Bilder von Venedig:Schön melancholisch

Nebel wallen, einsam verklingen Schritte auf dem uralten Pflaster: Gerade im November zeigt sich Venedig von seiner stimmungsvollen, melancholischen Seite - aber nicht nur dann. Eine literarische Galerie in Schwarzweiß.

15 Bilder

Literarischer Kalender Venedig, Gabi Klein/ars vivendi

Quelle: SZ

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E.A. Poe "Das Stelldichein"

Die Nacht war unheimlich dunkel; die große Glocke auf der Piazza hatte eben die zwölfte Stunde geschlagen. Schweigend und verlassen lag der Campanile da. Die Lichter in dem alten Dogenpalaste erloschen eins nach dem anderen. Ich kam durch den großen Kanal von der Piazetta, und als meine Gondel gegenüber der Mündung des Kanals San Marco angekommen war, brach plötzlich der wilde, hysterische, lang anhaltende Schrei einer weiblichen Stimme durch die Nacht.

Maske am Brunnen des Campo di S. Maria Formosa Foto: Gabi Klein/Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi 2007

Literarischer Kalender Venedig, Gabi Klein/ars vivendi

Quelle: SZ

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Joseph Brodsky

Das Auge gewinnt in dieser Stadt eine Autonomie, die der einer Träne ähnlich ist. Der einzige Unterschied besteht darin, dass es sich nicht vom Körper trennt, sondern ihn völlig unterwirft.

Innenhof Casa Goldoni Foto: Gabi Klein/Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi 2007

Literarischer Kalender Venedig, Walter Vogel/ars vivendi

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Hippolyte Taine "Reise nach Italien"

Man lässt sich im CaféFlorian nieder, in kleinen Räumchen mit Spiegeln ... man hält die Augen halb geschlossen und lässt sich innerlich von den Bildern des Tages leiten, die sich zusammenfinden und sich verwandeln wie in einem Traum, man lässt wohl schmeckende Sorbets auf der Zunge zergehen, dann erwärmt man sie mit köstlichem Kaffee, so wie man ihn nirgendwo anders findet.

Café Florian Foto: Walter Vogel, Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi 2007

Literarischer Kalender Venedig, Gabi Klein/ars vivendi

Quelle: SZ

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Auf dem Canal grande

Auf dem Canal grande betten Tief sich ein die Abendschatten, Hundert dunkle Gondeln gleiten Als ein flüsterndes Geheimnis.

Aber zwischen zwei Palästen Glüht herein die Abendsonne, Flammend wirft sie einen grellen Breiten Streifen auf die Gondeln.

In dem purpurroten Lichte Laut Stimmen, hell Gelächter, Überredende Gebärden Und das frevle Spiel der Augen.

Eine kurze, kleine Strecke Treibt das Leben leidenschaftlich Und erlischt im Schatten drüben Als ein unverständlich Murmeln.

Conrad Friedrich Meyer

Blick auf S. Giorgio Maggiore von der Molo San Marco Foto: Gabi Klein/Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi 2007

Literarischer Kalender Venedig, Tina & Horst Herzig/ars vivendi

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Henry James

Es gibt zwei Arten von Städten - alle anderen und Venedig.

Schaufenster eines Maskengeschäftes Foto: Tina & Horst Herzig/Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi 2007

Literarischer Kalender Venedig, Heiko Lanio/ars vivendi

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Franz Liszt "Correspondance de Liszt et de la Comtesse d'Agoult"

O! Venedig, Venedig! Welch tiefer Zauber ist für mich in diesen Lagunen ...

Foto: Heiko Lanio/Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi 2007

Literarischer Kalender Venedig, Gabi Klein/ars vivendi

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Richard Wagner "Mein Leben"

In einer schlaflosen Nacht, wo es mich gegen drei Uhr des Morgens auf den Balkon meiner Wohnung hinaustrieb, hörte ich denn auch zum ersten Male den altberühmten Naturgesang der Gondolieri.

Gondola! Gondola! Foto: Gabi Klein/Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi 2007

Literarischer Kalender Venedig, Walter Vogel/ars vivendi

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Anselm Feuerbach "Briefe an seine Mutter"

Wenn ich an Venedig denke, ist es mir, wie wenn ich schöne Musik gehört, ein gutes Buch gelesen oder mit einem lieben Menschen gesprochen hätte.

Ein Gondoliere trinkt Espresso. Foto: Walter Vogel/Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi 2007

Literarischer Kalender Venedig, Raffaele Celentano/ars vivendi

Quelle: SZ

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Daphne du Maurier

Spaziergänge in Venedig haben den einen Nachteil, daß man zwanghaft immer weiter geht.

Feuerwehrbrigade Foto: Raffaele Celentano/Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi 2007

Literarischer Kalender Venedig, Raffaele Celentano, ars vivendi

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Thomas Mann "Der Tod in Venedig"

So sah er ihn denn wieder, den erstaunlichsten Landungsplatz, jene blendende Komposition phantastischen Bauwerks, welche die Republik den ehrfürchtigen Blicken nahender Seefahrer entgegenstellte: die leichte Herrlichkeit des Palastes und die Seufzerbrücke, die Säulen mit Löw' und Heiligem am Ufer, die prunkend vortretende Flanke des Märchentempels, den Durchblick auf Torweg und Riesenuhr, und anschauend bedachte er, daß zu Lande, auf dem Bahnhof in Venedig anlangen, ein Palast durch eine Hintertür betreten heiße, und daß man nicht anders, als wie nur er, als zu Schiffe, als über das hohe Meer die unwahrscheinlichste der Städte erreichen sollte.

Blick auf den Leone di San Marco Foto: Raffaele Celentano, Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi 2007

Literarischer Kalender Venedig, Heiko Lanio

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Franz Grillparzer

Wer nicht sein Herz stärker klopfen fühlt, wenn er auf dem Markusplatz steht, der lasse sich begraben, denn er ist tot, unwiederbringlich tot.

Blick auf die Piazza San Marco Foto: Heiko Lanio/Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi

Literarischer Kalender Venedig, Gabi Klein/ars vivendi

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Charles Gounod "Mémoires d'un artiste"

Diese schlafenden Wasser, deren düstere Stille den Fuß der alten Paläste benetzt, dieser schaurige Schatten, aus dessen Grunde man die Schmerzensschreie irgendeines berühmten Opfers zu hören glaubt, machen aus Venedig eine Art Hauptstadt des Schreckens: Sie hat den Eindruck des Unheilvollen bewahrt. Und doch, bei Sonnenschein, der Zauber des Canal Grande! Welche Spiegelungen in dieser Lagune, wo das Wasser sich in Licht verwandelt!

Il Ferro, Symbol der Sestieri Venedigs Foto: Gabi Klein/Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi 2007

Literarischer Kalender Venedig, Gabi Klein/ars vivendi

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Giacomo Casanova "Geschichte meines Lebens"

Wir vergnügen uns damit, an der Wasserseite der Häuser die Gondeln loszubinden, die dann leer mit der Strömung des Wassers von einem Ufer des Canal Grande zum anderen getrieben wurden, und lachten im voraus über die Verwünschungen, mit denen die Gondolieri uns am Morgen bedenken würden, wenn sie ihre Gondeln nicht dort fanden, wo sie diese festgemacht hatten.

Gondeln spiegeln sich im Wasser, Bacino Oresolo Foto: Gabi Klein/Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi 2007

Literarischer Kalender Venedig, Gabi Klein/ars vivendi

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Thomas Mann "Der Tod in Venedig"

Eine widerliche Schwüle lag in den Gassen; die Luft war so dick, daß die Gerüche, die aus Wohnungen, Läden, Garküchen quollen, Öldunst, Wolken von Parfum und viele andere in Schwaden standen, ohne sich zu zerstreuen. Zigarettenrauch hing an seinem Orte und entwich nur langsam. Das Menschengeschiebe in der Enge belästigte den Spaziergänger, statt ihn zu unterhalten. Je länger er ging, desto quälender bemächtigte sich seiner der abscheuliche Zustand, den die Seeluft zusammen mit dem Scirocco hervorbringen kann, und der zugleich Erregung und Erschlaffung ist. Peinlicher Schweiß brach ihm aus. Die Augen versagten den Dienst, die Brust war beklommen, er fieberte, das Blut pochte im Kopf. Er floh aus den drangvollen Geschäftsgassen über Brücken in die Gänge der Armen. Dort behelligten ihn Bettler, und die üblen Ausdünstungen der Kanäle verleideten das Atmen. Auf stillem Platz, einer jener vergessen und verschwunden anmutenden Örtlichkeiten, die sich im Inneren Venedigs finden, am Rande eines Brunnens rastend, trocknete er die Stirn und sah ein, daß er reisen müsse.

Säulen der Procuratie Nuove, Piazza San Marco Foto: Gabi Klein/Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi 2007

Literarischer Kalender Venedig, Walter Vogel/ars vivendi

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Mein Venedig

Venedig meine Stadt

Ich fühle sie von Welle zu Welle von Brücke zu Brücke

Ich wohne in jedem Palast am großen Kanal

Meine Glocken läuten Gedichte

Mein Venedig versinkt nicht

Rose Ausländer

Canal Grande mit Blick auf Palazzi Cavalli Franchetti und Santa Maria della Salute Foto: Walter Vogel/Literarischer Kalender Venedig, ars vivendi 2007

Alle Fotos und Texte: Literarischer Kalender Venedig, 2007, ars vivendi verlag, Cadolzburg. ISBN 978-3-89716-858-9

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