Süddeutsche Zeitung

Flughafen Berlin:Gefangen in der Warteschleife des BER

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Matthias Hoch hat von 2017 bis 2020 auf dem neuen Berliner Flughafen fotografiert. Entstanden ist das Porträt eines Gebäudes ohne Funktion.

Von Stefan Fischer

Die ersten Fotografien in diesem Band - allesamt 2017 entstanden - erwecken den Eindruck, es bedürfe nur noch einiger Handgriffe. Ein paar letzte Ein- und Aufbauten, finale Installationen, das Anbringen von Hinweisschildern und Wegweisern, dann könne der Betrieb starten am neuen Berliner Flughafen Willy Brandt.

Es ist anders gekommen, zur großen Empörung der einen und noch größeren Belustigung der anderen. Bald sieht man denn auch Fotografien in dem Band "BER" von Matthias Hoch, bei denen man stutzt als Betrachter: Erkennt man auf ihnen wirklich den Zustand des fast Fertigen? Oder nicht eher den Rück- und Umbau? Wände und Böden, die wieder aufgehackt, Decken, die noch einmal geöffnet worden sind. Um erneut in deren Eingeweiden, den Kabeln und Röhren, zu wühlen.

Das dritte Motiv neben dem Fort- und dem Rückschritt ist der Stillstand. Man sieht auf Matthias Hochs Fotografien viele verpackte Dinge, von denen man nicht einmal ahnt, um was es sich handeln könnte. Und es sieht oft nicht so aus, als würde die Verpackung demnächst entfernt, weil die Dinge darunter in Gebrauch genommen werden sollen. Sondern als sollten die Dinge darunter geschützt werden, weil sie noch niemand benötigt. Auch nicht in der nächsten Woche, nicht im nächsten Monat, noch nicht einmal im nächsten Jahr.

Auf zweien der Bilder hat Hoch leere Pkw-Parkplätze auf dem Flughafengelände fotografiert, einen 2017, einen 2019. Auf der früheren Aufnahme haben sich bereits eine Menge Gräser und andere Pflanzen durch die Pflasterritzen gezwängt. Auf der späteren bilden die Pflanzen bereits eine Art Grünfläche, das Pflaster darunter und die Markierungen für die einzelnen Stellplätze sind teilweise nicht mehr auszumachen.

Kathrin Röggla hat einen klugen, verspielten Essay zu den Fotografien geschrieben, einen literarischen Text mit vielen Wort- und Sinnverschiebungen, der unentwegt Assoziationen auffädelt und genau dorthin führt in seiner Argumentation, wo auch Matthias Hochs menschenleere Fotografien hinfinden: An einen Ort, den es eigentlich gar nicht gibt.

Man sieht Räume, denen keine Funktion zugeordnet ist. Fertige Bahnhöfe, an denen keine Fahrpläne aushängen. Eine Baustelle, auf der nicht gebaut wird. Einen Flughafen, der, so Röggla, vernutzt sein wird und auf dem sämtliche Gewährleistungspflichten längst ausgelaufen sein werden, ehe er in Betrieb geht. Genau diese merkwürdige Situation zeigt Matthias Hoch auf seinen Fotografien: einen Ort, an dem vieles noch nicht gebraucht wird - und zugleich nicht mehr. Und trotzdem über Jahre da ist. Ohne je zum Einsatz zu kommen.

Matthias Hoch : BER. 2017-2020. Mit Texten von Kathrin Röggla und Thomas Weski. Spector Books, Leipzig 2021. 120 Seiten, 34 Euro.

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