Berliner App "fr;)endly":Insider-Tipps von Berlinern? Erst nach dem dritten Kirschlikör!

fr;)endly Berlin

Die App "fr;)endly Berlin" zeigt: Nix los im Wedding.

(Foto: Hannah Beitzer)

Touristen finden die Berliner unfreundlich. Eine App soll sie mit hilfsbereiten Einheimischen zusammenbringen. Ein Test.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Was ist Freundlichkeit? Vor allem eine Frage der Perspektive. Wer gerade aus dem gut gelaunten San Francisco kommt, den trifft in Berlin mit einiger Sicherheit der Schlag. Finstere U-Bahn voll finsterer Gesichter, ruppige Busfahrer, böse Blicke in Richtung Rollkoffer. Wer aber schon mal versucht hat, in einem Moskauer Kiosk ohne Kenntnisse der russischen Sprache Zigaretten und ein Feuerzeug zu kaufen, der wird die Berliner Späti-Besitzer große Klasse finden.

Insgesamt aber gilt Berlin als unfreundliche Stadt, einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung aus dem Jahr 2013 zufolge landet sie in der Kategorie Freundlichkeit weltweit nur auf Platz 34 von 50 internationalen Reisezielen. Kein schönes Image. Dagegen hat das Tourismusportal Visit Berlin im vergangenen Jahr eine App entwickelt: Sie trägt den schwer googlebaren Namen "fr;)endly Berlin" und soll hilfesuchende Touristen mit freundlichen Berlinern zusammenbringen, aber auch Berlinern in Alltagssituationen helfen.

Hilfe bei Autopanne und plattem Reifen

Wer etwa eine Panne oder sich in der Stadt verlaufen hat, soll durch einen Chat mit Berlinern in der Nähe zusammengebracht werden, die helfen wollen. Ergänzt wird das mit einem Veranstaltungskalender und Fahrinfos der BVG.

So ein Chat bietet sich zum Beispiel an, wenn man irgendwo in Charlottenburg ein nettes Frühstückscafé sucht: Kennt jemand was, Nähe Theodor-Heuss-Platz? Das Gesuch erscheint als kleine lila Hand in der App. Zwei Nutzer sind in der Umgebung registriert, sie stehen als graue Figuren in der App herum und heißen Susanne und Sven.

fr;)endly Berlin

Mit "fr;)endly Berlin": Schweigen am Theodor-Heuss-Platz.

(Foto: Hannah Beitzer)

Allerdings sieht es ganz so aus, als würden Susanne und Sven an einem Donnerstagmorgen um neun Uhr noch schlafen, es kommt keine Reaktion. Nach zehn Minuten Warten fängt es an zu regnen. Dann doch schnell in den Backshop für einen Kaffee. Ein Heißgetränk später kommt immer noch keine Antwort. Na ja.

Ganz ähnlich sieht es im Wedding aus. Die Situation: Fahrradpanne. Hat jemand Flickzeug oder kann einen günstigen Fahrradladen empfehlen? Hallo? Jemand da? Gäbe es Google Maps (und den Hinweis auf den Fahrradladen um die Ecke) nicht, das Fahrrad stünde immer noch kaputt im Hof.

Tipps abseits des üblichen Touristenstroms?

Ein bisschen besser klappt es in Mitte. "Bin heute im Regierungsviertel/Unter den Linden unterwegs. Gibt's hier ein nettes Restaurant oder Café abseits der Touristenströme für eine kleine Pause?" Schwierige Aufgabe, die Gegend besteht quasi nur aus Touristenströmen. Es dauert dann auch zwei Stunden, bis eine Antwort kommt. Aber immerhin, sie kommt. Nutzer Jörn schreibt, das Aigners am Gendarmenmarkt sei ganz kuschelig. Nun ist der Gendarmenmarkt zwar alles andere als abseits, aber wie schon gesagt: schwierige Aufgabe.

Jörn ist aber tatsächlich sehr freundlich. Von der App hat er, so erzählt er es im Chat, im RBB erfahren und fand die Idee gut. Außer ihm finden das aber offenbar nicht viele in der Nähe. Eine weitere Antwort kommt nicht auf das Hilfegesuch.

Lieber etwas im Voraus planen

Eine weitere schwierige Aufgabe für potenzielle freundliche Berliner wartet am Alexanderplatz. Die Schlangen am Fernsehturm sind lang, eine Stunde Wartezeit ist die Regel. Wie überbrückt man die an einem Ort, an dem höchstens die Fans von Primark auf ihre Kosten kommen? Einige Nutzer stehen in der App tatsächlich als graue Figuren herum, doch der spontane Hilferuf bleibt unbeantwortet. Ein Tipp kommt zwei Stunden später und passt immerhin gut zu der Tatsache, dass der Fernsehturm-Besuch gerade vorbei ist: Ein Spaziergang durch das Nikolaiviertel sei toll, da gebe es auch viele Cafés.

Wer auf die Freundlichkeit per App hofft, der sollte lieber etwas im Voraus planen, so viel wird klar. Also noch ein letzter Versuch: Der Schillerkiez in Neukölln ist gerade schwer angesagt, Café reiht sich an Burgerladen reiht sich an Szene-Kneipe. "Hier gibt es ja eine tolle Auswahl an hippen Sachen", beginnt der nachmittägliche Hilferuf mit dem Titel "Hausmannskost?", "nun bin ich auf der Suche nach etwas Bodenständigem."

Tatsächlich kommt hier die Antwort sofort: "Italienisch kann ich dir die Lavanderia Vecchia empfehlen." Die Lavanderia Vecchia ist tatsächlich ein toller Tipp. Bei dem Italiener in einer alten Wäscherei gibt es zwischen kreuz und quer gespannten Wäscheleinen jeden Abend ein Gänge-Menü, das um Punkt 19:45 Uhr beginnt und in der Mitte des Raumes vor aller Augen zubereitet wird. Kosten: 58 Euro pro Person. Aber ist es wirklich das, was man sich in Berlin unter bodenständiger Hausmannskost vorstellt? Weitere Tipps kommen nicht.

Berliner App "fr;)endly": Auf der Suche nach Hausmannskost per App im Schillerkiez.

Auf der Suche nach Hausmannskost per App im Schillerkiez.

So viele Berlin-Apps wie Berliner

Das könnte unter anderem daran liegen, dass selbst in den Szene-Kiezen bisher nur wenige Leute angemeldet sind. Die haben verständlicherweise Besseres zu tun, als den ganzen Tag auf Hilferufe verirrter Touristen zu warten. Und auch die Besucher sind anderswo besser bedient als bei fr;)endly. Berlin-Apps finden sich im App Store gefühlt so viele wie Berlin Einwohner hat. Es gibt die offiziellen Touristen-Apps der Stadt für die üblichen Sehenswürdigkeiten, Tipps abseits der bekannten Viertel bei "Going Local", es gibt Fahrrad-Reiseführer für Berlin, Fahrplan-Apps der BVG und dazu noch diverse Veranstaltungs-Apps privater Anbieter.

Dazu kommen nichtberlinspezifische Apps, die viele Leute ohnehin auf dem Smartphone haben: Auf Yelp finden sich dutzendmal so viele Restauranttipps wie auf fr;)endly. Und wer sich in Berlin mit dem Smartphone in der Tasche verläuft, der orientiert sich eher auf Google Maps, als dafür extra eine App zu installieren und per Chat nach dem Weg zu fragen.

Bleibt also die Sache mit der Freundlichkeit. Ja, es ist immer schöner, persönliche Tipps zu bekommen, als Yelp zu befragen. Am allerbesten ist es aber, einfach loszumarschieren und sich in die nächstbeste Eckkneipe zu setzen.

Die trägt einen poetischen Namen wie "Lange Nacht" oder "Bierbrunnen". Die Leute dort knurren zwar, aber sie beißen nicht. Dafür verkuppeln Barfrauen Besucherinnen für ein Tänzchen mit den Stammgästen, erzählen vom Berlin der 80er Jahre und bitten die neue Bekanntschaft schon einmal, während des Toilettengangs die Bar zu bewachen. Und die echten Insider-Tipps, die gibt es ohnehin erst nach dem dritten Kirschlikör.

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