, Autos und vollgestopften Pick-up-Bussen.

Soldaten dagegen sind erstaunlich selten zu sehen. In den Straßen dahinter erstreckt sich der Zegyo Markt. Irgendwann werden die neonhellen neuen Supermärkte ihn zum Touristenkuriosum degradieren.

Aber noch haben die Frauen auf den niedrigen Hockern die Versorgung der 500.000 Einwohner in der Hand: mit Tomaten, Bananen und zwei Dutzend Arten getrocknetem Fisch. Aber auch mit Bergen brauner Krabbenpaste, Bohnenplätzchen, getrocknetem Schlangenfisch für die Potenz und Zuckernudeln für Kinder und Vögel.

Mühsame Handarbeit ohne Arbeitsschutz

Die Augenbrauen weiß bepudert, das Gesicht eine hochkonzentrierte Maske aus Staub und Schweiß, fräsen die Arbeiter in der Steinmetzstraße mit ihren Flexmaschinen aus mächtigen Marmorblöcken grobe Formen.

Tonnenschwere Statuen stehen für den Export bereit, ganze Familien polieren mit Wasser und Schleifstein an Buddha-Zehen, Buddha-Ellbogen und Buddha-Bäuchen herum.

Kinder sind mit Hammer und Meißel zugange. Von Arbeitsschutz haben sie ebenso wenig gehört wie die jungen Frauen, die im Halbdunkel der Häuser mit feinsten Stichen Pailletten auf Marionetten nähen. Aus hinteren Hallen geben die schweren Hämmer der Goldschläger den Rhythmus vor.

In tagelanger Arbeit hauen sie 32 Gramm Gold zu zehn Quadratmetern hauchdünner Folie breit. Überhaupt ist dieses Land ein Biotop der aussterbenden Berufe: Wo sonst gibt es noch Roßhaarflechter, Flussbettwärter, Rasierklingenmaler und Lotosspinnerinnen?

Touristen bleiben aus

Birma erfüllt die tiefsitzende westliche Sehnsucht nach den letzten Landstrichen dieser Erde, die noch nicht nach den Maßgaben internationaler Konzerne geformt sind.

Das hatte sich herumgesprochen: 2006 kamen angeblich noch 400.000 ausländische Besucher ins Land, im vergangenen Jahr waren es nur noch 100.000.

In den Luxushotels an den weißen Sandstränden von Ngwe Hsaung am Indischen Ozean langweilen sich die letzten Angestellten. Dabei hat der Zyklon die wichtigsten Touristenorte des Landes überhaupt nicht berührt.

Die Resignation sitzt tief

An die Schäden in Rangun erinnern nurmehr ein paar Stümpfe umgestürzter Bäume, und selbst im Delta hat die inzwischen wohl koordinierte internationale und nationale Hilfe gegriffen: Die Toten sind begraben, neue Schulen machen auf, und Hunderte vermummte Arbeiter sind dabei, die von den Hilfslastwagen ramponierten Straßen zu reparieren.

Es geht voran - auch wenn viel zu viele Menschen immer noch in unwürdigen Verschlägen vegetieren, ein Leben lang Wucherzinsen abbezahlen werden und die seelischen Verletzungen hinter vielen erloschenen Gesichtern sich kaum erahnen lassen.

Besucherboykott trifft nicht die Generäle

Einen Besucherboykott aus politischen Gründen aber versteht ohnehin niemand von denen, die am Tropf des Tourismus hängen. Sicher: Bleiben Touristen weg, entgehen dem Staat Einnahmen. Doch die Generäle machen das große Geld ohnehin mit Jade, Teakholz, Gas und Erzen.

Den Hotelgärtnern aber, den Lackmalern, Zimmermädchen und Busboys fehlen die Dollars schmerzlich. Und es fehlen dem Land die Vertreter einer Welt außerhalb der dichten Grenzen, die internationalen Beobachter, die, wer weiß, vielleicht auch im September 2007 Schlimmeres verhindert haben.

Skepsis herrscht vor

Wer jetzt Birma besucht, trifft auf entgegenkommende Menschen, von denen sich manche vorsichtig zum Zustand des Landes äußern. Skepsis herrscht vor. Skepsis gegenüber den Generälen, die irrationale Entscheidungen träfen, Skepsis gegenüber den Aufständischen, deren Aktionen vom rohstoffhungrigen Westen gesteuert seien.

Skepsis auch gegenüber der "Lady", Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, der niemand die Fähigkeit zum Regieren zutraut und der die Generäle jetzt wieder unter einem Vorwand den Prozess machen.

Skepsis, was die für 2010 geplanten Wahlen betrifft, weil es sich dabei um politische Kosmetik handle. Und Skepsis gegen eine schnelle Demokratisierung, weil jede gewählte Regierung zu schwach sei, das Auseinanderbrechen des Staates der 135 Volksgruppen zu verhindern.

Ernte auf dem See

Eine tiefsitzende Resignation lernt der Reisende in Birma kennen. Und gleichzeitig prägen sich ihm Bilder von fremdartiger Schönheit ein.

Am Inle-See ist täglich Ernte. Mit langen Stangen schöpfen die Männer grüne, triefende Algenbündel in ihre flachen Boote. Die Fracht ist für den Inselmacher bestimmt. Der bettet sie auf einen Teppich schwimmender Wasserhyazinthen, vermischt sie mit Schlamm und Erde, unterfüttert das Ganze mit tragenden Bambusstangen und wartet: Ein paar Wochen später ist ein weiteres jener schwimmenden Beete fertig, die, festgesteckt an senkrechten Stangen, kilometerweit auf dem See dümpeln.

Im alten Herzen Birmas

Schon kann der Besitzer Bohnen, Tomaten oder Astern pflanzen. Längst haben amphibische Bauern ein besseres Auskommen als die Fischer, in deren Netze und Reusen sich nur noch selten ein Aal, eine Barbe oder ein Karpfen verirrt. Der See ist geplündert: Die Touristen in den 19 Hotels aßen einfach zu gerne Fisch.

Ein Land wie zu Zeiten der Kolonialherren

Auf dem oberen Irrawaddy begegnet dem Besucher ein Südostasien, wie es die britischen Kolonialherren nicht viel anders vorgefunden haben dürften.

Hinter den Schilfhütten der Erdnussbauern am Ufer klappern Ochsenkarren. Bambusflöße, unter denen die schweren Teakholzstämme hängen, ziehen träge über den breiten Fluss. Ein Arbeiter auf einem Lastkahn kräht fröhlich ein Lied.

Gegen Abend kommt Bagan in Sicht, das alte Herz Birmas. Vor der Shwesandaw Pagode haben sich schon die persönlichen Verkaufsberater aufgereiht: "Postcard, Sir - sunset price!"

Von der oberen Terrasse geht der Blick weit über eine ausgedörrte Ebene, auf der Ziegen und Zebus zur Wasserstelle ziehen. Daneben, dazwischen und dahinter ragen erdfarbene Glocken aus Ziegelsteinen, Kuppeln, Türmen und Spitzen hoch, deren Konturen im Abendlicht zerfließen.

Spiritualität und Größenwahn

5000 Pagoden und Tempel verteilen sich auf den 39 Quadratkilometern der alten Hauptstadt. Alle wurden sie errichtet zur höheren Ehre Buddhas und zum Ruhm ihrer Erbauer, die meisten zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert - ein Monument von Spiritualität und Größenwahn zugleich.

Man kann sich jetzt in eine der vielen abenteuerlichen Perioden der Vergangenheit Birmas wegträumen. Man kann aber auch der kleinen Moe Moe ein Paket Postkarten für umgerechnet einen Dollar abkaufen. Und sich dabei vergegenwärtigen, dass die Zehnjährige damit so viel einnimmt, wie ihr Vater, der Hotelkoch, am Tag verdient - was sicher der Familienkasse nützt, nicht aber dem Selbstbewusstsein der Eltern.

Und man darf vielleicht auch einen kurzen Gedanken daran verschwenden, dass man eben dabei ist, an der Abschaffung dessen mitzuarbeiten, was an diesem Land so fasziniert: seinen reichen Traditionen. Mit Widersprüchen, wie gesagt, muss man leben lernen in Birma.

Informationen

Reisearrangement: Ein- bis zweiwöchige Birma-Rundreisen zwischen 1500 und 3000 Euro bieten unter anderem: Auf und Davon Reisen, Gummersbach, Tel.: 02261/50 19 90, www.auf-und-davon-reisen.de; Itravel, Köln, Tel.: 0221/534 10 90, www.itravel.de; Studiosus, München, Tel.: 089/50 06 00, www.studiosus.com

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