Bildband:Unter Bergbauern

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So oft wie möglich ist Sepp Jackl selbst auf der Alm und sieht nach seinen Tieren. Sein Hof steht in Waakirchen. (Foto: Klaus Maria Einwanger)

Der Fotograf Klaus Maria Einwanger porträtiert Landwirte im oberbayerischen Voralpenland. Für sie sind ihre Almen mehr als Sehnsuchtsorte.

Von Stefan Fischer

Im Hochalpinen mögen die Dinge anders stehen, da geht nichts über eine imposante Gipfelregion – die annähernd perfekte Pyramide des Matterhorns, die nach oben hin nicht enden wollende Nordwand des Eigers, das Ensemble der Watzmann-Gipfel: Derlei erhebende Gestalt macht diese Berge in den Augen vieler Menschen besonders.

Unterhalb von nacktem Fels, von Schnee und Eis jedoch weicht das Imponierende dem Idyllischen. Dazu trägt ganz wesentlich bei, dass auf jeden ordentlichen Berg eine Alm gehört (am besten mehrere), und auf die gehören Kühe. Wenn auf einer solchen Alm dann sogar noch das Gras mit der Sense geschnitten und Bergkäse in Handarbeit hergestellt wird, dann ist das Glück perfekt. Jedenfalls für den Betrachter dieser Szenerie.

Almen sind Sehnsuchtsorte. Sie bedienen den Wunsch nach Heimeligkeit, nach intakten Verhältnissen, nach Ursprünglichkeit. Auch nach Überschaubarkeit, Einfachheit, Gemächlichkeit. Es sind allerdings bedrohte Sehnsuchtsorte. Denn ihre Zahl sinkt, das hat Auswirkungen auf die alpine Kulturlandschaft und ihre nachhaltige Bewirtschaftung und also nicht zuletzt auch auf die Qualität in der Lebensmittelproduktion. Der Fotograf Klaus Maria Einwanger, der in Rosenheim lebt, hat acht Bergbauernfamilien über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder besucht, auf ihren Höfen und Almen im Mangfallgebirge und dem nördlich daran angrenzenden Voralpenland: Der Brandstatter- und der Hölzlhof stehen in Waakirchen, der Seebacher- und der Scharlhof in Bad Feilnbach, die weiteren Landwirtschaften sind in Gmund am Tegernsee, in Schliersee, in Kreuth und Fischbachau.

Martin Leitner jr. mäht die Hangwiese des Familienhofs am Schliersee. (Foto: Klaus Maria Einwanger)

Bergbauer darf sich gemäß einer EU-Richtlinie ein Landwirt nennen, dessen Weiden höher als 700 Meter über dem Meer liegen oder die oberhalb von 500 Metern Seehöhe eine festgeschriebene Hangneigung haben. Dort, wo in den Alpen Bergbauern aktiv sind, ist das Gebirge nicht in erster Linie Natur-, sondern eben Kulturlandschaft. Würden die Almen nicht beweidet, würden sie binnen kurzer Zeit verbuschen, die Artenvielfalt an Gräsern, Blumen und Kräutern würde sich merklich verringern. Milch und Käse von hoher Qualität würden nicht mehr produziert.

Doch die Arbeit am Berg ist mühsam, für viele Landwirte nicht mehr ausreichend ertragreich und überdies extrem bürokratisiert. Weshalb immer mehr Bergbauern aufgeben, häufig dann, wenn die Nachkommen den Hof nicht übernehmen mögen. Auch von den acht Familien, die Klaus Maria Einwanger porträtiert hat, betreiben einige die Landwirtschaft nur noch im Nebenerwerb. Das jedoch mit großem Engagement und großer Leidenschaft – und in allen Familien sieht es so aus, als würden die Höfe, die seit Jahrhunderten in deren jeweiligem Besitz sind, eine Zukunft haben, weil die nächste Generation bereitsteht, das Erbe anzutreten.

Das Aufrichten des Heus im Dehner, dem Stadl, gehört zu den anstrengendsten Arbeiten auf einem Hof. (Foto: Klaus Maria Einwanger)

„Bergbauern“ ist der zweite Bildband, den Klaus Maria Einwanger herausgibt. Der erste, „Taxi Drivers. Written In Their Faces“, ist ebenfalls einer speziellen Berufsgruppe gewidmet, er porträtiert Taxifahrer in New York, London und Tokio. Einwanger hat auch dafür Beziehungen aufgebaut zu den Protagonisten seiner Aufnahmen, hat sie kennengelernt, ehe er sie fotografiert hat. So ähnlich ist es nun auch mit den Bergbauern und -bäuerinnen. Sie posieren nicht für die Kamera, sondern gehen ihrem Tagwerk nach, inszenieren nichts für die Kamera.

Bilder, wie Einwanger sie für den Band aufgenommen hat, entstehen kaum bei einer ersten oder zweiten Begegnung. Der Fotograf ist dabei, wenn die Tiere von der Nieder- auf die Hochalm gebracht werden. Wenn die Kälber das erste Mal aus dem Stall auf die Weide dürfen und das Gelände teilweise übermütig erkunden. Er zeigt auch nicht nur die idyllischen Szenerien. Sondern das Holzmachen, das Heuaufschlichten, das Hufeschneiden, das Ausmisten, das Ausbessern der Hütten und die Arbeit im eigenen kleinen Sägewerk.

Familie Leitner treibt ihre Tiere von der Roten Valeppalm, einer Niederalm, durch den Wald auf die Untere Schönfeldalm, ihre Hochalm. (Foto: Klaus Maria Einwanger)

Und Klaus Maria Einwanger spricht auch mit den Landwirten und zitiert sie in seinem Buch. Ob sie sich an den jüngsten Protesten beteiligt und mit ihren Traktoren Autobahnauffahrten blockiert haben oder bis auf die Münchner Theresienwiese gefahren sind, um ihre Verärgerung kundzutun, wird nicht ersichtlich. Der Ton ihrer Schilderungen ist jedenfalls kein aufgebrachter, wütender. Aber sie vertreten klare Meinungen zum Wert ihrer Arbeit, zum (nicht nur finanziellen) Preis, den gesunde Lebensmittel haben müssen, zur oft so empfundenen fehlenden Anerkennung ihrer Arbeit und Lebensweise.

Das ästhetisch Besondere an Klaus Maria Einwangers Fotografien ist eine bemerkenswert kontrastreiche Farbigkeit. Und das, obwohl sie auf mattem Papier gedruckt sind und die Farbskala der Motive sich beinahe ausschließlich im Bereich Braun, Grün und Grau bewegt. Bergbauern sind keine Menschen, die knallrote oder grellgelbe Funktionskleidung tragen oder pinkfarbene Traktoren und Melkmaschinen besitzen.

An den Rändern einiger seiner Wiesen muss Vitus Maurer mit der Sense mähen. (Foto: Klaus Maria Einwanger)

Die Wohnstuben sind holzgetäfelt, das Fleckvieh ist oberbayerisch-klassisch braun-weiß, die Hüte sind aus grauem Filz. Einwanger hat bei Regen und Nebel, bei wolkenverhangenem Himmel, im Schatten des Waldes und in der Dunkelheit von Heuschobern fotografiert, ohne künstliches Licht. Unabhängig von den äußeren Bedingungen sind die Lichtstimmungen auf den Aufnahmen beeindruckend. Einwanger arbeitet die vielen Grünschattierungen eines Berghangs mit Weide und Wald, die unterschiedlichen Braun- und Beigetöne im Stall nuanciert heraus.

Auf diese Weise entstehen sehr klare, detailreiche Bilder, auf denen selten etwas spektakulär ist – und auf denen der Blick trotzdem verharrt. Erst einmal sicherlich, weil es eben Porträts von Sehnsuchtsorten sind, die einen entsprechend triggern. Je länger man die einzelnen Fotografien betrachtet, desto eindringlicher erkennt man indessen, dass man nicht auf eine Kulisse blickt, auf ein Idealbild. Sondern auf die dahinter liegende Realität. Das Buch „Bergbauern“ beschönigt nichts. Dennoch begreift man, warum die darin versammelten Landwirte nichts anderes sein wollen als das, was sie aus freien Stücken sind.

Klaus Maria Einwanger: Bergbauern. KME Studios, Rosenheim 2024. 288 Seiten, 48 Euro.

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