Bergtour auf den Hochkalter:Der König und sein Narr

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Der Watzmann beherrscht das Berchtesgadener Land. Er schaut von Milchtüten herab und schikaniert die Bergsteiger. Grund genug, einmal seinen Nachbarn, den Hochkalter, zu besuchen.

Von Dominik Prantl

Er sieht heute schon aus der Ferne mal wieder verdammt gut aus - wie eigentlich immer. Zu seinen Füßen liegt ein mit Steinblöcken gespickter Wald, den die Menschen in ihrer Verzückung Zauberwald nennen, daneben ein See, der Scharen von Landschaftsmalern inspiriert hat.

Auf halbem Weg zu seinem Gipfel steht eine Hütte, wo ein derart toller Kuchen serviert wird, dass die Menschen eigentlich von der Zauberhütte sprechen müssten. Dahinter formen Kare und Wände und ein letzter Rest von Gletschereis ein beeindruckendes Bergmassiv, bis hinauf auf 2607 Meter. An den meisten Orten der Welt wäre der Hochkalter der Besuchermagnet, ein Zauberberg.

Doch neben ihm steht der Watzmann.

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König Watzmann - ein echter Depp

Nach allem, was heute bekannt ist, war König Watzmann - man muss das einmal so deutlich sagen - ein echter Depp. Familienvater, Jäger, Regent, all das klingt noch ziemlich harmlos. Glaubwürdigen Überlieferungen zufolge, die nur mangels Audio- und Videodokumentationen abschätzig als Sage bezeichnet werden, befehligte, nein, schikanierte Watze (Volksmund) jedoch den heutigen Südosten Bayerns.

Seine Hunde zerfleischten Kinder, sein Ross zertrampelte Bauern. Die tradierten Versionen seines Blutdursts sind mannigfaltig, jugendfrei ist keine davon. Jedenfalls hatte irgendwann ein kleines Weiblein oder auch der liebe Gott genug von dem Kerl und verwandelte ihn in einen Berg.

Aber ein Tyrann gibt seine Macht nicht einfach her, mag er auch noch so versteinert sein. Watze wirkt immer noch, nur subtiler. Schon mehr als 100 Menschen sind an seiner Ostflanke in den Tod gestürzt. Von Milchpackungen schaut er auf die Konsumenten herab; er hat sich in das Emblem der hiesigen Tourismusverbände geschlichen, war Namensgeber für ein Satiremagazin, und Wolfgang Ambros widmete ihm das Musical "Der Watzmann ruft". Wie es sich für einen Alleinherrscher gehört, sind die Plätze neben ihm für seine Familie reserviert, im Osten die markante Watzmannfrau (2307 m), zwischen den beiden die angeblich sieben Kinder.

Der Hochkalter? Ist nicht Prinz, nicht Königin, sondern eher: Hofnarr.

Muskelkater ja, Ausrüstungstamtam nein

Dafür finden hier viele noch einen Platz, die keine Lust haben auf den Herrscherkult. Aber es sollte niemand den Fehler begehen, den Hofnarr zu unterschätzen, in ihm kann auch ein Teufel stecken. Allein die nackten Zahlen der Überschreitung vom Hintersee über Blaueishütte, den Schönen Fleck, Gipfel und Ofental treiben manchem den Muskelkater in die Schenkel. 18,1 Kilometer, 1900 Höhenmeter, Kletterstellen im zweiten Grad.

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(Foto: Anne Gabl)

Blick zurück: Der lange Abstieg vom Hochkalter führt durch das teils steinige Ofental. Hier sind die größten Schwierigkeiten schon geschafft.

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(Foto: Blaueishütte/Fam. Hang)

Die Tour geht ganz gemütlich los; ein zunächst breiter Weg wird später zum Pfad und führt zur Blaueishütte, die in der Mitte des Aufstiegs liegt.

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(Foto: Anne Gabl)

Vorbei an Felsblöcken - und einem steinernen Kopf - führt der Pfad nach der Hütte aufwärts zum Schönen Fleck. Dann beginnt der Spaß.

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(Foto: Anne Gabl)

Denn der anstrengendste Teil des Weges ist der beste - Schwindelfreiheit und Trittsicherheit vorausgesetzt. Im Hintergrund das Gipfelkreuz.

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(Foto: Anne Gabl)

18,1 Kilometer, 1900 Höhenmeter, Kletterstellen im zweiten Grad: Oben auf dem Hochkalter belohnt der Blick ins nebelbedeckte Tal die Plackerei.

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(Foto: Anne Gabl)

Die leichtere, aber sechseinhalb Stunden lange Aufstiegs-Variante führt durchs Ofental auf den 2607 Meter hohen Gipfel.

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(Foto: Anne Gabl)

Auf dem langen Weg zurück zum Hintersee im Ofental ist der Hochkalter, der reizvolle Nachbar des großen Watzmann, schon nicht mehr zu sehen.

Dahinter verbirgt sich zudem eine jener Touren, die noch ohne Seil und sonstiges Ausrüstungstamtam machbar sind, aber schon an der Schwelle zur alpinen Unternehmung stehen. Auch gibt es keines jener eisernen Seile, die am Watzmann über prekäre Stellen helfen.

Der Pfad führt zur Blaueishütte

Ganz gemütlich geht es los; ein breiter Weg erschließt die ersten 700 Höhenmeter, wird dann zum Pfad, der Pfad führt zur Blaueishütte. 84 Personen finden dort nach mehrmaligem Umbau Platz, nicht einmal halb so viele wie im Watzmannhaus. Zudem haben die Übernachtungsgäste hier meist andere Ziele als den Hochkalter, nämlich die wunderbaren Routen in den Wänden, die der Hütte Schatten spenden.

(Foto: N/A)

"Die Masse bei uns sind sicher Kletterer", sagt Raphael Hang, Hüttenwirt in der dritten Generation. Er selbst war zuletzt bei einer Rettungsaktion am Hochkalter vor fünf Jahren. "Da haben wir zwei Kalifornier rausgeholt." Die beiden Soldaten machten gerade Urlaub vom Irak und wollten über das extrem steile Blaueis aufsteigen.

Die Bedingungen dort ändern sich rapide, denn der nördlichste Gletscher der Alpen ist heute zu einem kümmerlichen Rest zusammengeschmolzen. Nur noch etwa zehn bis zwölf Meter soll das Eis dick sein. Wie Kleister hängt es in den Flanken des Berges. Experten geben dem Gletscher nicht mehr viel Zeit, wobei ihm schon vor einem Jahrzehnt nicht viel mehr als zehn Jahre gegeben wurden.

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So wuchtig der Gebirgsstock auch wirken mag, so ist er im Grunde doch ein fragiles, vergängliches Gebilde. Eis schmilzt, Fels bröckelt. Die Bergstürze in diesem Massiv sind legendär. Eine dieser Steinlawinen erreichte vor 3500 Jahren das Tal, schuf den Zauberwald und staute den Hintersee. Ein anderer Bergsturz verpasste dem Antlitz des Hochkalter-Gipfels zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein neues Gesicht. Gut möglich, dass der Berg zuvor nur wenige Meter kleiner war als der prominente Nachbar.

Das Beben, ausgelöst von 250 000 Kubikmetern Stein, soll noch in der Ramsau zu spüren gewesen sein; Augenzeugen berichteten von einer "die Sonne verfinsternden Staubwolke". Erst 2001 brach ein Teil aus der Flanke der Blaueisspitze. "In der Hütte", sagt der Sohn des Wirts, "wackelten damals die Gläser".

Diverse Wege unterschiedlichen Charakters

Also schnell hoch, trotz der selbst gebackenen Kuchen der Familie Hang, bevor bald gar nichts mehr übrig ist vom Berg! Im Grunde führen von der Hütte diverse Wege unterschiedlichen Charakters zum Hochkalter. Über den Gletscher? Damit machten nicht nur kalifornische Soldaten schlechte Erfahrungen.

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Die so genannte Blaueis-Umrahmung über die Grate und Spitzen an der Ostseite des Kessels? Die erfordert versiertes Klettern, weniger wegen der gelegentlich auftretenden technischen Schwierigkeiten bis zum IV. Grad als vielmehr wegen der Länge und der schwierigen Orientierung.

Für den Otto-Normal-Berggänger kommt deshalb nur die leichte Kraxelei über den Schönen Fleck in Frage. Vorbei an riesigen Felsblöcken und den Grundmauern der alten Blaueishütte, in der noch Raphaels Großvater bediente, führt der Pfad durch eine Steinhalde aufwärts. Dann beginnt der Spaß.

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Steil an einer Seite, an den anderen sakrisch steil

Wer hier nicht die alte Tourenführerfloskel von "absoluter Schwindelfreiheit und Trittsicherheit" erfüllt, wird schon bald und hoffentlich rechtzeitig umkehren. Alle anderen haben den anstrengendsten Teil des Weges vor sich - und den besten. Spätestens an den mit Latschenkiefern durchsetzten Felsen nimmt auch der letzte die Hände aus den Taschen.

Der Weg erfordert fortan mehr Steigen als Wandern. Es geht über Schrofen und Felsriegel, die längst von der Sonne gewärmt werden, während die Hütte noch im Schatten steht und in Tälern und Flachland der Morgennebel wabert. Sogar eine kleine Wand, die Schlüsselstelle, gilt es zu erklimmen.

Am Gipfel, der nach einer Seite steil und ansonsten sakrisch steil abfällt, herrscht dann doch ein reges Kommen und Gehen. Innerhalb einer Stunde klatschen mehrere Dutzend Ausflügler das Kreuz ab. Es sind fast durchweg sportliche Typen; durchtrainierte Frauen, schlanke Kerle, viele jünger als 35, dazu ein paar fette Bergdohlen, die nimmersatten Brotzeitgeier.

Watzmann ruft? Wir hören ihn nicht mehr

Eine offensichtlich routinierte Berggängerin, kurze Hose, kräftige Waden, meint: "Manchmal bin ich alleine hier. So viel war noch nie los." Sie meint die Menschen, nicht die Dohlen. Wie es wohl drüben am Watzmann zugeht, von dem die kalte, breite Schulter namens Westwand und die Zacken seiner Krone zu sehen sind?

Im Ofental, auf dem langen Weg zurück zum Hintersee, ist der Hochkalter-Gipfel schon nicht mehr zu sehen. Und sollte der Watzmann, der alte Narr, wirklich rufen: Wir hören ihn nicht mehr.

© SZ vom 02.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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