Berlins Urlauberproblem:Gesucht: Kulturell interessierter Tourist, der leise feiert

Nofretete auf der Berliner Museumsinsel

Bildung statt Exzess: Büste der Nofretete im Ägyptischen Museum im Neuen Museum in Berlin

(Foto: REUTERS)

Berlin will "Stadt der Freiheit" sein, aber nicht Stadt des grenzenlosen Partytourismus. Das ist ein Balanceakt, den zu viele Gäste noch nicht mitmachen.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Zehn Bierbikes fahren auf den Straßen von Berlin. Eigentlich nicht viel, für eine Stadt mit vier Millionen Einwohnern und einer Fläche von 891,8 Quadratkilometern. Trotzdem wäre es Burkhard Kieker, Geschäftsführer der offiziellen Tourismusagentur Visit Berlin, lieber, es stünde dort eine andere Zahl: Null. "Da geht es eher um etwas Symbolisches", sagt Kieker, der gerade die Berliner Tourismus-Zahlen für 2017 vorgestellt hat. "Wir wollen nicht, dass hier eine Disneyfizierung stattfindet." In vielen Städten sind die umstrittenen Fortbewegungsmittel, die eher rollende Partytheke als Fahrrad sind, inzwischen verboten. In Berlin dürfen sie lediglich auf einigen großen Straßen nicht fahren. Ein Kompromiss, der erst vergangene Woche wieder vor Gericht bestätigt wurde.

Die Bierbikes sind nur ein winziges Kapitel in einer schwierigen Endlos-Geschichte: Berlin und die Touristen. Einerseits lebt die Hauptstadt-Wirtschaft von den Gästen. Kieker zum Beispiel ist auf der Pressekonferenz gedämpfter Stimmung. Nicht zuletzt die Pleite von Airberlin habe die Besucherzahlen Ende vergangenen Jahres einbrechen lassen, er kann insgesamt nur ein bescheidenes Wachstum präsentieren. Es kamen knapp 13 Millionen Besucher nach Berlin, 1,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Er sagt deswegen: "Zurücklehnen ist nicht in dieser Stadt".

Partytouristen in Berlin, bitte feiert leiser

Auf der anderen Seite gibt es Probleme mit einigen Besuchern - nicht nur wegen der Bierbikes. Insbesondere Anwohner in angesagten Kiezen wie Neukölln, Kreuzberg, Friedrichshain oder Mitte beschweren sich über rücksichtslose Partytouristen, die nicht nur die nächtliche Ruhe stören. Sondern auch noch bevorzugt in Airbnb-Ferienwohnungen ausschlafen wollen, für die alteingesessene Mieter aus der Nachbarschaft vertrieben werden. Tatsächlich übernachteten Kieker zufolge 2017 bereits 700 000 Gäste in Airbnb-Wohnungen - ein Wachstum um 16,7 Prozent. Und das, obwohl ein Gesetz in Berlin die Vermietung von Ferienwohnungen eigentlich stark einschränkt.

Anfang des Jahres hat der Senat nun ein neues Tourismuskonzept vorgestellt. Man wolle "stärker auf Qualität setzen", sagte die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Sie will mehr Kulturinteressierte, aber auch Businessreisende und Kongressbesucher in die Stadt locken. Kurz: ruhigere und vor allem vermögendere Kundschaft. Die sollen sich dann nicht nur in den altbekannten Kiezen tummeln, sondern auch in anderen Stadtteilen. In Spandau zum Beispiel.

Burkhard Kieker stellte dazu bereits einige Ideen vor. Im Sommer startet zum Beispiel eine neue Kampagne: "Hot city, cool water". "Wir wollen damit Berlins Einbettung in eine einzigartige Fluss- und Seenlandschaft hervorheben", sagt Kieker. Und damit Besucher animieren, "vormittags die Nofretete zu besichtigen und sich nachmittags an den Wannsee zu legen oder im Tegeler See zu planschen". Baden statt Bierbike also. Und das ganz ohne Zwang und Verbote.

Lieber nicht mehr "arm, aber sexy"

Dabei gab es eine Zeit, da war Berlin ziemlich froh um seinen Ruf als europäische Partyhauptstadt. "Arm, aber sexy" war der inoffizielle Slogan, mit dem Berlin in der ganzen Welt hip wurde. Ein Ort, der vielleicht nicht mit sauberen Straßen und Plätzen sowie wohlhabender Bevölkerung aufwarten konnte, an dem aber sonst vieles möglich schien, für das anderswo kein Platz war. Das junge, internationale Publikum interessierte sich vor allem für die Partys in angesagten Clubs und umfunktionierten Brachen, ein reichhaltiges Angebot an Drogen, eine anregende Kreativszene.

Seit 2008 fordert die Stadt ihre Bewohner und alle, die sie besuchen kommen, auf: "be Berlin". Eine ungewöhnliche Marketingkampagne, wie etwa die Soziologin Martina Löw in ihrem Buch "Die Eigenlogik der Städte" schreibt: Preist sie doch keine Qualitäten der Stadt an, ruft keine mit ihr assoziierten Bilder wach. Sondern sagt stattdessen: Bestimm' doch einfach Du, was Berlin ist. Inzwischen, so viel lässt sich festhalten, verdrehen die Berliner nur noch die Augen, wenn ihnen jemand mit "arm, aber sexy" kommt.

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