Berlin:Nicht träumen, losfahren!

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"Bleibt nicht mit dem Arsch vor dem Fernseher sitzen", sagt Heidi Hetzer, dafür sei die Welt zu schön. Die 79-Jährige muss es wissen - nach 960 Tagen auf der Straße und 85 000 Kilometern in ihrem Oldtimer.

Von Verena Mayer

Die 79-Jährige, die in einem Oldtimer um die Welt gefahren ist, steigt aus ihrem Auto und zieht erst mal einen Hut hervor, den sie in Neuseeland gekauft hat. Dann beginnt sie, über die Unterschiede zwischen Neuseeland und Australien zu reden, Heidi Hetzer, Jeans, Steppjacke, wirkt wie eine Rentnerin, die gerade von einer Pauschalreise zurückgekommen ist. Dass sie das nicht ist, zeigt der Empfang, den man ihr in Berlin bereitet hat. Hunderte haben sich Sonntagmittag vor dem Brandenburger Tor versammelt, um sie zu sehen, sie klatschen, halten ihre Handys hoch oder setzen ihre Kinder auf den Kofferraum. Auf Plakaten steht zum Beispiel: "Willkommen zurück, Heidi!"

960 Tage war die Unternehmerin und Motorsportlerin unterwegs, sie hat mehr als 85 000 Kilometer in einem alten Hudson zurückgelegt, der aussieht, als käme er direkt aus einem Film über die goldenen Zwanzigerjahre. Nur, dass er um einiges kaputter und klappriger ist, Heidi Hetzer hat in dem Auto geschlafen, gelebt, gegessen und sich vor wilden Tieren geschützt. Sie war damit in Städten und am Meer, in Wüsten und Steppen, und irgendwann, so erzählte sie einmal, habe sie zu "Hudo" eine Beziehung entwickelt wie zu einem Ehemann.

Autos waren schon immer ihr Leben. Die Berlinerin ist gelernte Kfz-Mechanikerin, seit den Fünfzigerjahren fährt sie Rallyes und hatte lange ein Autohaus in Berlin. 2014 begann sie ihre Weltreise, die sie über Osteuropa nach Teheran und China, später nach Australien, Nord- und Südamerika führte und zuletzt durch Afrika.

Hinten an ihrem Auto ist ein Aufkleber, auf dem steht, dass sie ihre Reise der Rennfahrerin Clärenore Stinnes widmet. Die war in jeder Beziehung Pionierin. Stinnes war eine der ersten Motorsportlerinnen, 1927 umrundete sie als erster Mensch in einem Auto die Erde.

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Während Stinnes dies noch weitgehend unbehelligt von der Öffentlichkeit tun konnte, wurde Hetzer auf ihrer Reise zum Medienphänomen. Fotografen und Kamerateams begleiten die Rentnerin; sie selbst bloggte und postete Fotos. Auf denen sieht man, wie sie über holprige Straßen in Australien fährt, sich mit afrikanischen Buschleuten unterhält oder in China auf einem Pass in 4000 Meter Höhe von einem Busfahrer abgeschleppt werden muss. Die Pannen waren ein Teil der Reise, immer wieder blieb der Oldtimer liegen oder musste in die Werkstätte, einmal verlor Hetzer bei einer Reparatur einen kleinen Finger.

Auf ihrer Reise erkrankte sie an Krebs, ein Enkelkind wurde geboren, und immer wieder erlebte sie brenzlige Situationen. Missen wolle sie trotzdem nichts, sagt sie. "Egal, wo du bist, es gibt immer Menschen, die einem helfen."

Bevor sie zurück in ihren Oldtimer steigt und nach Hause tuckert, will sie den Leuten am Brandenburger Tor aber noch etwas mitgeben. "Ick sage euch", ruft sie mit ihrem Berliner Akzent in die Menge, "die Welt ist ganz toll. Also raus, raus und bleibt nicht mit dem Arsch vor dem Fernseher sitzen."

© SZ vom 13.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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