Berg Olympus in den USA:Zweite Heimat des Zeus

Am gletscherbedeckten Olymp im US-Bundesstaat Washington wüteten einst Donnervogel und der Riese Tataquial - heute poltert das Olympische Komitee wegen des Namens.

Peter Linden

Es gibt Momente, da stockt selbst einem erfahrenen Ranger wie Jon Preston noch der Atem. Es war ein hübscher Frühlingstag, und der 50-Jährige war auf dem harmlosesten aller Spazierwege des Olympic National Park im US-Bundesstaat Washington unterwegs, da stand ihm plötzlich ein Berglöwe gegenüber. In aller Ruhe zog das Raubtier ein erlegtes Reh über den Pfad, während Jon Preston jeden Moment damit rechnen musste, dass Touristen vorbeikommen würden.

Und noch während die braune, leopardgroße Katze am Wegesrand mit ihrer dreitägigen Mahlzeit begann, evakuierten Prestons herbeigefunkte Kollegen den Weg an der Hurricane Ridge und sperrten ihn so lange, bis vom Berglöwen und seiner Beute nichts mehr zu sehen war.

Geschichten vom Berglöwen gehörten lange Zeit zum Aufregendsten, was der Nationalpark rund um den 2428 Meter hohen Mount Olympus zu bieten hatte. Ansonsten ging es beschaulich zu im nordischen Regenwald im äußersten Nordwesten der USA. Die wenigen Bewohner, Zuwanderer wie Nachfahren von acht Indianerstämmen, lebten friedlich in ihren kleinen Städten und Reservaten. Touristen erschreckte man mit einem Büchlein mit dem Titel "Wie man vermeidet, von Tieren gefressen zu werden".

Man freute sich darüber, dass derlei Nervenkitzel Jahr für Jahr etwas mehr Besucher anlockte. Bis das Olympische Komitee die Winterspiele 2010 nach Vancouver im benachbarten British Columbia vergab und plötzlich der Tatsache gewahr wurde, dass da ein Berg, ein Nationalpark, ja sogar die Hauptstadt des US-Bundesstaats Washington den Namen Olympias trugen.

Und mehr als das: Sie fanden eine olympische Ambulanz, eine olympische Augenklinik, olympische Apartments, ein olympisches Autozentrum, eine olympische Baptistenkirche, das olympische Kino, einen olympischen Mädchenchor, eine olympische Wildfarm, olympische Dachdecker und ein olympisches Krematorium.

Mehr als 500 Betriebe fanden sie auf der olympischen Halbinsel, eine Fahrstunde von Seattle entfernt, die allesamt das heilige, geschützte, sündteure Wort "olympisch" im Namen trugen.

Für eine Umbenennung des gletscherbedeckten Gipfels, das sahen die Marketingexperten in Genf und am Sitz des Nationalen Olympischen Komitees in Colorado Springs wohl ein, war es zu spät. Den hatte der britische Kapitän John Meares im Jahr 1788 im Vorbeifahren Mount Olympus getauft, weil er ihn für einen standesgemäßen Sitz der neuen Götter der neuen Welt hielt. Auch gegen den Nationalpark konnte man schlecht eine Klage anstrengen, den hatten die Amerikaner immerhin schon 1938 eingerichtet, zu Zeiten, da das IOC ganz andere Sorgen hatte, als seine Marke zu schützen.

Dann aber wagte es Kathy Charlton, ihre kleine Weinkellerei Olympic Cellars Winery zu nennen, obwohl die Winterspiele von Vancouver längst ihren offiziellen Wein hatten - einen Merlot und einen Chardonnay aus kanadischer Produktion.

Wie ein wütender Riese den Olymp auftürmte, lesen Sie auf der nächsten Seite ...

Zeus und der Donnervogel

Kurz darauf gab der ortskundige Jason Bausher auch noch eine 56-seitige Broschüre mit dem Titel "Das Beste der olympischen Halbinsel" heraus. Wie Kathy Charlton verwendete er zwar weder Logos und Symbole der Olympischen Spiele noch stellte er irgendeine Beziehung dazu oder zu den offiziellen Sponsoren her - und doch sahen er und die Winzerin sich mit millionenschweren Schadenersatz-Drohungen konfrontiert.

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(Foto: Grafik: SZ)

Mit einem Mal war ein Medienrummel um den Mount Olympus entstanden, wie ihn 20 der seltenen Berglöwen nie hätten entfachen können.

Was Jon Preston und seine Ranger-Kollegen von den Vorstößen der Olympia-Bürokraten hielten, verewigten sie liebevoll auf einem selbstgemalten Poster, sichtbar für alle im Besucherzentrum des Hoh-Regenwalds: die berühmten fünf Ringe, in die sich glibberig und schleimig eine der endemischen Nacktschnecken windet. Ansonsten hat sich die vom Olympischen Komitee der USA angezettelte Aufregung ebenso schnell wieder gelegt, wie sie entfacht wurde, weshalb manche Einheimische dahinter nichts weiter als eine Einschüchterungskampagne vermuten.

Es herrscht wieder Frieden unterm Olymp, fast wie zu Zeiten von John Meares, als die Europäer noch um ihre Siedlungen an den Küsten rangen und die lokalen Indianerstämme seinem Gipfel so fernblieben wie nur irgend möglich.

Das Wesen, das sie abschreckte, hieß Thunderbird, Donnervogel. Die indianische Mythologie beschreibt ihn als gigantisches Ungetüm mit Federn so lang wie Kanus und von ungeheurer Kraft. Eines Tages, als die Indianer unter einer schrecklichen Hungersnot litten, flog Donnervogel hinaus aufs Meer, ergriff einen Wal und schleuderte ihn zwischen die Menschen. Woraufhin diese nicht nur satt, sondern zu passionierten Walfängern wurden. Donnervogel aber zog sich in seine Höhle unterhalb des höchsten Gipfels zurück, von wo er zuweilen Blitze und eisige Fluten zu Tal schickte.

"Heimat des Donnervogels" wurde daher zu einem der indianischen Namen für den amerikanischen Olymp. Auch die Worte oelski und sunado sind überliefert, doch kennt niemand mehr ihre Bedeutung.

Erstaunlich, wie ähnlich sich Donnervogel und der griechische Zeus sind: ambivalent den Menschen gegenüber, launisch und verwandlungsfähig. John Morganroth, einer der letzten Geschichten-Erzähler der Quileute-Indianer, kennt sogar einen weiteren, sehr olympischen Mythos zur Entstehung der höchsten Berge auf seiner Halbinsel.

Demnach trafen sich die Stämme auf einer riesigen Ebene zu friedlichen, sportlichen Wettkämpfen. Diese missfielen jedoch dem Riesen Tataquial, der daraufhin so lange wütend mit Felsbrocken nach den Sportlern warf, bis sich der heutige Mount Olympus aufgetürmt hatte.

In modernen Zeiten sind es weder Donnervogel noch Tataquial oder Berglöwen, welche Wanderer vom Gipfel des Mount Olympus fernhalten.

Warum man sich diesen Berg verdienen muss, erfahren Sie auf der nächsten Seite ...

Bäume, hoch wie Kirchtürme

Es ist der ungeheuer weite Weg, den Götter und Routenplaner des Nationalparks vor die Besteigung gelegt haben: 30 Kilometer windet sich der Track bis zum Fuß des Berges. Er beginnt weit unten, mitten im Hoh-Regenwald nahe der Westküste, in dem dauernder Nebel, Niesel und Regen eine schaurig-schöne Kulisse aus Baumriesen und Moosen geschaffen haben.

Hoch wie Kirchtürme wachsen die größten Nadelbäume hier empor, manche haben einen Umfang von mehr als zehn Metern. Ihre Wurzeln umklammern die modernden Reste umgestürzter Artgenossen und verschwinden schließlich durch ein Gestrüpp aus Farn im weichen Boden. Von den Ästen hängen grüngelbe Flechten.

Drei Mal ist Jon Preston hier entlangmarschiert, auf diesen 30 Kilometern bis zur Zunge des Blauen Gletschers, einer Strecke, für die viele mindestens zwei Tage benötigen. "Du brauchst eine großartige Beziehung zu deinen Schuhen", sagt Preston. Um Mitternacht, am liebsten bei Vollmond, stieg er dann weiter über den Gletscher hinauf zum Snow Dome, 400 Höhenmeter ohne echten Stand.

Danach kletterte er zum Westpeak, dem falschen Gipfel, ehe er nach vielen Höhenmetern und langer Kletterei endlich auf der Gipfelplattform stand. "Man muss sich den Kontakt zu diesem Berg verdienen", findet der Ranger und wünscht sich, er könnte die Tour ein viertes Mal machen: mit dem ehemaligen Präsidentschafts-Kandidaten und Umweltaktivisten Al Gore.

Die anderen, jene, die nicht zu den glücklichen Dreihundert gehören, die pro Jahr die insgesamt 70 Kilometer Fußmarsch und 2400 Höhenmeter bewältigen, suchen ihre Begegnung mit indianischen und griechischen Göttern derweil auf kleinen Spaziergängen zu Wasserfällen oder auf Touren zu Bergseen und über einsame Pässe. Sie begegnen dabei Bergbibern und Elchen, Flussottern und Nacktschnecken, Lachsbeeren und Klee, der nach Äpfeln schmeckt.

Manche ziehen die Nacht im Zelt dem Komfort der Lodges am Fuß des Massivs vor. Sie lauschen dann weit hinaus in den Wald und tief in sich hinein.

Man soll seine Nahrungsmittel niemals offen liegenlassen, immer zu zweit gehen, und wenn der Berglöwe kommt, ja dann, so steht es in dem Büchlein "Wie man vermeidet, von Tieren gefressen zu werden", dann soll man ihm tief in die Augen sehen, auf keinen Fall fliehen und sich größer machen, als man ist. Derlei Gedanken mäandern durch die Köpfe der Parkbesucher, bevor sie einschlafen.

Doch wenn sie dann wieder wandern, schleicht sich der Berglöwe langsam davon. Und es bleibt nichts als dieser Wald, der aussieht, wie alle Wälder aussehen würden, hätten die Menschen sie nicht zu Forsten gemacht, angetreten in Reih' und Glied zur großen Holzernte.

Informationen

Anreise: Lufthansa fliegt täglich von Frankfurt nach Seattle, hin und zurück ab 567 Euro. Vom Flughafen Seattle-Tacoma bis zum Nationalpark sind es zwei bis vier Fahrstunden. Günstige Mietwagen bietet Alamo.

Unterkunft: Im oder am Nationalpark gibt es fünf empfehlenswerte Lodges zu Preisen zwischen 75 und 300 US-Dollar pro Wohneinheit. Lake Crescent Lodge; Sol Duc Hot Springs Resort; Quileute Oceanside Resort; Kalaloch Lodge; Lake Quinault Lodge. Zudem gibt es Zeltplätze (zehn bis 15 Dollar).

Auskünfte: Olympic Peninsula Visitor Bureau, 338 West First Street, Port Angeles, WA 98362, USA

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