Bikeparks:Raser am Berg

Bikepark Oberammergau

Als moderner Mountainbiker ist man gut geschützt und auch topmodisch gekleidet - wer weiß, wem man auf einem Oberammergauer Wurzelpfad begegnet.

(Foto: Simon Fischer)

Rauf mit dem Lift, runter mit Karacho: Mountainbiker sollen Wintersport-Orten in schneefreien Zeiten die Kassen füllen. Der Versuch einer Abfahrt in Oberammergau.

Von Christian Thiele

Jetzt weiß ich wieder so ungefähr, wie sich das im Winter für meine kleine Tochter im Schlepplift anfühlen muss: Ich hänge am Liftbügel, versuche, mich gleichzeitig auf das Festhalten und das Geradeausfahren zu konzentrieren; immerhin hilft mir die Schwerkraft dabei, nicht abzuheben. Für den Blick auf das Grün der Ammergauer Wiesen und Wälder, für das Einschnaufen der Bergluft und sonstigen Alpinkitsch fehlt mir gerade Luft und Lust. Ich habe existenzielle Probleme. Als wir dann doch oben sind, der Liftbügel, mein Mountainbike und ich, könnte meinetwegen schon Brotzeitpause sein. Aber der eigentliche Spaß beginnt erst, hier am Start der leichtesten Abfahrt im neuen Oberammergauer Bikepark.

Mit Bike und Bahn auf den Berg - das geht mittlerweile an vielen Orten im Alpenraum von Zermatt über Serfaus-Fiss-Ladis bis Sölden. Lukas Gerum, ein freundlicher und leicht verzauselter Oberammergauer, der wie der Rest der langbärtigen Dorfbewohner immer ein bisschen so aussieht, als müsste er gleich zum Vorsprechen für die Jesus-Rolle beim nächsten Passionsspiel, will in Oberammergau etwas Ähnliches schaffen. Er hat vor Kurzem einen Bikepark am Kolben eröffnet. "Kinder ab zehn, Familien und Hardcore-Biker - hier soll sich jeder mit seinem Mountainbike austoben können, egal ob er es gerade für 5000 Euro aus dem Laden geholt hat oder seit 15 Jahren in der Garage stehen hat", sagt Gerum.

Ich bin deutlich älter als zehn, mein Rad war deutlich billiger als 5000 Euro - also typischer Durchschnittsnutzer. Der Flow Trail, an dessen Beginn wir stehen, ist angeblich ein eher flüssig zu fahrender Anfängertrail, so etwas wie die blaue Piste im Winter. Mal schauen, wie viel Flow gleich entsteht. Vorsichtshalber habe ich mir von Lukas Gerum Schienbeinschoner aufschwatzen lassen. Die für den Ellenbogen habe ich abgelehnt - wir sind ja nicht beim Eishockey. Denke ich.

Man trägt Schienbeinschoner. Die helfen allerdings nicht gegen die Schmerzen in den Fingern

Der Nebel hat sich nicht in Sonnenstrahlen aufgelöst, sondern in einen dichten Vorhang aus fetten Regentropfen verflüssigt. "Da geht's lang, ich warte dann", sagt Gerum, zeigt auf eine Schneise von einem halben Meter Breite im Wald - und weg ist er. Also hinterher, auf einem schottrigen Weg geht es durch die Fichten. Links, rechts, links, so mäandert der Pfad durch den Wald. Die leicht aufgesteilten Kurven soll ich möglichst außen, also oben nehmen, hat er mir noch geraten - ich hingegen stottere mich eher im flachen Innenteil durch den Pfad. Stopp auf einem Viertel der Strecke. Die Finger tun schon weh vom Bremsen - dabei soll man den Trail eigentlich ganz ohne Bremse fahren können. "Man merkt, dass du Ahnung hast von Fahrtechnik", sagt Lukas anerkennend. Allerdings zu meiner Freundin. Dafür habe ich Abitur inklusive großem Latinum, nur hilft mir das hier nicht so viel. Ellenbogenschützer wären vielleicht was, denke ich. Und lasse mir Fahrtipps von Gerum geben.

Reiseinformationen

Anreise: Der Bikepark liegt direkt an der Bundesstraße 23 an der Kolbensesselbahn und ist auch gut mit dem Zug erreichbar. Vom Bahnhof Oberammergau aus sind es nur 800 Meter.

Unterkunft: Auf Fahrradtouristen ist der Ammertaler Hof ausgerichtet, DZ ab 44 Euro, Tel.: 088 45/75 89 42, www.gasthaus-ammertalerhof.bayern

Bikepark: Der Bikepark Oberammergau hat im Oktober an den Wochenenden sowie mittwochs und freitags von 14 bis 19 Uhr geöffnet, das Tagesticket für den Lift kostet 24 Euro, www.bikepark-oberammergau.de, Tel.: 0049/157/32 69 43 57.

Er war einmal - neben diversen Rollen bei den Passionsspielen - Mountainbikeprofi, musste aber wegen einer Verletzung aufhören, hat Sportmanagement studiert und lebt seither von Mountainbikekarten, die er erstellt, und von Führungstouren, die er leitet. Und, das wäre der Plan, demnächst vom Bikepark Oberammergau. Im benachbarten und viel größeren Garmisch-Partenkirchen sieht man als Mountainbiker vor allem Verbotsschilder, auf Wegen, an den Bahnen. Das Passionsspieler- und Herrgottschnitzerdorf Oberammergau hingegen entdeckt die Mountainbiker als lukrative Zielgruppe. Drei leichte, drei mittelschwierige und zwei schwierige Pfade plant Gerum in Oberammergau, der Baufortschritt hängt vom Wetter ab. Am Ende sollen knapp 35 Kilometer Bike-Trails entstehen, ein Klettergarten und eine Sommerrodelbahn nebenan sollen die Familienbespaßung vervollständigen.

Mountainbiker als Sommergäste

Schließlich fällt der Schnee immer später, immer kürzer, tendenziell in immer höheren Lagen. Viele klassische Wintersportorte betreiben daher eine rentable Zweitverwertung ihrer Liftanlagen, für die Biker. In Serfaus-Fiss-Ladis setzt man seit 2013 auf den Mountainbiker als Sommergast, hat eine Bike-Schule eingerichtet, rühmt sich für die größte E-Bike-Flotte Österreichs und verkauft damit bis zu 500 Liftkarten täglich an Bergradler. Christian Zangerl, Bike-Manager vom Bikepark Serfaus-Fiss-Ladis, sagt: "Hotels, Seilbahnen und Restaurants sitzen doch alle im selben Boot. Deshalb müssen wir diese Angebote schaffen."

Bikeparks: SZ-Karte

SZ-Karte

Das gilt selbst für Sölden, jene Stadt, die nach Wien in Österreich die meisten Übernachtungsgäste hat. Ein Ort, der mit seinen Gletschergebieten, dem Skiweltcup und dem prominenten Auftritt im jüngsten James-Bond-Film zu den größten Skiorten in den Alpen gehört. "Wir haben die Mountainbiker vor zehn Jahren massiv unterschätzt, in Zukunft wird das kriegsentscheidend", sagt Dominik Linser, Ortsstellenleiter des Tourismusverbandes Ötztal. Ein bisschen wie Krieger sehen sie ja auch aus, die Mountainbiker von heute: Vollvisierhelme, Protektoren an allen erdenklichen Körperteilen, Räder so groß wie ein Kalb - und manchmal fast so schwer.

Sind Mountainbiker die neuen Spaß-Skifahrer?

"Der Mountainbiker ähnelt sehr dem Wintergast", sagt Linser: adrenalin- und spaßorientiert, anspruchsvoll bei Gastronomie und Material. "Er sucht die Kombination aus Naturerlebnis und Infrastruktur." Auf gut Deutsch: Rauf mit der Bahn, runter mit Karacho.

Größere Räder, längere Stoßdämpfer, ausgefeiltere Rahmengeometrie: Auch das Mountainbike hat sich verändert in den vergangenen Jahren. War der gemeine Bergradler früher noch froh angesichts jeder schottrigen Forststraße, über die er sein ungefedertes Mountainbike zu seinen eigentlichen Zielen - Skitourenhängen oder Kletterfelsen - hinaufstrampelte, so sucht und genießt der Biker von heute mit seinem Carbon-Boliden grob verblockte Pfade im hochalpinen Gelände, wo der normale Wanderer schon trittsicher und schwindelfrei sein muss. Sölden, sagt Linser, will jedes Jahr zehn Kilometer neue Trails anlegen, um weiterhin für Mountainbiker attraktiv zu bleiben. Die möglichst adrenalinigen Bikerpfade werden parallel zu den möglichst braven Wanderwegen angelegt, damit es keine Konflikte zwischen Bikern und Hikern gibt. "Wir wollen das Skigebiet flächendeckend mit dem Mountainbike bespielen", so Söldens Cheftouristiker. Das touristische Rad soll sich in Sölden künftig nicht mehr nur im Winter, sondern mindestens zehn Monate im Jahr drehen - auch und vor allem dank der Mountainbiker.

Dabei sprengt der Mountainbike-Tourismus längst seinen begrifflichen Rahmen. Es ist ja nicht nur so, dass man auch in Mittelgebirgsregionen - in Tschechien, in Sachsen oder im Bayerischen Wald - mit Bikeparks Familienurlauber anlocken will. In Lindau hat der dortige Alpenverein nach langer Diskussion und Austritten einiger Wanderer beispielsweise einen Bikepark mitten in der Stadt finanziert. Die Jahresgebühr kann man mit Paypal bezahlen, es gibt Parcours mit Sprüngen und Hindernissen, die mit Bergradeln wenig zu tun haben, sondern eher an das etwas altmodische BMX-Fahren erinnern. Andererseits ist der Bergsport längst in der Ebene angekommen: Was hat das Bouldern in einer Halle in Berlin-Schöneberg noch mit Klettern zu tun? Und was das Hinaufhecheln einer gewalzten Piste mit Fellen unter den Carbon-Skiern mit einer echten Skitour?

Lukas fährt mit uns jetzt in einen, wie er ankündigt, Switchback Trail, was daran erinnert: Wer im Mountainbikepark unterwegs sein will, muss sein Englisch-Vokabular auf Vordermann bringen. Im Grunde ist der Switchback Trail aber nichts anderes als ein enger Spitzkehrenpfad - "Wurzelsepp" hat man ihn getauft. Der feine Regen macht die Kurven nicht nur eng, sondern auch noch glatt und rutschig. Weiter hinten soll ich sitzen, die Ellenbogen weiter nach außen strecken, hat Lukas empfohlen. Hilft alles nur bedingt, aber immerhin: Das Schleppliftfahren klappt inzwischen schon ganz gut.

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