Deutsche Veranstalter bieten nach Aufhebung der Reisewarnung wieder Urlaube in den Badeorten in Ägypten und Tunesien an. Die dortigen Hoteliers kämpfen mit Billigofferten gegen die Angst der Touristen, und auch die Veranstalter wollen ihre Investitionen mit einer schnellen Rückkehr der Urlauber sichern. Heinz Fuchs, Leiter von Tourism Watch, einer Arbeitsstelle des Evangelischen Entwicklungsdienstes, über verantwortungsvollen Tourismus - und wie man vermeiden kann, im Urlaub die Geldbeutel der Machthaber zu füllen.
sueddeutsche.de: Herr Fuchs, interessieren sich die Menschen überhaupt für das Urlaubsland, in das sie fahren?
Heinz Fuchs: Ich sehe einen engen Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Konsumverhalten und der Reisebuchung. Menschen, die Wert auf Qualität und Nachhaltigkeit legen, etwa regelmäßig Fair- und Bioprodukte kaufen, das sind auch weitgehend diejenigen, die sich für die Hintergründe ihres Reiselandes interessieren. Aber je stärker die Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und diese vermitteln, desto sensibler werden auch die Reisenden. Schließlich will niemand im Urlaub andere Menschen ausbeuten.
sueddeutsche.de: Aber genau da liegt derzeit das Risiko in Ägypten und Tunesien: Die Hoteliers und Verbände locken mit Billigangeboten zum Selbstkostenpreis. Darunter leiden aber mitunter Angestellte, deren Lohn gekürzt wird oder die entlassen werden.
Fuchs: Es ist traurig, dass in Ägypten und Tunesien viele Menschen mit dem Ausbleiben der Touristen ohne Arbeit dastehen. Dennoch birgt es Risiken, hier reflexartig den Tourismus nach der Revolution genauso wieder haben zu wollen wie vor der Revolution - der Tourismus muss weitergehen, koste es, was es wolle. Dabei wäre jetzt eine Phase der Neuorientierung angebracht, auch auf Seiten der Veranstalter. Sie müssten sich die Fragen stellen: Wer sind die Akteure im ägyptischen Tourismus? Und wie demokratisch ist dieser Tourismus?
sueddeutsche.de: Sie spielen damit auf ägyptische Militärs an, die an Hotels beteiligt waren?
Fuchs: Und wohl auch weiter sind. Militärs haben eine starke Rolle im Tourismus gespielt. Wenn sich jetzt nichts ändert, bestimmen sie in der Reisebranche in Ägypten weiterhin mit, trotz des Umsturzes. Das kann nicht im Interesse der Veranstalter und Urlauber sein, die an der Demokratisierung dieser Gesellschaft mitwirken sollten. Die schnelle Parole 'Jetzt Ägypten so billig wie nie' halte ich für schwierig.
sueddeutsche.de: Welchen Einfluss hat das Militär in Ägypten genau auf die Reisebranche?
Fuchs: Ranghohe Militärs waren Investoren oder besitzen selbst Hotelanlagen. Es erinnert an die ehemalige Sowjetunion: Nach deren Zusammenbruch hatten auch Parteikader privatwirtschaftlich die Geschäfte weitergeführt, die sie vorher als Beamte verwaltet hatten. Wenn jetzt in Ägypten und Tunesien der Tourismus einfach so weitergeht wie vor dem Umsturz, ist es eigentlich schon zu spät.
sueddeutsche.de: Was erwarten Sie nun von den Veranstaltern?
Fuchs: Sie müssten genauer hinschauen, wer ihre Geschäftspartner sind. Und notfalls Konsequenzen ziehen und sich in den Gebieten neu aufstellen. Denn man kann auch Strategien zur Förderung der Demokratie von denjenigen erwarten, die in Tunesien und Ägypten Geschäfte machen - dies ist nicht allein Sache der Bevölkerung vor Ort. Auch im Tourismus müssen Menschenrechte gestärkt werden, internationale Unternehmen dürfen da durch ihr Handeln keinen Schaden anrichten.
sueddeutsche.de: Wahrung der Menschenrechte, Demokratisierung, Stärkung der Zivilbevölkerung - das sind sehr große Ziele. Was können einzelne Reisende dazu beitragen?
Fuchs: Sich erst einmal dafür interessieren. Während des Umbruchs haben wir ja gesehen, dass es einigen Touristen völlig egal war, was sich in ihrem Urlaubsland abspielte. Wer aber im Gegensatz dazu fair und verantwortlich reisen will, sollte sich nicht scheuen, beim Reisebüro oder Veranstalter nachzufragen, wer im Hotel die Geschäfte führt. Wer Transparenz einfordert, fördert diese auch. Urlauber, die die einheimische Bevölkerung stärken wollen, wählen Familienbetriebe, die Angestellten sollten sozial abgesichert sein. Ein gutes Indiz ist auch, wenn das Hotel ausbildet.
sueddeutsche.de: Sollte man jetzt überhaupt nach Ägypten und Tunesien reisen?
Fuchs: Unter den gerade genannten Voraussetzungen, ja, dann können Reisende positive Strukturen fördern. Problematisch ist es aber, wenn ein Land als Billigziel wirbt.
sueddeutsche.de: Inwiefern? Die Kunden wissen das sicher zu schätzen.
Fuchs: Es ist sehr problematisch für die Zielgebiete, da wieder rauszukommen. Die Billigstangebote sind derzeit reine Werbemaßnahmen und kaum kostendeckend. Es wird kalkuliert, was schlimmer ist: ein leeres Haus oder wenigstens die Unterhaltskosten wieder reinzubekommen. Doch um Erträge zu erwirtschaften, müssen die Preise wieder deutlich steigen - was den Kunden schwer zu vermitteln ist. So droht die Gefahr, dass Ägypten in den nächsten Jahren ein Billigreiseland mit niedrigen Löhnen und sozialen Ungerechtigkeiten bleiben wird.
sueddeutsche.de: Und die Lage in Tunesien?
Fuchs: Ist ähnlich, noch dazu hat Tunesien mit reinem Badetourismus ein weniger differenziertes Urlaubsangebot als Ägypten, das ja stärker auch für Kulturreisende interessant ist. Marokko hat sich besser aufgestellt, es bietet etwa auch Abenteueraspekte wie Wüstentouren - und erzielt mit halb so vielen Touristen die gleichen Einnahmen wie Tunesien.
sueddeutsche.de: In wessen Taschen fließt das Geld?
Fuchs: Es ist zunächst gut, wenn viel davon im Urlaubsland bleibt. Aber kommt es auch bei der Bevölkerung an? Nicht umsonst waren die Konten der bisherigen Machthaber äußerst gut gefüllt. Zudem konzentriert sich der Tourismus in Tunesien derzeit auf wenige Orte. Es müssten über den Badetourismus hinaus weitere touristische Formen gefunden werden, um auch andere Bevölkerungsgruppen zu beteiligen und zugleich das Land als Urlaubsziel vielfältiger zu machen.
sueddeutsche.de: Als in Kairo die Unruhen immer gewalttätiger wurden, freuten sich Urlauber am Roten Meer über die leeren Strände. Kann man das den Touristen vorwerfen?
Fuchs: 'Vorwerfen' ist ethisch sehr weitreichend. Es hat eher erstaunt und auch verunsichert, wie wenig Nähe man in einem Land spüren kann. Das liegt aber auch daran, wie Urlaub von vielen wahrgenommen wird - als Traum vom Paradies, vom Schlaraffenland, das außerhalb jeder Realität liegt. Damit spielt auch die Werbung: 'Das haben wir uns verdient', uns aus dem Alltag und der rauen Wirklichkeit auf Zeit zu verabschieden. Doch diesen geschützten Raum gibt es nicht.
sueddeutsche.de: Manche Hotelanlagen vermitteln genau diesen Eindruck.
Fuchs: Vor allem in All-inclusive-Anlagen nicht nur am Roten Meer spürt man die intensive Abgeschiedenheit und fühlt sich in einer eigenen Welt. Das Resort wird als sicher wahrgenommen, während draußen die Gefahr lauert. Daher wird es am besten nur im klimatisierten Bus verlassen, eskortiert von der Touristenpolizei.
sueddeutsche.de: Diese Ghettoisierung kennt man auch von anderen Zielen, etwa in der Dominikanischen Republik ...
Fuchs: Zum Glück sind viele Menschen heute durchaus reiseerfahren. Sie sollten den Mut haben, aus diesen Anlagen herauszugehen und sich schon vor der Reise informieren, welche Ausflüge möglich sind, die auch Kontakte zu Einheimischen bieten. Manche Ausflugsfahrten entpuppen sich zwar als Verkaufsveranstaltungen, aber es gibt viele seriöse Angebote, bei denen die Gastgeber auf den ausländischen Besuch vorbereitet werden. Man sollte den Blick hinter die touristische Fassade auch im Eigeninteresse wagen: Als positivstes Urlaubserlebnis werden oft die Begegnungen mit Einheimischen beschrieben. Resorts sind austauschbar, erst Land und Leute, wie diese leben und feiern, machen den Urlaubsort unverwechselbar.
Tourism Watch ist ein Projekt des Evangelischen Entwicklungsdienstes, der sich gemeinsam mit ökumenischen Partnern für sozial verantwortlichen und umweltverträglichen Tourismus vor allem in Entwicklungsländern engagiert. Weitere Informationen unter www.tourism-watch.de