Bildband:Meisterwerke zum Gruseln und Staunen

Strudel am Nordpol, Monster in der See: Alte Landkarten dokumentieren das abenteuerliche Bild, das man einst von der Erde hatte.

Stefan Fischer

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Atlas der legendären Länder

Quelle: National Geographic Deutschland/Photolibrary

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Die Lust am Grusel spielte noch bis in die frühe Neuzeit hinein eine beachtliche Rolle bei der Anfertigung von Karten - nur zu gerne haben Kartografen Schiffe über den Weltenrand kippen lassen oder die Ozeane mit allerhand Ungeheuern besiedelt. Selbst wenn ihr wesentliches Ziel war, Ordnung und Übersicht zu schaffen auf der Erde - trotz oft sehr geringer Faktenkenntnisse. Ein Mangel an Wissen, kombiniert mit großer Fabulierlust, ideologischer Verbohrtheit und mitunter auch absichtlichen Falschinformationen brachte so über die Jahrhunderte eine ganze Reihe aus heutiger Sicht recht abenteuerlicher Karten hervor. Judyth A. McLeod hat sie in einem "Atlas der legendären Länder" zusammengefasst, der dadurch eine Geschichte der Welt erzählt, wie sie niemals existiert hat.

Seltsame Ungeheuer und Meereskreaturen in den Gewässern westlich von Skandinavien, "Carta Marina" von Olaus Magnus, 1572.

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Quelle: SZ

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So lange die Erde noch kaum erforscht war, man sich noch nicht einmal schlüssig war über Kugel- oder Scheibenform, war viel Platz auf den Karten für imaginäre Länder. Es gibt Karten, auf denen die Elysischen Felder verzeichnet sind, wo angeblich jene Heroen lebten, denen die griechischen Götter die Unsterblichkeit geschenkt hatten. Der Garten Eden hat seinen festen Platz in der christlichen Kartografie des Mittelalters. Viele dieser Karten sind nach rein ideologischen Gesichtspunkten aufgebaut: Sie zeigen die Welt wahlweise als Leib Christi oder - ein besonders bizarres Beispiel aus dem 6. Jahrhundert von dem Kaufmann und Mönch Kosmas Indikopleustes - in der Form eines Tabernakels.

Sofern doch einmal geografische Gegebenheiten Berücksichtigung fanden, ist das Paradies stets in einer Weltgegend angesiedelt worden, die eine Widerlegung seiner Existenz schier unmöglich machte; vorzugsweise hoch im Norden, jenseits des für sich genommen schon sagenumwitterten Skythenreiches. Stets wichtiger als eine geografische war die sakrale Orientierung: Jerusalem nimmt deshalb oft den Mittelpunkt der Welt ein. Segeln ließ sich nach diesen Karten nicht; außer durch die eigene Glaubensauffassung.

Das Detail aus Fra Mauros Mappa Mundi (um 1433) zeigt Katai. Diese Karte ist fortschrittlicher als andere Karten der Epoche: Sie beruht auf dem Wissen des Ptolemäus, Portolan-Seekarten sowie arabischen Karten und den Reiseberichten berühmter Entdecker wie Marco Polo.

Atlas der legendären Länder

Quelle: National Geographic Deutschland/Photolibrary

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So war etwa Christoph Kolumbus der Ansicht, dass er südlich des Äquators, südlich noch von den ersten Entdeckungen der sogenannten Neuen Welt, den irdischen Ort des Gartens Eden würden ausfindig machen können. Er war eben in beinahe jeder Hinsicht ein Mann des Irrtums.

Neben derlei jenseitigen Orten, denen man dennoch eine diesseitige Existenz zubilligen wollte, erfanden die Menschen allerhand Inseln, die noch heute ihrer Entdeckung harren - und die ungeachtet dessen fleißig auf Karten verzeichnet worden sind: Atlantis, Thule, Frisland, Antillia.

Bis ins 18. Jahrhundert taucht auf Karten im Nordatlantik Frisland auf - neben Island, Grönland und den Faröerinseln; Frisland kann also nicht identisch sein mit jenen tatsächlich existierenden Eilanden. Im südlichen Atlantik wurde lange Jahrhunderte Antillia vermutet - Martin Behaim hat die fiktive Insel zum Beispiel auf seinem Globus dargestellt. Weil sie natürlich nie entdeckt wurde, obgleich man den Ozean zunehmend genauer kannte, wurde sie immer weiter westlich eingezeichnet, stets knapp hinter der Grenze zur jeweiligen Terra incognita.

"Monster aus dem Land der Merkiten" aus dem "Livre des Merveilles du Monde", 1410-1412

Atlas der legendären Länder

Quelle: Karte von Gerhard Mercator. National Geographic Deutschland

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Antillia hat gewissermaßen eine Kontinentaldrift in Raketengeschwindigkeit bewältigt; als sich im Atlantik schließlich gar kein denkbarer Ort mehr für sie fand, glaubte man eine Weile noch, sie sei Teil des mexikanischen Festlandes. Diese Beobachtung kann man immer wieder machen, wenn man sich die Geschichte der Kartografie besieht: Von einmal lieb gewonnenen Erkenntnissen wurde nur schwer wieder abgerückt.

Selbst als endgültig gesichert war, dass die Erde eine Kugel ist, hielt sich die Idee, man könne von ihrer Oberfläche stürzen - wenn nicht an den Rändern einer Scheibe, dann eben am Nordpol, wo das Wasser der Weltmeere in einem gigantischen Strudel ins Erdinnere hinabgesogen würde. Gerhard Mercator, der 1578 immerhin die genaueste Karte jener Zeit erstellt hatte, fertigte 20 Jahre später eine Polarkarte an, die von dieser Idee geprägt ist (überdies hat Mercator auch noch einen Magnetberg an den Nordpol gesetzt).

Ein Kapitel des Buches trägt den Titel "Wahr und dennoch falsch". Darin sind Karten versammelt aus der Zeit der großen Entdeckungsfahrten, die in vielen Details bereits sehr genau sind, mit manch einer zwangsläufigen Folgerung aber irren.

Atlas der legendären Länder

Quelle: National Geographic Deutschland/Corbis

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Weil man die nördliche Pazifikküste Amerikas lange nicht genauer kannte, glaubten Seefahrer längere Zeit, California - also Baja California sowie Teile des heutigen US-amerikanischen Südwestens - sei eine Insel. John Speeds hat sie 1627 entsprechend kartiert.

An McLeods "Atlas der legendären Länder" zeigt sich, dass die Welt lange Zeit weniger entdeckt als vielmehr erfunden worden ist. Es geht darin auch um die Kunst der Kartografie. Der Schauwert des Bandes ist entsprechend groß, man kann in den Zeichnungen verlorengehen wie im Dickicht eines Urwaldes. Vor allem aber erzählt das Buch eine Mentalitätsgeschichte - die von der Erschaffung der Welt durch den Menschen. Selten wurde dabei so dogmatisch vorgegangen wie im mittelalterlichen Europa, statt dessen bediente man sich vielfach der Logik: Der Gedanke, dass die große Landmasse Eurasiens einen ebenfalls weitgestreckten Südkontinent zur Folge haben müsste, damit die Erde im Gleichgewicht bliebe, ist angesichts des Weltwissens im 16. Jahrhundert nicht unbedingt abwegig. Wiederum lässt sich auch mancher Irrtum logisch erklären - der Glaube an die Existenz einer achten Kanarischen Insel zum Beispiel mit Luftspiegelungen.

Die legendäre Stadt Atlantis vor ihrer Zerstörung.

JUDYTH A. MCLEOD: Atlas der legendären Länder. Von Atlantis bis zum Garten Eden. Aus dem Englischen von Wilma Kohler und Julia Paiva Nuns. National Geographic Deutschland, Hamburg 2010. 320 Seiten mit 80 Abbildungen, 39,95 Euro.

© SZ vom 25.11.2010/kaeb
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