Benimm-Regeln für Chinesen:Verzogenes Volk

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"Nicht auf Kulturdenkmäler klettern" ist nur eine der Benimm-Regeln aus der Reise-Fibel.

(Foto: oH)

"Kein Graffiti auf Kulturdenkmälern" und "nicht in aller Öffentlichkeit in der Nase bohren": Zu Beginn der Urlaubszeit legt Chinas Regierung ihren Bürgern eine detaillierte Verhaltensfibel für zivilisiertes Reisen vor. Genützt hat es bisher nicht viel.

Von Kai Strittmatter, Peking

China lernt reisen. Die Grundlagen. "Wir sagen 'Bitte' und 'Danke' und ,Entschuldigen Sie'. Wenn wir unser eigenes Land verlassen, sind wir Gäste und benehmen uns höflich. Morgens sagt man 'Morning', und wenn man einen Fehler gemacht hat 'Sorry', so macht das die ganze Welt." So beginnt der "Kompass für zivilisiertes Reisen", den Chinas Regierung soeben ihrem Volk in die Hand gedrückt hat.

Es ist Ferienzeit in China. Die "Goldene Woche" rund um den Nationalfeiertag. Vor allem: Die ersten Ferien seit Inkrafttreten des neuen Tourismusgesetzes am 1. Oktober. Die ersten Ferien, seitdem Tourismusminister Wang Yang Chinas Touristen in aller Öffentlichkeit beschieden hat, sie wüssten sich nicht zu benehmen. Die ersten Ferien seit Beginn der Kampagne "Wir verbessern die Qualität unserer Reisenden" (die SZ berichtete). Der erste Test also. Chinas Medien waren den Sommer über voller Empörung über Landsleute, die in Ägypten Graffiti in alte Tempel einritzten oder bei Singapore Airlines das Besteck mitgehen ließen. Deshalb das Gesetz, das zum einen die Touristen vor Nepp schützen soll, ihnen zum anderen aber Sanktionen androht bei allzu peinlichem Fehlverhalten.

Keiner soll sagen, er habe es nicht gewusst

Deshalb frisch aus der Druckerpresse das Handbuch der Tourismusbehörde mit klarer Ansage: "Jeder von uns hat die Pflicht, ein zivilisierter Tourist zu sein." Keiner soll sagen, er habe es nicht gewusst. Dass man "nicht raucht, wo Rauchen verboten ist". Dass man "nicht auf Kulturdenkmäler klettert oder sie mit Graffiti vollschmiert". Dass man im Hotel "nicht duscht ohne Duschvorhang". Dass man "nicht auf den Boden spuckt" und "nicht in aller Öffentlichkeit in der Nase bohrt".

Wer sich nun wundert über eine Regierung, die dem Bürger das Nasebohren nicht gönnt, dem sei gesagt, dass die elterliche Fürsorge dem Volk gegenüber in China Tradition hat. Das chinesische Wort für Staat ist "guojia", wörtlich: Staatsfamilie. Die Herrscher sind die Patriarchen, die ein natürliches Recht darauf haben, den Untertanen einen Klaps zu verpassen, wenn ihnen "die Nasenhaare aus der Nase wachsen" (Seite 30 des "Kompass für zivilisiertes Reisen"), wenn sie "beim Buffet das Brötchen auf einmal in den Mund schieben" (Seite 29) oder "beim Nudelessen schlürfen" (dito).

In Spanien niemals ohne Ohrringe

Die "Infantilisierung der Untertanen", schrieb einmal Kulturkritiker Sun Longji, sei unter Kaisern wie Kommunisten stets eines der wirksamsten Mittel gewesen, das Volk schwach zu halten. Aber was soll er tun, der Staat, wenn er fürchtet, das Benehmen seiner Reisenden sei geeignet, "Chinas Bild in der Welt zu beschädigen"? 94 Millionen sollen in diesem Jahr um die Welt fahren. Reiseweltmeister.

Viele der Ratschläge im Reiseknigge sind vom Geist der Völkerverständigung durchdrungen ("Wir respektieren die Religionen, Gebräuche und Sitten anderer Länder", "keine Fußabdrücke auf der Klobrille hinterlassen"), andere lesen sich eher selbstverständlich ("nicht in den Hotelpool pinkeln", "nicht mit der Bettdecke die Schuhe putzen"). Überhaupt wird man oft das Gefühl nicht los, man erfahre mehr über die beamteten Volksbelehrer selbst als über die von ihnen zu Belehrenden.

Müllberge auf dem Tiananmen-Platz

Zum Beispiel in Kapitel Nummer drei über "Gebräuche und Tabus". In Holland, lernt man da, ist es angeblich "ein Tabu, eine Kaffeetasse voll einzuschenken". In Deutschland, Vorsicht, "schnippt man mit den Fingern nur nach Hunden, nie nach Menschen". In Spanien wiederum gehe "eine Frau nie ohne Ohrringe aus dem Haus, sonst lachen einen die Leute so aus, als ob man nackt wäre". Und in Afrika mögen sie die Anrede "Neger" oder "Schwarzer" gar nicht, zum Gruß erhebe man dort vielmehr "die rechte Hand, wobei man die Handfläche dem Gegenüber zuwendet, um zu zeigen: 'Ich habe keinen Stein versteckt'".

Und wie laufen die Ferien bislang? Die Regierung verfasst Verhaltensfibeln, beharrt aber weiter darauf, alle Bürger gleichzeitig in den Urlaub zu schicken. Wenn aber 1,3 Milliarden vor der Verbotenen Stadt anstehen, dann blättert der Firnis der Zivilisation naturgemäß schnell. Das Staatsfernsehen zeigte am Freitag Müllberge auf dem Tiananmen-Platz, neue Graffiti auf der Großen Mauer und im Naturschutzgebiet Jiuzhaigou stecken gebliebene Reisende, die einen Busfahrer verprügeln. Xinhua meldet, die "Goldene Woche" habe einen neuen Namen: "Goldenes Chaos".

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