Süddeutsche Zeitung

Bergschuh:So wird ein Schuh draus

Jahrelang sind sie treue Diener auf stundenlangen Touren über Stock und Stein und dürfen keinesfalls kaputt gehen. Doch wie arbeitsaufwändig die Produktion eines Bergschuhs ist wissen nur die wenigsten. Zeit, um einem Traditionsschuster einmal über die Schultern zu schauen...

Stefan Herbke

Der Bergschuh, das ungeliebte Wesen. So ähnlich kann man die Beziehung zwischen Wanderern und ihrem Schuhwerk umschreiben. Auf Schritt und Tritt sind Schuh und Mensch über Stunden hautnah zusammengeschnürt und doch entwickelt sich kein enges Verhältnis.

Nach der Tour schnell die Schuhe ausgezogen und ab in die dunkle Ecke, bis zur nächsten Tour. Die nötige Pflege wird häufig vernachlässigt, erst wenn der Schuh Feuchtigkeit durchlässt fällt einem auf, dass Schuhe regelmäßiger Pflege bedürfen, das die heutigen Schuhe High-Tech-Produkte sind und zugleich das Ergebnis traditioneller Handwerkskunst.

Auf fast 325 Jahre Erfahrung kann zum Beispiel der bayerische Schuhmacher Meindl zurückblicken. Doch Tradition ist nicht alles. Spezielle Forschungsreihen erweitern ständig das Wissen über das Gehen, über die Abrollbewegung des Fußes und die Druckverteilung. Die Ergebnisse fließen in die Entwicklung und Konstruktion neuer Schuhe mit ein - auch hier hat längst der Computer mit CAD-Programmen Einzug gehalten -, wobei von außen der Fortschritt meist nicht zu sehen ist, beim Gehen dafür um so mehr.

Ein stabiler Schuh ist nicht leicht

Trotz allen Fortschrittes muss eines aber auch klar sein: Ein stabiler Schuh hat Gewicht. Die in vielen Bereichen des Bergsports betriebene Gewichtsminimierung greift hier nicht.

Nur wenig Änderungen gab es beim Außenmaterial der Schuhe - dem Leder. Das Naturprodukt stammt von Rindern aus Europa, vor allem aus dem Alpenraum, deren Häute in einer Gerberei in vielen Arbeitsgängen zu hochwertigem Leder verarbeitet werden. Unterschiedliche Gerbverfahren beeinflussen die Steifigkeit, Festigkeit, Struktur und Qualität des Leders.

Von wesentlicher Bedeutung ist dabei das "Hydrophobieren", d.h. das Leder soll wasserabweisend sein; die Poren müssen dabei jedoch für die Luftdurchlässigkeit frei bleiben, damit Wasserdampf nach außen entweichen kann. Kontrolliert und nach Stärke sortiert wird das Leder geliefert - und bei gleichbleibender Luftfeuchtigkeit gelagert.

Im hochwertigen Bergschuhbereich wird dabei ein Leder mit der Stärke 2,5 bis 2,7 Millimeter verarbeitet.

Erst jetzt beginnt die Arbeit der Schuhmacher, wobei bis heute viel Handarbeit im Spiel ist. Maschinen erleichtern jedoch die meisten Arbeitsschritte und sorgen für die gleichmäßige Verarbeitung, so dass die Qualität bei allen Schuhen einheitlich hoch ist.

Der Produktionsbereich gliedert sich in die Abschnitte Stanzerei, Stepperei und Bodenmontage, wobei die Arbeitsschritte aufeinander aufbauen und jeder Bereich auf eine zuverlässige und pünktliche Vorarbeit angewiesen ist. Gibt es in einer Abteilung Probleme, verzögert sich die gesamte Produktion.

In der Stanzerei werden die einzelnen Bauteile eines Schuhs vorbereitet. Riesige Stanzmaschinen schneiden aus dem Oberleder die benötigten Teile, wobei pro Schuh bis zu 20 Einzelteile gestanzt werden - und das für jede einzelne Schuhgröße!

Gleiches passiert bei den anderen Materialien wie Schaumstoff für Polsterungen und Gore-Tex als Innenfutter.

Polster auf die altbekannten Druckstellen

Der zweite Arbeitsbereich, die Stepperei, ist der zeitaufwendigste Baustein. In einem ersten Schritt werden die Stoßkanten "geschärft", d.h. dünner gemacht, damit anschließend beim Nähen keine dicken Stellen entstehen. An den altbekannten Druckstellen im Knöchelbereich und an der Ferse werden Versteifungen und Polsterungen eingeklebt.

Hier kommt zur Handarbeit noch die Dreckarbeit - der Kleber sorgt nicht nur für den perfekten Halt der einzelnen Teile im Schuh, er bleibt auch sonst überall kleben. Das Wort einkleben ist hier eigentlich nicht ganz korrekt, der Schuhmacher sagt "anheften", da der Kleber zur Erhaltung der Luftdurchlässigkeit nur punktuell wirkt.

Weitere Arbeitsschritte der Stepperei sind das Anbringen der Vorder- und Hinterkappen sowie der Hakenteile. Zusammen mit dem Innenfutter, je nach Schuh entweder aus Leder oder Gore-Tex, ist der Oberteil des Schuhs, der Schaft, fertig.

Wie nach einer Autofabrik klingt der letzte Produktionsbereich. Bei der Bodenmontage wird der Schaft mit der Sohle verbunden. Was so einfach klingt, ist in Wirklichkeit sehr kompliziert. Wenn bei diesem Arbeitsschritt gepfuscht wird, ist der gesamte Schuh reparaturanfällig.

Vor der eigentlichen Sohlenmontage wird der Schaft mit der "Brandsohle", einer Zwischensohle zwischen Einlegesohle und Profilsohle, verbunden. Hierbei muss das Leder erst einmal mit Dampf weich gemacht werden, um es anschließend mit viel Kraft über den Leisten zu ziehen und mit Druck und Kleber auf die Unterseite der Brandsohle zu kleben.

Das Können des Schuhmachers ist immer noch wichtig

Zwar helfen hier riesige Maschinen, doch letztlich hängt die perfekte und gleichmäßige Form der Schuhe von der Erfahrung und vom Können des Schuhmachers ab.

Perfekte Maßarbeit ist das Anbringen eines Gummigürtels über der Sohle. Der schützt den Schuh vor Beschädigungen, bringt aber auch Stabilität. Nur bei Leichtbergschuhen ist der Gummigürtel in der Sohle, der Schalensohle, integriert.

Mit einem speziellen Kleber, der auf die Sohle und den unteren Rand des Schaftes aufgetragen und anschließend in einem Ofen sekundenschnell bei ca. 60°C aktiviert wird, wird letztlich die Sohle mit viel Druck (4 bar) mit dem Schaft verbunden. Der perfekte Halt der Sohle wird mit einer Zange per Hand bei jedem Schuh einzeln kontrolliert.

Nach einem abschließenden Tuning, bei dem man überschüssigen Kleber abschleift und das Leder noch einmal imprägniert, werden die Schnürsenkel eingezogen, die Pflegehinweise angebracht und die Schuhe letztlich verpackt.

Je nach Modell sind von der Stanzerei bis zum Verpacken der Schuhe rund 150 einzelne Arbeitsschritte nötig (bei hochwertigen wie dem Air Revolution sogar 200), die Schuhe durchliefen diverse Qualitätskontrollen, um letztlich in einem Geschäft auf einen Käufer zu warten.

Nichts erinnert mehr an die vielen einzelnen Arbeitsschritte, kein Gedanke wird daran verschwendet, durch wieviele Hände der Schuh gegangen ist und ob auch alles noch echte Handarbeit ist, es zählt nur noch eins: der Schuh muss passen!

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