Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Ende der Reise":Gipfel-Trip

Eine Studie soll nun herausgefunden haben, dass Berge süchtig machen können. Die Betroffenen wussten das freilich schon immer.

Glosse von Dominik Prantl

Ernest Hemingway behauptete einmal, es gebe nur drei echte Sportarten, nämlich Bullfighting, Motor Racing und Mountaineering, also Stierkampf, Autorennen und Bergsteigen. Der Rest seien schiere Spiele. Der Nobelpreisträger für Literatur ("Der alte Mann und das Meer") bleibt mit dieser Meinung schon allein deshalb nicht frei von Gegenrede, weil etwa Reinhold Messner als eine Art ungekürter Nobelpreisträger für Bergsteigen wie für Gegenrede zumindest das Bergsteigen partout nicht als Sportart verstehen möchte, sondern mehr als eine "Eroberung des Nutzlosen".

Überhaupt wäre ein Gespräch zwischen Hemingway und Messner schon allein deshalb interessant, weil der alte Abenteurer, also Messner, in einem Interview einmal sagte, das Meer sei eine "großartige Nichtlandschaft" und er habe dort nie Urlaub gemacht. Leider starb Gelegenheits-Hochseefischer Hemingway, bevor Messners Urlaube irgendjemanden interessierten.

Jenseits aller Debatten über Sportart und Nutzlosigkeit will die Medizinische Universität Innsbruck für Psychiatrie mithilfe einer Online-Erhebung nun zumindest herausgefunden haben, wozu sich Bergsteigen entwickeln kann: einer Sucht. Gerade unter Extrembergsteigern, so der Tenor der Studie, zeigten sich häufig klare Anzeichen einer Abhängigkeit - wie der Drang nach einer stetigen Dosissteigerung (vulgo: mehr und schwierigere Touren und Gipfel) oder Entzugssymptome.

Von den Betroffenen selbst dürfte da wiederum nicht einmal Messner widersprechen. Der bayerische Huberbua Alexander hat etwa schon mit seinem Buch "Der Berg in mir" zwar nicht auf einen "Zustand periodischer oder chronischer Vergiftung" - wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Sucht einmal definierte - hingewiesen. Aber zumindest auf einen Zustand periodischer Angstzustände und chronischen Aufwärtsdrangs jenseits aller Gesundheitsaspekte. Sogar der eher ansatzweise zu philosophischen Betrachtungen neigende Hans Kammerlander gab seinem Werk vor mehr als 20 Jahren den Titel: "Bergsüchtig". Der Untertitel: Klettern und Abfahren in der Todeszone.

Mag die Studie vordergründig also nur den wissenschaftlichen Anstrich für das geben, was die Kammerlanders und Huberbuam dieser Welt schon immer wussten, bedeutet sie für die Gelegenheitsbergsteiger und Genusswanderer, kurz: den Bergtouristen, eine deutliche Aufwertung. Dürfen sie doch auch dann noch weitgehend ambitionslos durch die von Extremisten mal belächelten, mal verachteten Klettersteige und Anfängerrouten turnen, während der gipfelgeile Bergsüchtige zum Entzug auf die großartige Nichtlandschaft hinausmuss wie der alte Mann bei Hemingway.

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