Bergtourismus:Im Rausch der Superlative

Die Fusionierung von Skigebieten schreitet weiter voran. Viele Betreiber versuchen auf diese Art, mehr Gäste anzulocken und so im Wettbewerb um die verbliebenen Besucher zu bestehen.

Von Lea Weinmann

Schneebedeckte Pisten und gut gefüllte Lifte mit Skifahrern, bei denen das Geld locker sitzt - das ist eine Wintersaison, wie sie sich Pistenbetreiber wünschen. Doch mit jedem neuen Winter rückt die Erfüllung dieses Wunsches weiter in die Ferne. Die Bahnbetreiber sehen sich einem zunehmenden wirtschaftlichen Druck ausgesetzt: Einerseits werden die Skigäste nicht mehr, ihre Zahl stagniert seit Jahren. Andererseits fällt der Schnee oft nur noch in höheren Lagen, der Klimawandel macht den Skigebieten zu schaffen. Also müssen sie höher hinauf und versuchen, sich zu großen Skischaukeln zusammenzuschließen, um attraktiver zu werden und im Wettbewerb um die verbleibenden Gäste zu bestehen.

In Tirol beispielsweise könnte bald das größte Gletscherskigebiet Europas entstehen - sofern die Gutachten zur Umweltverträglichkeit grünes Licht geben. Eine riesige Skischaukel soll das Tiroler Pitztal in mehr als 3000 Metern Höhe mit dem benachbarten Sölden im Ötztal verbinden. 180 Pistenkilometer und absolute Schneesicherheit dank hoch gelegener Pisten - damit könnte das neue Skigebiet künftig werben. 120 Millionen Euro sind für das Projekt veranschlagt, das drei neue Seilbahnen und neue Pisten auf einer Fläche von 64 Hektar vorsieht.

Zu den jüngsten Fusionen zählt außerdem die Skiarena Andermatt-Sedrun in der Schweiz, deren Gebiete mit insgesamt 120 Pistenkilometern über Lifte miteinander verbunden sind. Im Land Salzburg ist eine Liftverbindung zwischen dem Skigebiet Maiskogel bei Kaprun und den Gletscherbahnen am Kitzsteinhorn geplant; Im selben Bundesland soll eine Gondelbahn die Orte Wagrain und Kleinarl so verknüpfen, dass Skifahrer von Zauchensee über Flachauwinkl bis nach St. Johann fahren könnten. Schon in der Saison 2014 / 2015 fusionierten Warth-Schröcken und Lech-Zürs in Vorarlberg über den Auenfeldjet zu einem Areal. Zwei Jahre später legte man das Gebiet über eine weitere Seilbahn mit St. Anton zusammen - das daraus entstandene "Ski Arlberg" umfasst mehr als 300 Pistenkilometer. Es ist das größte zusammenhängende Skigebiet Österreichs.

Bergtourismus: Après-Ski in St. Anton. Der Ort ist Teil von "Ski Arlberg", dem größten zusammenhängenden Skigebiet Österreichs.

Après-Ski in St. Anton. Der Ort ist Teil von "Ski Arlberg", dem größten zusammenhängenden Skigebiet Österreichs.

(Foto: Werner Dieterich / Mauritius)

Kritik an den umfangreichen Expansionen kommt nicht nur von Naturschutzverbänden, sondern auch vom Deutschen Alpenverein (DAV). "Die PS beim Skifahren heißen PK - Pistenkilometer", sagt Rudolf Erlacher, Vizepräsident des DAV. Wer nur mit genügend Superlativen werben könne, der "imaginiert schon den Skirausch". Im Skitourismus herrsche ein "Kampf um die Poleposition", sagt der Vizepräsident, bei dem die Alpen zum "Experimentierraum" dafür würden, wie man den Tourismus über den gefährdeten Winter retten kann. "Die meinen, man könnte den Klimawandel einfach aussitzen", so Erlacher über die Skigebietsbetreiber.

Nicht nur der DAV sieht die Entwicklungen im alpinen Raum kritisch, auch die Vereinskollegen aus Österreich und Südtirol schlagen Alarm. Mit einer internationalen Kampagne unter dem Motto #unserealpen wollen der DAV, der Alpenverein Südtirol und der Österreichische Alpenverein darauf aufmerksam machen, "wie einzigartig, vielfältig und wertvoll" die Alpen seien - aber auch, wie bedroht: "Der Ausbau der Skigebiete gefährdet den Lebensraum von Tier- und Pflanzenarten", sagt Steffen Reich, Ressortleiter für Natur- und Umweltschutz beim DAV. Skipisten veränderten Biotope; Flutlicht, Beschneiung und Lärm verscheuchten sensible Wildtiere - ganz zu schweigen vom Landschaftsbild: "Waren Sie mal im August in Ischgl? Im Sommer sieht es dort potthässlich aus", findet Reich.

Die große Kampagne der Alpenvereine ist auf zwei Jahre angelegt und soll auf analogen und digitalen Kanälen laufen. Dafür wurde eine Kampagnenzeitung publiziert, wurden Postkarten gedruckt und eine eigene Website erstellt. Außerdem verstärken die Vereine in den kommenden Wochen ihre Präsenz in den sozialen Medien. Die Botschaft lautet: Die Alpen gehören allen. Deswegen liegt es auch in der Verantwortung aller, sie zu schützen.

Man stelle sich nicht komplett gegen das Skifahren, betont der DAV. Es gehe vielmehr um die zahlreichen Erweiterungen, deren Konsequenzen in der Summe groß seien: "Hier ein bisschen erweitert, da ein bisschen ausgebaut - und am Ende bleibt nichts von unserem grünen Herz übrig", sagt Pressesprecher Thomas Bucher.

In Wien hat gerade ein Gericht den Bau einer weiteren Skischaukel verhindert

Naturschützer Steffen Reich meint, schon jetzt ein zaghaftes Umdenken erkennen zu können: "Die Akzeptanz in der Bevölkerung und bei den Touristen schwindet" - zumindest, wenn man mehr als die zwei Gemeinden befrage, die vom Ausbau profitierten. Reich stützt sich auf Zahlen: In einer repräsentativen Umfrage von 2017 sprachen sich 91 Prozent der bayerischen Bevölkerung für den Erhalt des Alpenplans in seiner bisherigen Form aus - und lehnten damit weitere Neuerschließungen ab. Auch die Tiroler stimmten in einer Umfrage einer lokalen Zeitung mit großer Mehrheit gegen einen Ausbau von Skigebieten. "Ein Weiter-so ist nicht gewünscht", resümiert Reich.

Hinweis der Redaktion

Die Recherchereisen für diese Ausgabe wurden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Rückenwind bekommen Alpenvereine und Naturschutzverbände jüngst auch von Seiten der Justiz und der Politik: Ende November hat das Bundesverwaltungsgericht in Wien in zweiter Instanz die geplante Skischaukel zwischen Kappl im Paznauntal und St. Anton im Skigebiet Arlberg gekippt. Dazwischen liegt das bisher unberührte Malfontal. Bei einer Fusion wäre das Hochtal für Skifahrer erschlossen worden. Das touristische Interesse rechtfertige keine so schwerwiegenden Eingriffe in die Natur, so begründete das Gericht die Entscheidung, die Genehmigung von 2015 wieder aufzuheben.

Die bayerische Staatsregierung begrub im April dieses Jahres die Pläne für die lange und intensiv diskutierte Skischaukel am Riedberger Horn. Und auch der Neuentwurf des Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramms (TSSP), der nun beschlossen wurde, hält an den bisher geltenden Grundpfeilern fest: Keine Neuerschließungen; Zusammenschlüsse und Zubringer sollen nur dort möglich sein, "wo sie sinnvoll und ökologisch verträglich sind".

Die Alpenvereine wollen sich auf den Teilerfolgen nicht ausruhen, denn: "Je schneller sich das Ganze entwickelt, desto kurzsichtiger werden die Reaktionen der Liftbetreiber", warnt DAV-Vizepräsident Rudolf Erlacher. "Das kann nicht gutgehen."

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