Süddeutsche Zeitung

Hochwildalm:Wo ein Ex-Bundesligaprofi Weißbier serviert

Wolfgang Feiersinger kickte früher bei Borussia Dortmund - heute ist er Wirt auf der Hochwildalm bei Kitzbühel. Ein Besuch.

Von Dominik Prantl

Dieser Beitrag ist erschienen am 8. Oktober 2015. Wir haben den Text unverändert gelassen.

Vor einer ganzen Zeit schon war einmal der Möller Andy hier oben. Ausgerechnet Andreas Möller, der als Spieler nicht nur sämtliche Titel von der hässlichsten Schwalbe aller Zeiten bis zur Weltmeisterschaft gewann, sondern wegen seines Rufs als notorisches Weichei mit dem Spitznamen Heintje (Mama, du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen) ebenso in die Annalen einging wie mit seiner wirklich unvergesslichen Stilblüte: "Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien."

Aber selbst Andreas Möller weiß, wo Aurach bei Kitzbühel liegt, und den etwa ein Fußballspiel dauernden Marsch hoch zur Hochwildalm hat er entgegen aller Heintje-Unkenrufe offenbar problemlos gemeistert. Auf jeden Fall stand er eines Tages an der Hochwildalm vor dem überraschten Wolfgang Feiersinger, der dazu heute sagt: "Da hätte ich auch nicht damit gerechnet."

"Meine Interessen sind einfach anders"

Feiersinger ist - noch so eine Fußballweisheit - kein Möller. Aber er hat vier Jahre mit ihm bei Borussia Dortmund gespielt, wie auch mit Stefan Reuter, mit Matthias Sammer und Michael Zorc. Feiersinger, Möller und all die anderen feierten in den Neunzigern Erfolge, wie es sie in Dortmund nicht einmal später unter Klopp gegeben hat, unter anderem den Gewinn der Champions League. Nach solchen Großtaten werden die Fußballspieler gerne große Trainer oder noch größere Klub-Manager, und wenn sie nicht Trainer oder Manager werden, dann werden sie Kaiser oder wenigstens Fernsehexperten. Der Reuter und der Zorc haben das so gemacht und managen jetzt Augsburg und Dortmund, der Sammer ist inzwischen im Vorstand des FC Bayern ganz groß, und der Möller hätte das auch gerne so hingekriegt.

Feiersinger ist kein Möller und erst recht kein Sammer. Er arbeitete zwei Jahre als Trainer bei Red Bull Salzburg, im Jugendbereich. Dann wurde er Wirt auf der Hochwildalm. "Meine Interessen sind einfach anders als die der Ex-Kollegen."

"Ich brauche die Natur"

Man sieht das auch. Der Oberkörper erinnert eher an den eines Kletterers als eines emeritierten Kickers, die langen Haare dürfte sich als Fußballexperte heute nicht einmal mehr Günter Netzer leisten. Feiersinger weiß: "Es ist nicht leicht, sich nach der Karriere zu orientieren." Aber es gibt nun mal ein Leben nach dem Fußball und für Feiersinger, 1965 in Saalfelden geboren, heute wohnhaft in St. Johann, war das Leben in den Bergen immer wichtig. "Ich bin ein einfacher Mensch mit starken Wurzeln. Ich brauche die Natur, nicht diesen ganzen Schnickschnack."

Der Österreicher hat sich 2009 mit der Hochwildalm, einer Hütte der Naturfreunde, also eine neue Spielwiese gesucht, fern von den Kameras und Golfplätzen und den Riesengehältern, zusammen mit seiner Freundin Karin Rass. Auf die Terrasse vor der hölzernen Hütte wirft die Sonne schon früh ihre Strahlen, trotz der Zweitausender außen herum. Es gibt ein schlichtes Matratzenlager. Etwas entfernt vom Hauptgebäude ein Holzverschlag mit der Aufschrift "Liebeslaube". Zum Käseeinkauf fährt Feiersinger mit dem Motorrad auf die nächste Alm, neben der Küchentür hängt ein Schild mit der Aufschrift: "Kehre lieber heute auf der Wildalm ein, als morgen beim Therapeuten zu sein." Schickimicki geht anders.

Dabei war auch er zwischenzeitlich nicht ganz so genügsam. "Früher habe ich viel mehr gebraucht", sagt Feiersinger, "Autos, Kleidung, das ganze Programm eben." Er sei ein Herumirrender gewesen, gefangen in der "Scheinwelt des Fußballs. Da bewegt man sich doch nur in gewissen Kreisen. Und es wird immer weiter auf die Spitze getrieben."

Sind die Berge denn nicht auch eine Scheinwelt, Wolfgang Feiersinger? "Natur kann keine Scheinwelt sein."

Ruhig, überlegt, bescheiden, so wurde er schon als Spieler bezeichnet; statt an die große Show hielt sich der Mann fürs Defensive lieber an die Pflichterfüllung. Noch heute sagt er eher einen Satz weniger als einen zu viel. Aber nach einiger Zeit beginnt er zu reden, ruhig, bescheiden, schnörkellos.

"Ich mache mir schon meine Gedanken", sagt er. Über die Zweiklassengesellschaft da unten, in der Großkonzerne mit "Lug und Trug" agierten, während die Mittelschicht zahlen müsse; über den Wintertourismus, der "uns in Österreich groß gemacht hat, der aber immer mehr ausgereizt wird"; und über den Winter, wenn er in anderen Alpenregionen auf Skitour gehen möchte, weil ihn "die Grasberge hier nimmer erfüllen".

Reiseinformationen

Anreise: Von Aurach bei Kitzbühel nach der BP-Tankstelle links abbiegen und dem Straßenverlauf in Richtung Wildpark folgen. Nach etwa dreieinhalb Kilometern an einer scharfen Linkskurve auf dem unübersehbaren Parkplatz parken. Ab hier zu Fuß der Beschilderung folgen.

Übernachtung: Hochwildalm, zehn Schlafplätze im Matratzenlager, noch bis 15. Oktober täglich geöffnet, Herbst- und Winterbetrieb je nach Wetter bzw. Schneelage vor allem an Wochenenden und Feiertagen; Informationen unter www.hochwildalm.at, Telefon 00 43/6 76/3 03 36 31.

Touren: Unter anderen sind in je nur eineinhalb Stunden die Aussichtsberge Bischof (2127 m) und Großer Gebra (2057 m) zu erreichen.

Und außerdem: "Ich habe noch einige Rechnungen offen." Er meint unerledigte Touren, nicht Gegner. Dolomiten oder Westalpen, Hauptsache Berge.

Sein letzter Sommer auf der Hochwildalm?

Dennoch kann es sein, dass es sein letzter Sommer auf der Hochwildalm war. Klar, die Saison übertraf die Erwartungen vieler Hüttenwirte. So meldete der Österreichische Alpenverein dank des heißen Sommers ein Plus von 15 Prozent bei den Übernachtungen und Tagesgästen. Und Feiersinger weiß: "Das ist hier eine wunderschöne Umgebung."

Nur sei der Hüttenbetrieb ein zweischneidiges Schwert. Sieben Tage die Woche, zwölf Stunden täglich, da ist er im Oktober, wenn die Hütten traditionell ihr Finale bestreiten, "geistig noch leerer als am Ende einer Fußballsaison". Es gebe daher noch das ein oder andere Gespräch mit den Naturfreunden als Besitzern zu führen. Dann will er spontan entscheiden, ob er weitermachen wird. "Ich bin ein Bauchmensch, nicht der große Planer."

Die Hüttenterrasse füllt sich, eine Gruppe Gäste kommt, darunter einer im Trikot von Borussia Dortmund. Feiersinger meint: "Des g'fällt ma." Er verfolgt die Bundesliga und den Klub, mit dem er und Möller so erfolgreich waren, ja auch hier oben noch immer gerne, trotz der Dominanz der Bayern, trotz Scheinwelt und Schnickschnack. Denn der Fußball an sich sei ja immer noch der schönste Sport. "Was wollt's trinken", fragt Feiersinger.

Dann holt der ehemalige Bundesliga-Profi seinen Fans das Weißbier.

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Quelle:
SZ vom 08.10.2015/jana
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