Berchtesgadener Land:Ganz schön stur

Berchtesgaden und sein Umland haben sich eine gewisse Resistenz gegen Einflüsse von außen bewahrt. Das macht ihren Charme aus, doch selbst vorsichtige Weiterentwicklungen werden so verpasst.

Dominik Prantl

Im Herbst, wenn die Touristiker in ihren worthülsenreichen Werbeschreiben goldgelbe Blätter so lange tanzen lassen, bis der Schnee die Bergspitzen anzuckert, wenn es mit den Übernachtungszahlen sukzessive bergab geht, weil die Schönwettertouristen einen Besuch in den Bergen so beharrlich verweigern, als fühlten sie sich nur in der Masse des Sommers wohl, dann ist die beste Zeit für einen Ausflug nach Berchtesgaden.

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Wo es am schönsten ist rund um Berchtesgaden, darüber gehen die Meinungen auseinander.

(Foto: BGL Tourismus)

Mit Kennern der Gegend lässt sich freilich trefflich darüber diskutieren, ob es so etwas wie eine beste Jahreszeit für die Berge um Berchtesgaden denn gibt. Und was meint der Ausflügler überhaupt, wenn er "nach Berchtesgaden" fährt? Den namensgebenden Ort, der in seiner Langweiligkeit ganz hervorragend mit der Umgebung kontrastiert? Den Landkreis Berchtesgadener Land? Die grenzüberlappende Gebirgsgruppe Berchtesgadener Alpen? Oder doch eine in den Touristenköpfen sich manifestierende Vorstellung vom Berg und Tal gewordenen Paradies, die nichts mit administrativen Grenzen zu tun hat?

Die Region Berchtesgaden wirkt, als habe ein sparsamer Planer all das Wunderbare und auch Wundersame für sein großes Finale vor sich hergeschoben - und am Ende schließlich so lange in den südöstlichsten Teil des Landes gestopft, bis dieser als Zacken ins benachbarte Österreich ragte. Im Zentrum dieser deutschen Halbinsel liegt, einem Fjord ähnlich, der Königssee, umrahmt von Kalkmassiven. Das dominanteste davon rief als Watzmann nicht nur Künstler von Caspar David Friedrich über Ludwig Ganghofer bis Wolfgang Ambros zu Pinsel, Feder und Gitarre. Die 1500 Meter hohe Ostwand zählt auch für Bergsteiger, Hobbyfotografen und Schwärmer zu den Klassikern im Alpenraum.

Beim schönsten Platz gehen die Meinungen auseinander

Das ist typisch für Berchtesgaden: Die Sehenswürdigkeiten grenzen niemanden aus, weder den bloßen Landschaftsbewunderer noch den sportlich Ambitionierten. Deshalb bringt auch die Suche nach dem schönsten Platz kein mehrheitsfähiges Ergebnis. Der Hintersee muss es sein, so der Kunsthistoriker mit einem Faible für Romantik. Alles nichts gegen eine Pfingsttour auf der Rossfeldpanoramastraße, kontert der Motorradler. Die Große Reib'n auf Tourenskiern, das ist es, behauptet der Wintersportler. Und so geht es weiter. Den befreundeten Kletterer treibt es sommers in den Blaueiskessel, der Kollege im Ruhestand schwärmt vom herbstlichen Gotzenalmblick, selbst die Kinder haben eine klare Meinung: Salzbergwerk und Watzmanntherme. Im Winter.

Streitobjekt, Schandfleck, Sehnsuchtsort. Wen hat diese Ecke in seiner Geschichte nicht alles bedient, wer hat sich nicht alles an ihr bedient! Früh mit Salzreichtum gesegnet, wurden Berchtesgaden und die angrenzenden Gemeinden hin- und hergeschoben zwischen dem Kurfürstentum Salzburg, Bayern, Österreich, sogar Napoleons Frankreich. Adolf Hitler missbrauchte die Kulisse für seinen Führerkult, hofierte Staatsgäste und gab sich auf seinem Feriendomizil am Obersalzberg so volks- wie naturnah. Die hässliche Propaganda tat dem Aufschwung als Touristendestination nach dem Krieg keinen Abbruch. Als die Mauer fiel, befriedigten Gäste aus dem Osten in Scharen hier ihr Verlangen nach dem Bilderbuchbayern.

Resistent gegen Einflüsse von außen

Dieses Bild verkörpern auch die Einheimischen. Sie scheinen dank Tracht, Dialekt und der bayerischen Portion Sturheit eine gewisse Resistenz gegen Einflüsse von außen zu besitzen, sie bleiben authentisch bis an die Schmerzgrenze. Da ist beispielsweise der Rennrodler Georg Hackl, der überall auf der Welt Rennen gewann und dennoch nie seinen Ruf als rodelnde Weißwurst ablegen konnte. Und es auch nicht wollte. Die Kletterbrüder Thomas und Alexander Huber wirken auch deshalb unter ihrem Markennamen Huberbuam so glaubwürdig, weil es ein Teil von ihnen trotz all der Antarktisabenteuer, Patagonientrips und Yosemite-Klettereien nie aus Berchtesgaden heraus geschafft hat.

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Motiv für Millionen:Die Wallfahrtskapelle St. Bartholomä vor der Watzmann-Ostwand. 

(Foto: BGL Tourismus)

Oder Hubert Ilsanker, jener Enzianbrenner, der stets als Hubsi ("Hubert nennen mich die Leute nur, wenn sie etwas von mir wollen") in Lederhosen vor die Kamera tritt und dabei immer noch an den Lausbub aus einem Heimatfilm erinnert. Wer genau hinhört, entdeckt zwischen vielen Blödeleien und seiner überzeugenden Rolle als Wahrer der Tradition echte Bonmots. "Weißt du", sagt er dann beispielsweise, "das Enzianbrennen, das kannst du nicht einfach irgendwie beschleunigen."

Letztlich gilt das auch für die Erholung. Sie lässt sich nicht beschleunigen, nicht mit den größten Wellnessanlagen und den effektivsten Workouts. Auf der Suche nach der Faszination der Berchtesgadener Berge landet man trotz der Hacklschorschis und Hubsis deshalb irgendwann bei Michael Vogel, einem zugereisten Franken. Er ist seit elf Jahren Leiter des Nationalparks Berchtesgaden, dem einzigen im deutschen Alpenraum. Er arbeitete bereits in der Antarktis und in Patagonien, sagt nun aber: "Ich habe nicht den Wunsch, woanders hinzugehen."

Man kann die Nationalparkidee geradezu absurd finden. Ist sie doch ein Hinweis dafür, dass es Gesetze braucht, um Menschen in ihrem Selbstzerstörungstrieb zu bremsen. Was hätte eine Seilbahn auf den Watzmann, deren Bau 1978 durch die Gründung des Nationalparks verhindert wurde, nicht an Geld in die Kassen gespült! Oder aber: Was wäre die Gegend dann noch wert, die Ostwandtour, der Gotzenalmblick, sogar die Motorradfahrt?

Vor zehn Jahren haben Geografen der Universität München zu ermitteln versucht, wie viele Arbeitsplätze das Schutzgebiet schafft, indem es Gäste anlockt. Die Studie implizierte die Frage, ob sich relativ unverfälschte Natur tatsächlich in griffige wirtschaftliche Kenngrößen pressen lässt. Man kam auf 206 Arbeitsplätze.

Erschwert werden solche Rechnungen durch die Tatsache, dass der Nationalpark in Berchtesgaden keine einzelne Attraktion ist. Er sichert vielmehr die Rahmenbedingungen für ein Mosaik, das es so in Deutschland sonst nicht gibt. Vogel bezeichnet Berchtesgaden als "in seiner Kompaktheit einzigartig in Deutschland". Dann schwärmt er von Geologie, Vegetationsstufen, Artenvielfalt. Der Nationalpark stellt dabei zwar die Natur mit all den Auerhähnen, Hirschen und Steinböcken in den Vordergrund, ohne aber den Menschen zu vergessen. Uralte Rechte wie das Bewirtschaften der Almen oder die Lizenz zum Enzianbrennen bleiben bestehen.

Und während sich andere Regionen mit vielen Millionen Euro aufhübschen, um viele Gäste anzulocken, braucht Berchtesgaden das nicht. Es ist eine Naturschönheit im Wortsinn. Oder wie Vogel sagt: "Uns fehlt nur ein Meeresstrand und ein Vulkan. Sonst ist alles da."

Gestalterische Ideen im Stadtbild fehlen

Tatsächlich bauen die Gemeinden so sehr auf ihre natürliche Anziehungskraft, dass sich an der Unterkunftsstruktur in den vergangenen vier Jahrzehnten kaum etwas geändert hat. Überhaupt entstehen immer dort Risse im Profil, wo nicht Nationalparkrichtlinien, sondern gestalterische Ideen gefragt sind.

Die Belebung des Berchtesgadener Ortskerns wurde weitgehend dem Hotel Edelweiß überlassen, statt sich mit einem autofreien Zentrum klar zu positionieren. Und das kleine Skigebiet am Jenner von bestenfalls regionaler Bedeutung hätte vor wenigen Jahren in einen einzigartigen Skitourenpark verwandelt werden können. Doch lieber übten sich die Verantwortlichen in den bekannten Reflexen und stellten die Beschneiung bis hinab auf 600 Meter sicher. Für rund vier Millionen Euro.

Was dagegen ein Ausflug in Berchtesgadens Natur kostet? Der ist gratis und eigentlich unbezahlbar.

Informationen:

Anreise: Mit dem Auto auf der A8 Richtung Salzburg bis zur Ausfahrt Berchtesgaden. Von dort über Bad Reichenhall in die Berge. Mit dem Zug von München über Freilassing nach Berchtesgaden.

Wanderungen: Unter den vielen Nationalparkwanderungen sind besonders jene von der Salet- zur Gotzenalm und von St. Bartholomä zum Kärlinger Haus am Funtensee (jeweils etwa vier Stunden) empfehlenswert.

Bergschulen: Bergschule Watzmann, Hubert Nagl, Tel.: 08657/711, www.bergschule-watzmann.de; Klettersteigschule Berchtesgaden Tel.: 0171/8227751, www.klettersteigschule.de

Informationen und Unterkünfte: Berchtesgadener Land Tourismus GmbH, Tel.: 01805/865200, www.berchtesgadener-land.com

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