Benidorm:Geradeaus in den Himmel

Vorne Meer, hinten Wolkenkratzer: In der spanischen Touristenhochburg Benidorm ist der Erfolg vertikal - angeblich ganz zum Wohle der Natur.

Peter Burghardt

Sicher gehören auch die Sandburgen von Benidorm zu den größten Europas, man sollte sie in die umfangreiche Statistik aufnehmen. Die Bauwerke von Paul Dennis Urda und seinen Freunden werden zwei Meter und höher, konserviert mit zerstäubtem Salzwasser.

Benidorm; dpa

Leer ist es in Benidorm niemals.

(Foto: Foto: dpa)

Staunende Urlauber am Stadtstrand Levante werfen Münzen in die Kübel, die als Klingelbeutel dienen, das summiert sich bei fünf bis sechs Millionen Passanten im Jahr.

Selbst mit Sandburgen lässt sich hier Geld verdienen, wobei die Stadtverwaltung jährlich 600 Euro Platzmiete kassiert. Für das Geschäft hat der 30 Jahre alte Rumäne Urda vor zweieinhalb Jahren seinen Job in einem Elektroladen aufgegeben.

Unreales Märchenschloss

Jetzt sitzt er barfuß im Liegestuhl, vorne Meer, hinten Hochhäuser, daneben sein aktuelles Märchenschloss. "Unreal" steht wie gemeißelt im Fundament - das passt nicht nur zu dieser Kreation.

Unwirklich ist in dieser Urlaubsfabrik so manches. Wenn bei der Anreise aus Alicante rechts an der Autobahn AP-7 auf einmal die gewaltigste Skyline der Mittelmeerküste auftaucht, dann wirkt das zunächst wie eine Fata Morgana.

Neulingen geht es in Benidorm wie beim ersten Besuch in New York oder Hongkong: Man kennt die Bilder und Geschichten, aber das Original beeindruckt einen dann doch. Auf 18 Quadratkilometern stehen 150 Wolkenkratzer, darunter vier der zehn höchsten Spaniens.

Der Gipfel der Hotels

Den Gipfel bildet seit 2002 das Gran Hotel Bali, das mit seinen 210 Metern Höhe und 52 Stockwerken sämtliche Herbergen des Kontinents überragt. Insgesamt gibt es in Benidorm 130 Hotels mit 38.661 Betten, zwei weitere wachsen gerade in den Himmel.

In Europa haben nur London und Paris mehr Hotels. Dazu kommen 200.000 meist nicht gemeldete Ferien-Apartments, dabei hat Benidorm offiziell nur 65.000 Einwohner.

Wie viele sind es zur Zeit? "Im Moment ungefähr 400.000", antwortet Bürgermeister Vicente Pérez Devesa und trommelt auf seinen Designerschreibtisch, im Regal steht ein Foto mit Julio Iglesias. "Wir wissen das wegen dem Müll und dem Wasser", ergänzt er, beides sind für die Hochrechnung zuverlässige Größen. "Weniger als 200.000 sind wir nie", fährt Pérez Devesa fort, das Thema gefällt ihm.

Geradeaus in den Himmel

Dank des milden Klimas an der Costa Blanca hat Benidorm das ganze Jahr lang Saison, und das bereits seit vier Jahrzehnten. 2005 werden die Unterkünfte wieder meistens voll sein, zuvor waren die Zahlen leicht rückläufig gewesen.

Das frühere Fischerdorf ist mit Abstand europäischer Marktführer - elf Prozent der Einnahmen von Spaniens Tourismusindustrie werden an diesen beiden geschwungenen Buchten namens Levante und Poniente erwirtschaftet und 60 Prozent der Region Valencia.

Das Ende der Idylle

Deshalb beschäftigt das konservative Stadtoberhaupt 1000 Mitarbeiter, unter ihnen Soziologen und Grafiker und Pressesprecher. Deshalb empfängt er wie ein Staatsmann in seinem riesigen Büro, um das ihn Kollegen in großen Metropolen beneiden dürften.

Das Rathaus ist die modernste Schöpfung in diesem mediterranen Manhattan, es wurde 2003 eröffnet und sieht so ähnlich aus wie die Clinton-Bibliothek in Arkansas. Das lichtdurchflutete Gebäude liegt quer auf zwei Sockeln.

In die Fensterlamellen wurden die Namen aller damals gemeldeten 62.200 Bürger eingeritzt, als müsse man Einheimische unter Denkmalschutz stellen. Die horizontale Form ist ein gewollter Kontrast zum vertikalen Urbanismus, dem Erfolgsrezept von Benidorm.

Erfunden hatte das Konzept einer von Pérez Devesas Vorgängern, Pedro Zaragoza. 1956 erließ der Visionär einen revolutionären Bebauungsplan, 2006 wird das fünfzigsteJubiläum gefeiert. Zaragoza beschloss seinerzeit, breite Hauptstraßen anzulegen und geordnet in die Höhe bauen zu lassen statt in die Breite.

Außerdem fuhr er mit dem Moped nach Madrid und überredete den Diktator Franco sowie katholische Würdenträger, ein wenig Freizügigkeit wie das Tragen von Bikinis zu erlauben, nachdem der Klerus Halbnackten mit Exkommunizierung gedroht hatte.

Inbegriff enthemmter Ferienindustrie

1950 standen an den beiden Stränden 19 flache Häuser, die Bewohner lebten bescheiden von Fischfang und Landwirtschaft. Es gibt Schwarzweißbilder, der 1942 geborene Pérez Devesa kennt die Idylle noch. Jetzt steht ein schlanker Betonriese neben dem anderen, minimal sieben Meter voneinander entfernt und maximal 800 Meter weit weg vom Ufer. Auch viele Politiker sind damit recht wohlhabend geworden.

Schön finden muss man den Anblick nicht, für viele ist Benidorm Inbegriff enthemmter Ferienindustrie. Das Klischee ähnelt dem von Mallorcas Ballermann.

"Es ist noch schlimmer, als du es dir vorstellst", warnte vor einigen Jahren der Reiseführer Lonely Planet, regte damit allerdings eine Neugierde an, wie sie Reisende auf dem Weg nach Las Vegas verspüren.

Geradeaus in den Himmel

Die sozialistische Wohnungsbauministerin María Antonia Trujillo verkündete kürzlich, sie kenne Benidorm nicht und wolle es auch nicht kennen. Aber da hat sie eine Bildungslücke und unterschätzt die Bedeutung eines Phänomens, das Studien füllt und einer der wichtigsten Arbeitgeber Spaniens ist.

Nur keine Experimente

Der holländische Stararchitekt Winy Maas erklärte Benidorm zur "effektivsten Maschine des Massentourismus" und erhob die schlanke, himmelwärts gerichtete Bauweise zum Vorbild. Schließlich würden Flächen auf diese Weise effektiv genützt, tatsächlich ist trotz aller Ungetüme mehr als die Hälfte des Stadtgebiets unbebaut.

Außerdem ist der durchschnittliche Wasserverbrauch wesentlich geringer als in Luxussiedlungen, und geheizt werden muss wegen der günstigen Sonneneinstrahlung auch an den wenigen kühlen Tagen kaum.

Inzwischen gilt Benidorm selbst unter Umweltschützern als Gegenmodell zu dem Wildwuchs, der die spanischen Küsten heimsucht - allein in Callosa, ein paar Kilometer weiter, entstehen in einem Urwald von Kränen gerade 2178 Ferienwohnungen, zwei Golfplätze und ein Hubschrauberlandeplatz.

"Unsere größten Kritiker sind stiller geworden", sagt Bürgermeister Devesa. "Unser bester Richter ist das treue Publikum. Es kann nicht sechs Millionen Idioten geben."

Wer Glamour vorzieht oder eine einsame Villa, und sich das auch leisten kann, der hält sich sowieso fern. Pérez Devesa selbst verbringt seinen Urlaub auf der beschaulichen Baleareninsel Formentera. Freunde Benidorms suchen die Massen, und das für möglichst wenig Geld.

Die mit Abstand meisten kommen aus Spanien und Großbritannien. Wahrscheinlich zählt Benidorm mehr Fish-'n-Chips-Buden und mehr Pubs als Blackpool. Der kleinste Pub heißt "The Tad" und misst 15 Quadratmeter.

Die meisten Stammgäste sind Mittelklasse-Familien, die sich einen anderen Urlaub dieser Art kaum leisten können. Noch immer ist Benidorm vergleichsweise günstig, auch wenn die Preise in Spanien gestiegen sind und Kroatien oder die Türkei Konkurrenz machen.

"Benidorm ist wie eine Literflasche Coca-Cola", hat der Soziologe José Miguel Iribas vor einigen Jahren gesagt, außer Snobs nehme fast jeder einen Schluck. "Die Leute wissen, was sie kriegen. Benidorm, das ist Alkohol, Tanz und flüchtiger Sex." Sonne und Strand nicht zu vergessen.

Senioren und das verstaubt Verruchte

Kinder spielen Minigolf auf der Anlage "Don Quijote", gegenüber hämmern die Bässe aus dem Nachtklub "Beachcomber", dazwischen schiebt sich ein älteres Ehepaar durch die Menge.

"All night long", singen betagte Gogogirls auf einer Bühne, und seit 40 Jahren zaubert eine Holländerin mit Künstlernamen Sticky Vicky Geldscheine aus ihrem Körper.

Das verstaubt Verruchte reizt auch Senioren, die sich in Benidorm geborgen fühlen, wobei zwei englische Rentnerinnen kürzlich zwischen mechanischen Klappbetten erstickt sind, und ein Hochhausbrand für Aufregung sorgte.

Außer Rockstars wie Sting oder den Rolling Stones kommen sogar Helden des Hip-Hop vorbei. Dazu gibt es Abenteuerparks wie "Tierra Mítica", das nach einem Finanzskandal mittlerweile pleite ist. Von der landesweiten Debatte über die Umkehr Richtung Qualitätstourismus will Bürgermeister Perez nichts wissen. "Benidorm funktioniert", sagt er, "wieso sollten wir Experimente machen?"

Bisweilen wirft beim Spaziergang auch er den Sandburgenbauern einen Euro zu. Und so modelliert Paul Dennis Urda weiterhin seine Modelle, obwohl Benidorm eigentlich nicht sein Geschmack ist. Jeden Monat baut er ein neues Phantasieschloss, und manchmal wird hinter seinem Rücken wieder ein richtiges Hochhaus fertig.

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