Bildband "Dimore Veneziane":Der Stolz der Paläste

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Blick in das Innenleben der Stadt, in seine Paläste: hier der Palazzo Pisani Moretta, stilisiert in Rot. (Foto: Werner Pawlok)

Werner Pawlok hat während der Pandemie Venedig fotografiert - nicht aus der Perspektive der Touristen, sondern der Bewohner. Sein Bildband setzt ein Signal gegen die Ausbeutung der Stadt.

Rezension von Stefan Fischer

Dieses dickleibige Buch wirkt verstörend. Manche der Irritationen sind beabsichtigt von dem Fotografen Werner Pawlok sowie den Autorinnen und Autoren der Gastbeiträge zu diesem Venedig-Bildband. Anderes wirkt unfreiwillig verrutscht. Gerade deshalb ist "Dimore Veneziane" spannend. Weil der Band sich, auch wenn man das auf den ersten Blick nicht immer gleich erkennt, ernsthaft mit den Widersprüchen in dieser Stadt auseinandersetzt - und sie natürlich nicht auflösen kann.

Der Titel lässt sich übersetzen mit "Venezianische Heimat". Es geht Pawlok und seinen Mitstreitern darum, die Verschnaufpause, die die Corona-Pandemie der Stadt verschafft hat hinsichtlich des Overtourism, zu nutzen, um ein anderes Bild von ihr zu erschaffen. Weg von der Reduzierung auf touristische Hotspots und das Trimmen der Stadt auf ihre Instagramibilität. Jane Da Mosto, die die Organisation "We are here Venice" gegründet hat, deren Ziel es ist, die Stadt und die Lagune zu schützen, bringt es auf folgenden Punkt: "Venedig blüht und gedeiht durch das Interesse und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft in mehr als einer Hinsicht, aber es bedarf auch der kontinuierlichen Existenz einer starken, resilienten Einwohnerschaft."

Die Innenräume der Paläste erzählen eine eigene Geschichte der Stadt

Fünf Reisen nach Venedig hat Pawlok während der Pandemie unternommen, auf denen er vor allem fotografiert hat, was er "das Innenleben" dieser Stadt nennt: das Innere der Paläste, überwiegend entlang des Canal Grande, auch das Innere von Kirchen und Museen. Das also, was Touristen, die nur ein paar Stunden in der Stadt sind, nicht zu sehen bekommen (können). Das Venedig der Bewohner, einheimischer wie zugezogener.

Eine wahre Farbexplosion - so zeigt der Fotograf Werner Pawlok Venedig. (Foto: Werner Pawlok)

Pawloks Fotografien, vor allem die der Innenräume, sind jedoch weitgehend menschenleer. Er begründet dies damit, dass er so besser die Verschränkung von Geschichte und Gegenwart sichtbar machen könne, da es nicht um einzelne, aktuelle Bewohner gehe, sondern um Generationen von Menschen, die diese Stadt geschaffen und ihre Spuren hinterlassen haben. Vollständig überzeugend ist diese Argumentation nicht, wenn die starke, resiliente Einwohnerschaft Venedigs, deren Existenz nicht nur laut Jana Da Mosto unabdingbar ist für die Fortexistenz Venedigs, nur mittelbar auftaucht über die Art, wie sie ihre Wohnungen einrichtet.

Venedig hat viel Potenzial als Stadt der Zukunft - autofrei ist sie seit jeher

Auf den ersten Blick verstärkt Werner Pawlok mit seinen Fotografien eher einen musealen Eindruck. Gerade den gelte es jedoch unbedingt zu vermeiden, argumentiert der Architekt und Schriftsteller Sergio Pascolo. Er sieht die Gefahr, sollte Venedig nach dem Ende der Pandemie in die "touristische Monokultur" zurückfallen, dass die Stadt gar keine Stadt mehr sein werde, sondern nur noch "ein einziges großes Freilichtmuseum und Mega-Ferienresort". Dabei könne Venedig eine der attraktivsten Städte der Zukunft werden - autofrei ist sie seit jeher.

Blick auf den Palazzo Barbarigo am Canal Grande, im Hintergrund die Kirche Santa Maria della Salute. (Foto: Werner Pawlok)

Betrachtet man Pawloks Fotografien als Menetekel, erhalten sie tatsächlich eine große Kraft: Die Abwesenheit der Bewohner lässt sich dann als eine bedrohliche Aussicht interpretieren. Dazu trägt die Ästhetik der Fotografien bei, die in einer extremen Betonung der Rot- und Gelbtöne all diese Interieurs, aber auch die Freiluftaufnahmen ins Unnatürliche, Märchenhafte rückt. Laut Sergio Pascolo hafte Venedig das Stigma einer aus der Zeit gefallenen Stadt an. Auch das ist aus Pawloks Aufnahmen herauszulesen.

Indem Werner Pawlok die Realität derart stilisiert, wird etliches von dem, woran Venedig krankt, sichtbar. Nicht, indem er die hässlichen Seiten und die fatalen Auswüchse dokumentiert. Sondern indem er die Schönheit der Stadt letztlich löst aus den ohnehin brüchig gewordenen sozialen Zusammenhängen der Bewohner. Und damit in schriller Deutlichkeit zeigt, was verlorenzugehen droht.

Werner Pawlok : Dimore Veneziane. Die Kunst, Venedig zu leben. Aus dem Italienischen von Barbara Neeb und Katharina Schmidt. Frederking & Thaler Verlag, München 2022. 320 Seiten, 98 Euro.

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