Bedrohte Orte:Welch wunde Welt

Ein Bildband wie eine Alarmsirene: Die Bedrohung durch den Klimawandel wird zum besonderen Kitzel bei der Betrachtung der Erde.

Stefan Fischer

Der Dalai Lama und U2-Sänger Bono bleiben den Lesern dann doch erspart. Beide melden sich ja gerne zu Wort, wenn es einer guten Sache dient - was in seiner Erwartbarkeit aber inzwischen oftmals nur noch verdrießlich ist und so letztlich zum Bärendienst an der guten Sache wird. Aber trotz des Verzichts auf diese beiden notorischen Mahner (statt ihrer treten unter anderen Javier Solana, Desmond Tutu und Joss Stone in dieser Rolle auf) wird in dem Band "100 einzigartige Orte, die schon bald verschwinden könnten", den der Knesebeck Verlag in deutscher Lizenz herausgibt, eine ganze Menge unternommen, um Vorbehalte gegen das Buch zu wecken.

Die Zielsetzung des Bildbandes ist es, den Menschen das Ausmaß des Schadens bewusst zu machen, den der Klimawandel anrichten kann - indem den Lesern auf eindrucksvollen Fotografien vor Augen geführt wird, wie wunderbar die Erde vielerorts (noch) ist. Es ist nicht das erste Buch, das auf solche Weise Verlustängste schürt. Was legitim ist und womöglich eine effektive Methode zu argumentieren, weil sie nicht auf den Altruismus der Menschen setzt beim Klimaschutz. In diesem Fall aber entsteht der Eindruck, dass ein ernstzunehmendes Thema als Verkaufsmasche missbraucht wird. Der Titel des Bildbandes ist trotz des Konjunktivs nicht anders als alarmistisch zu nennen, vor allem, wenn man ihn ins Verhältnis zu den Inhalten setzt.

Paris, Chicago, Tokio - Orte, die bald verschwinden könnten? In Chicago, wird argumentiert, würde aufgrund auch dort stetig steigender Temperaturen die Mehrzahl heißer Sommertage zu mehr hitzebedingten Gesundheitsschäden führen. Das ist wohl richtig, jedoch kein spezifisches Problem dieser Stadt und für sich genommen kein Katastrophenszenario. Aber irgendeinen Dreh braucht es eben, um die - sehenswerte - Luftbild-Nachtaufnahme der Stadt in dem Buch unterbringen zu können. Bei vielen Orten geht es nicht um Vernichtung, sondern um Wandel - so verschieben sich womöglich die klimatischen Bedingungen in Irland derart, dass der Kartoffelanbau unrentabel wird. Entwicklungen dieser Art werden Kulturlandschaften verändern und Menschen vor neue Herausforderungen stellen. Ein ganz andere Relevanz aber hat die Gletscherschmelze im Himalaya, das Auftauen der Permafrostböden in Sibirien oder der Anstieg des Meeresspiegels im Pazifik. In diesem Buch aber werden alle Bedrohungen gleichermaßen schrill beschworen, wird alles ins selbe Häppchenformat gepresst.

Für längere Argumentationsketten bleibt da kaum Raum. Und weil die meisten der hier aufgeführten Orte eben doch nicht "schon bald" verschwinden werden, übersieht man sehr leicht, dass ein paar davon sehr wohl existentiell bedroht sind - und sich andererseits einige Gefahren nicht auf jene Orte beschränken lassen, mit denen sie hier in Verbindung gebracht werden. In dieser Unausgegorenheit wirken die Informationen zum Klimawandel aufgesetzt, und die Fotografien werden dadurch reduziert auf das, was sie an ihrer Oberfläche zeigen: intakte Natur und traditionelle Lebensart.

Vor ein paar Jahren hätte das Buch wahrscheinlich schlicht "Die 100 schönsten Orte der Erde" geheißen.

STINE TRIER NORDEN, SØREN RUD/ CO+LIFE (Hrsg.): 100 einzigartige Orte, die schön bald verschwinden könnten. Knesebeck Verlag, München 2010. 290 Seiten mit 150 farbigen Abbildungen, 39,95 Euro.

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