Bergführer Luis Pirpamer:"Der Ötzi begleitet mich"

Luis Pirpamer hat Tausende Bergsteiger in den Alpen geführt, berühmt wurde der 72-Jährige mit der Bergung der Gletschermumie im Ötztal - ein Rückblick auf ein langes Bergführerleben.

Stefan Herbke

Luis Pirpamer hat sein ganzes Leben in den Bergen rund um Vent im Tiroler Ötztal verbracht und zählt zu den bekanntesten Bergführern Österreichs. Auch mit 72 Jahren ist er noch so oft es geht im Alpenraum unterwegs. Bekannt wurde Pirpamer vor allem durch die Ausgrabung der Gletschermumie, die unter dem Namen "Ötzi" weltweit Schlagzeilen machte. sueddeutsche.de traf Luis Pirpamer in Vent.

sueddeutsche.de: Das Dorf Vent ist von Bergen umgeben, da muss man ja zwangsläufig zum Bergsteiger werden.

Luis Pirpamer: Ja, die Berge haben mich schon immer fasziniert. Allerdings hat der Vater davon nichts wissen dürfen. Der hatte kein Verständnis dafür, schließlich gab es in den Betrieben im Tal genug Arbeit - und er hatte bereits zwei Söhne verloren, einen davon in den Bergen. So sind wir heimlich all die bekannten Nordwände gegangen, und daheim haben sie nicht gewusst, wo der Luis ist.

sueddeutsche.de: So wurde Bergsteigen Ihr Beruf.

Pirpamer: Bergführen, das war für mich immer der Beruf Nummer eins, nur war's mir früher nie vergönnt. Es gab andere Verpflichtungen im Hotel, in der Landwirtschaft und in der Familie. Und so habe ich erst relativ spät um 1960 mit der Bergführerausbildung angefangen - nicht zuletzt, weil meine Frau mich dabei unterstützt hat. In die Berge gehen und vor allem führen, das ist das Höchste was es gibt.

sueddeutsche.de: Worin liegt der Schlüssel für den Gipfelerfolg einer Gruppe?

Pirpamer: Der Führer richtet sich immer nach dem Schwächsten in der Gruppe, es sollen ja alle sicher auf den Gipfel kommen. Und mit Langsamkeit erreicht man viel, die Leute haben Zeit zum Schauen und sehen so auch Kleinigkeiten. Ich sag' immer: "Ihr dürft's nicht so viel reden, sonst geht euch das Benzin aus".

sueddeutsche.de: Gehen jüngere Kollegen anders an die Sache heran?

Pirpamer: Da gibt es wenig Unterschiede, die jungen Bergführerkollegen sind alle bestens ausgebildet. Ältere und erfahrene Bergführer sind ihnen dafür in manchen Dingen wie dem Umgang mit dem Gast dann doch voraus. Wir nehmen uns einfach noch mehr Zeit und haben mehr persönlichen Kontakt. Junge Bergführer lotsen ihre Kunden manchmal schon nachmittags auf Hütten, während sie selbst erst am nächsten Morgen mit dem Motorrad "anreisen".

sueddeutsche.de: Bei weit über 200 Touren pro Jahr, gibt es da noch Höhepunkte?

Pirpamer: Das hängt immer von den Leuten ab, mit denen man zusammen ist. Wenn Du auf klassischen Gipfeln wie dem Matterhorn oder dem Montblanc unterwegs bist und hier die richtigen Gäste dabei hast, dann bleibt das unvergesslich. Aber ich bin auch daheim glücklich, denn selbst die hundertste Tour auf die Wildspitze kann außergewöhnlich sein und einmalige Erlebnisse bieten.

sueddeutsche.de: Einmalig war auf jeden Fall der Fund der 5300 Jahre alten Gletschermumie oberhalb der Similaunhütte, die als "Ötzi" weltberühmt wurde ...

"Ötzi wird mich noch mein Leben lang begleiten"

Pirpamer: Ich kam gerade von der Wildspitze, als mein Sohn Markus von der Similaunhütte anrief und mir von der Mumie berichtete. Aufgrund des Fundortes im Grenzbereich hab ich dann die Italiener angerufen, doch die meinten, das sollen die Österreicher machen.

Anhand der Beifunde haben wir dann schon beim Graben gemerkt, das der "Ötzi" wohl länger im Eis lag. Aber dass der gleich so alt ist, daran hat keiner gedacht. Als der Reinhold Messner bei seiner Südtirol-Umrundung an der Fundstelle vorbeikam und sagte, die Mumie müsse mindestens 500 Jahre tot sein, da haben wir uns gedacht, der Reinhold übertreibt wieder maßlos.

sueddeutsche.de: Was halten Sie von dem Rummel um die Gletschermumie?

Pirpamer: Ötzi wird mich noch mein ganzes Leben begleiten. Ich war schon öfters mit Journalisten bei der Fundstelle und im Museum in Bozen, das sehr gut gemacht ist. Doch der ganze Rummel um Ötzi ist reine Geldmacherei. Das Ötzi-Dorf in Umhausen etwa hat mit Ötzi gar nichts zu tun.

sueddeutsche.de: Sieben Personen, die mit dem Fund direkt oder indirekt zu tun hatten, darunter der Ötzi-Entdecker Helmut Simon, sind bereits gestorben. Glauben Sie an einen Ötzi-Fluch?

Pirpamer: Da mache ich mir überhaupt keine Gedanken. Selbst bei meinem schweren Skiunfall letzten Winter hab ich keine Sekunde daran gedacht.

sueddeutsche.de: Beim Fahren auf der Piste hat ein Unbekannter Sie umgefahren und schwer verletzt.

Pirpamer: Ja, die Kopfverletzungen waren sehr schlimm. Ich war wochenlang im Krankenhaus und musste alles neu lernen - reden, laufen. Auch wenn ein Innsbrucker Arzt meinte "Luis, das Glück, das du hast, gibt's normalerweise gar nicht", der Fortschritt war sehr langsam. Da habe ich schon mal gedacht "Also, wenn das nicht besser wird, wär's mir lieber, ich würde tot sein". Umso mehr freue ich mich über die Aufwärtsbewegung in den letzten acht Wochen, die Freude darüber kann ich gar nicht beschreiben.

Die schönsten Momente am Berg

sueddeutsche.de:Sie sind jahrzehntelange auf Berge gestiegen. Waren Ihnen da die Alpen genug oder hat es Sie auch auf die höchsten Berge der Welt gezogen?

Pirpamer: Das Höhenbergsteigen und die 8000er haben mich nicht so gereizt, dennoch war ich einmal am K2 im Karakorum auf der Grenze von Pakistan und China unterwegs. Doch nachdem sich bei einem Schweizer Bergführerkollege Anzeichen für ein Höhenödem (der Bergsteiger hat zu wenig Stickoxid in der Lunge, deren Blutgefäße ziehen sich zusammen, es kommt zu Atemnot, Husten und Herzrasen, Anm. d. Red.) zeigten, mussten wir umdrehen. Das war für mich gar keine Frage, sondern Pflicht. Mit meinen Stammgästen, mit denen ich viel in den Alpen unterwegs war, bin ich allerdings immer wieder ins Ausland gefahren, aber nur auf 5000er und 6000er - allein sieben Mal ging es auf den Kilimandscharo in Tansania.

sueddeutsche.de: Nehmen Sie als Bergführer die Veränderungen an den Gletschern wahr?

Pirpamer: Ja, vieles ändert sich und wir merken es bei jeder Tour. Der Gletscherrückgang und das Auftauen des Permafrost-Bodens machen viele Anstiege schwieriger, teils sogar ungangbar. Wo früher noch Eis war, findet man heute häufig extrem instabile Blockhalden oder nur noch klägliche Gletscherreste.

sueddeutsche.de: Was sind für Sie die schönsten Momente am Berg?

Pirpamer: Der Höhepunkt ist sicher immer am Ende einer Tour oder eines alpinen Erlebnisses. Wenn man merkt, dass die Leute etwas erlebt haben, das über ihre Vorstellungen hinausgeht und sie einfach nur glücklich und zufrieden sind. Das merkt man ganz schnell in den Augen und der Stimmung der Gäste.

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