BER-Erlebnistour:Ist das ein Flughafen oder kann das weg?

Baustelle Flughafen Berlin Brandenburg

Das BER-Terminalgebäude ist noch eine Baustelle - aber Erlebnistouristen dürfen hier schon mal gucken.

(Foto: dpa)

Eigentlich könnten die Berliner beim Bau ihres Flughafens jede Hilfe gebrauchen. Doch die meisten Menschen kommen nur zum Gucken - seit der mehrfachen Nicht-Eröffnung wollten schon mehr als eine Million Gäste die BER-Baustelle sehen. Ein Erlebnis zwischen Schein und Wirklichkeit.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Der ältere Herr hat die Tour zum Geburtstag geschenkt bekommen. Er ist sich noch nicht sicher, ob das Fluch oder Segen ist. Er wohnt in Selchow, jenem Örtchen in der Gemeinde Schönefeld, das direkt an den neuen Großflughafen grenzt. Und will sehen, was los ist mit dem berühmten Nachbarn, der nicht so recht in die Gänge kommt. Er ist einer der Anwohner, die das Angebot zur Umsiedlung nicht angenommen haben, sondern neben dem Rollfeld wohnen werden - wenn der BER irgendwann eröffnet wird.

Nun ist der Selchower einer von etwa 50 Teilnehmern einer Busrundfahrt über den BER. Er steht inmitten des neuen Terminals, der noch Baustelle ist - und stört sich an den Holzvertäfelungen. Sein Sohn hätte doch zuletzt die Holzverkleidungen aus einem Altbau gerade wieder herausgerissen, die jungen Leute würden ja heute ganz anders leben. Aber das sei wohl Geschmackssache.

Zwischen Brandschutz und Kinderschokolade

Der Tourguide hingegen ist stolz darauf, welch kurze Wege die Passagiere hier künftig vorfinden. Wer unterirdisch mit der Bahn anreise und mit dem Aufzug den Terminal erreiche, stünde sofort am Check-in, erklärt er den Besuchern. Im Moment steht hier allerdings eine junge Bauarbeiterin mit gelbem Helm an einem Tisch mit der Aufschrift "Brandschutz" und isst Kinderschokolade.

Weit mehr als eine Million Gäste haben Berlins teuerste Baustelle in den vergangenen Jahren besichtigt. Als "Erlebnis Flughafen" kündigt die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg diese Tour an. Und ein Erlebnis ist dieser Airport in der Tat: Bis zum heutigen Tage wurde die Inbetriebnahme des Prestige-Objektes so oft verschoben, dass manche an ein Gelingen gar nicht mehr glauben. 2012 war einst angekündigt, 2017 erscheint nun realistischer. Nur durch ein Soforthilfe-Programm der Bundesregierung in Millionenhöhe konnte Anfang des Jahres eine Pleite verhindert werden, noch bevor überhaupt irgendetwas eröffnet wurde. Inzwischen spricht man, je nach Quelle, von Gesamtkosten von fünf bis acht Milliarden Euro bis zum Start. Monatlich sollen 35 bis 40 Milliönchen hinzukommen.

Und nun fahren für zehn Euro pro Nase also Rentner, Schulklassen, Firmen und Touristen in Bussen mit freundlichen Führern über das brachliegende Gelände. Ist das schon Katastrophentourismus oder noch geschickte Öffentlichkeitsarbeit?

Supergeiler Flughafen

Der Guide jedenfalls, Anfang 30, in kurzer Hose und mit Brille, gibt sich auf der Bustour alle Mühe, den Gästen klarzumachen, mit welch ausgeklügeltem System man es hier auf 1470 Hektar zu tun habe. Und preist vor der Besuchergruppe, die an diesem Nachmittag vorwiegend aus Senioren und Schülern besteht, die Geheimnisse des besonders effektiven Abwassersystems. Der Regen zum Beispiel, der auf das Dach des neuen Terminals falle, werde konsequent und nachhaltig zur Raumluftbefeuchtung genutzt. Wenn es dann so weit ist. Bisher ist nicht einmal klar, wie das Gebäude endlich die Brandschutzrichtlinien erfüllen soll.

Der Mitarbeiter des Besuchermanagements weist nun im Berliner Dialekt "privilegierte Bereiche" aus, wo man sonst als Privatperson nicht hinkomme. Eigentlich sollten hier längst riesige Maschinen wie der Airbus A380 stehen, auf den er ein paar Mal stolz verweist. Gerade aber ist die größte Attraktion auf dem Rollfeld, im Bus darüberdüsen zu können - für die BER-Touristen, aber auch für den Busfahrer. Der gibt Vollgas und hat Spaß: Er genieße es jedes Mal, hier drüberzubrettern, sagt er, dann fühle er sich fast wie ein Pilot. Hunderte Besucher hat der Busfahrer schon über den Flughafen gekarrt - gerne, wie er sagt. BER-Chef Hartmut Mehdorn mit Besuchergruppen, Investoren, Politiker, "sogar" die Grünen. Auch Leute, die kurz davor waren, ihr kleines italienisches Café am BER zu eröffnen. Dann werde er allerdings schon wütend, knurrt der Fahrer. Wenn er Träume platzen sehe.

Mitten auf dem Rollfeld hält er. Und der Guide betont, dass dies eine Gelegenheit sei, die man "als Normalmensch" nicht habe. Bei Flugverkehr komme man schließlich nur im Notfall in direkten Kontakt mit der Rollbahn. Also fotografieren die BER-Touristen ein bisschen: die Rillen im Boden, durch die das Regenwasser abläuft, damit die Flieger, die hier mal starten sollen, nicht in Aquaplaning geraten. Den supermodernen Tower von unten, den Info-Tower für Besucher von oben. Oder die Aussicht auf das neue Terminalgebäude.

BER - eigentlich ein voller Erfolg?

Baustelle Flughafen Berlin Brandenburg

Auf dem Vorfeld eines Flughafens, der im Vorfeld der Eröffnung für so viel Ärger sorgte wie vielleicht noch nie ein Flughafen.

(Foto: dpa)

Das Gebäude mit der Aufschrift "Berlin Brandenburg Willy Brandt" erinnert äußerlich an die Neue Nationalgalerie in Berlin und wirkt repräsentativ. Die Architekten haben versucht, innen die Umgebung widerzuspiegeln: flach und offen, weit und hell, mit viel Glas. Den Fußboden schmückt Sandstein aus der Jura-Zeit, die hübschen Holzverkleidungen aus Nussbaum, die bei dem Senioren aus Selchow nicht so gut ankamen, sollen die brandenburgischen Wälder repräsentieren. An der Decke hängt ein Kunstwerk in Form eines roten, fliegenden, löchrigen Teppichs. Der "Magic Carpet" der kalifornischen Künstlerin Pae White. Darunter drängen sich jetzt die 50 Neugierigen. Ihre Stimmen hallen durch die leere Halle. Ein paar Handwerker mit Pausenbroten laufen vorbei.

"Ist das Kunst oder kann das weg?", greift der Guide einen Scherz aus dem Publikum auf. "Das ist Kunst. Es gibt eine Vorschrift, dass man bei so einem Projekt fünf Prozent der gesamten Bauinvestitionskosten für Kunst am Bau verwenden muss." Eines der weiteren fünf Kunstwerke am BER besteht aus einer Art Perlenkette, die der Berliner Konzeptkünstler Olaf Nicolai um eine Fluggastbrücke geschlungen hat. Die riesigen Perlen können, je nach Nutzungszustand, von der unbenutzten Brücke über die aktive Nutzung bis zum Take-off, passend illuminiert werden. Wenn denn mal was startet.

Einiges funktioniert schon

Es gibt aber einiges, das hier schon in Betrieb ist. Die Anzeigetafel im Terminal etwa zeigt Flüge an, von frühmorgens nach Nürnberg bis spätabends nach Paris - leider bisher nur von Schönefeld und Tegel. "Wir hatten hier in den letzten zehn, elf Jahren eine superpositive Entwicklung, was das Tourismus- und Verkehrsaufkommen angeht. Jedes Jahr war ein neues Rekordjahr in Bezug auf die Passagierzahlen, mit Steigerungen von über vier Prozent" erklärt der Guide. 2013 verzeichneten die Berliner Flughäfen 26,3 Millionen Passagiere, die meisten davon mit etwa 19,6 Millionen in Tegel. Schönefeld, den aktuellen Billigflieger-Standort, nutzten etwa 6,7 Millionen Fluggäste.

Das Problem sei nun, dass die Zahlen sich während der Planungs- und Bauphase des Großflughafens derart gesteigert hätten. Wer einen doppelt so großen Flughafen haben wolle, zitiert er Ex-Bahn- und nun BER-Chef Mehdorn, der müsse mitunter auch doppelt so viel Geld wie geplant ausgeben. So gesehen, sei dieser Flughafen, verglichen mit anderen, vielleicht sogar noch günstig. Ist der BER also eigentlich eine Erfolgsgeschichte, von der Öffentlichkeit verkannt?

Flughafen Berlin Brandenburg

"Außer Betrieb", das gilt nicht nur für Notrufsäulen am Flughafen Berlin Brandenburg

(Foto: dpa)

Die Busgäste, die meisten stammen aus Berlin und Umgebung, scheint diese Sicht der Dinge nicht zu irritieren. Ehrfürchtig begutachten sie Straßenführung und Technik, auch die Weite des Geländes beeindruckt.

Dann fragt jemand doch: Warum denn noch nicht eröffnet wurde, wenn doch schon alles so toll hier ist? So ganz genau kann auch der Tourguide das auf der Busfahrt, die nach knapp zwei Stunden zu Ende ist, nicht sagen. Er sei erst seit Anfang des Jahres dabei und wisse das meiste auch nur aus den Medien. Ein paar Erklärungen hat er aber doch parat, schließlich sind viele Besucher extra wegen dieser Frage hier.

Runway-Wunsch: fast 30 Millionen Fluggäste im Jahr

Also erklärt er ein bisschen: Dass man Mehdorn auch erst mal, wie üblich bei Großprojekten, ein Jahr Zeit geben müsse, um sich einzuarbeiten. Immerhin habe dieser zuvorderst ein Komitee gegründet, das die immerhin 96 Gewerke, die bis dahin offenbar nebeneinanderher gearbeitet hätten, kommunikativ miteinander verbinde. Als der Guide das erläutert, fährt der Bus an einem Schild mit der Aufschrift "Express-Zentrale" vorbei, die mit einem großen roten Kreuz durchgestrichen ist.

Außerdem hätten sich während der Bauphase einige Standards geändert, wie etwa bei der Sicherheitskontrolle - auch darauf müsse man reagieren. Er wolle nichts schönreden, aber es gebe viele Bedingungen von außen, auf die der Flughafen wenig Einfluss hätte. Nicht zuletzt gelte es, viele bürokratische Wege einzuhalten, die sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würden - weil es sich ja um Steuergelder handele, mit denen hier gearbeitet wird. Und schließlich habe die Politik noch das ein oder andere Wörtchen mitzureden, da spiele Wahlkampf eine Rolle.

Letztendlich: der Brandschutz. Das sei nun einmal eine ganz neue Idee der Architekten gewesen, aus ästhetischen Gründen keine Schornsteine auf dem Terminaldach haben zu wollen, so dass der Rauch über ein spezielles Tunnelsystem abgeleitet werden sollte - nur leider habe man dann gemerkt, dass das nicht funktioniere. In diesem Fall sei ein Trial-and-Error-Prozess ganz natürlich gewesen, weil es ein solches System eben auf der ganzen Welt noch nicht gebe. "Erstklassige Verlässlichkeit" steht auf dem Werbeplakat, an dem der Bus kurz darauf vorbeirollt.

Runway-Wirklichkeit: etwa 1,25 Millionen Baustellen-Touristen

Unkraut auf dem Flughafen Berlin Brandenburg

Immerhin etwas wächst und gedeiht auf dem Flughafen.

(Foto: Getty Images)

Immerhin, sagt der Guide: 33 von 40 Gebäuden seien schon in Betrieb. Das Cargo-Center etwa, oder das Polizeigebäude, sogar ein Hotel habe eröffnet. Und zwar eins mit zwei Sternen - für den Fall, dass ein paar Bauarbeiter nach ihrer Spätschicht keine Lust mehr hätten, nach Hause zu fahren. Die Bustouristen werfen einen flüchtigen Blick auf das schmucklose Gebäude. Demnächst werde es hier an dieser Stelle vor Taxis wimmeln - und die luxuriöseren Hotels und Geschäfte, die würden dann auch eröffnen. Da müsse man eben noch ein bisschen warten jetze. Das sei bisher halt blöd gelaufen.

Wann genau es richtig losgehe, wisse er auch nicht, sagt der Guide - aber: "Ein zügiger und verlässlicher Eröffnungstermin steht bei uns an erster Stelle."

Während die Reisegruppe noch über den Großflughafen tuckert, fördern die Medien schon wieder neue Erkenntnisse über das BER-Drama zutage: Unter anderem, dass die juristische Auseinandersetzung um den ehemaligen BER-Chef Rainer Schwarz doppelt so teuer sein soll wie die Abfindung, um die es bei dem Streit geht. Und dass der Flughafen inzwischen die Ausschreibung für den Brandschutz zurückgezogen habe - wohl kein gutes Zeichen.

Immerhin: Als Freilichtmuseum funktioniert der BER eigentlich ganz gut.

Die BER-Erlebnistouren lassen sich werktäglich buchen, auf Anfrage auch nachts und auf Englisch, Anmeldung und weitere Infos hier.

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