Als die dänische Graffiti-Legende Swet71 fertig war mit der Arbeit, da habe er tatsächlich ein bisschen schlucken müssen, gesteht Sebastian Wenk: eine gesprühte Explosion in Schwarz, Weiß und Silber an sämtlichen Zimmerwänden, inklusive der Rauchmelder und der Lichtleisten. Aber genauso hatte es der junge Hotelchef ja gewollt: Keine durchdesignte, mit Innenarchitekten abgestimmte Kunst an den Wänden, sondern jedes der 67 Zimmer ein Unikat, an jeder Wand ein Original. "Die einzigen Vorgaben waren: keine Gewalt, keine Diskriminierung", sagt Wenk.
Über 60 Künstlerinnen und Künstler haben das "Liebesbier Urban Art Hotel" in Bayreuth gestaltet, jeder in seiner eigenen Handschrift, mit Spraydose, Pinsel und Farbe, mit Collagen oder raumhohen Kreuzstich-Stickereien. Realistische Schmetterlinge und abstrakte Farbwelten, gesprühte Ornamente, kryptische Schriftzeichen und weiße Linien, so ziseliert wie Brüsseler Spitze. Keine Bilder, die man ab- und umhängen kann, sondern Wandgemälde, gefertigt nur für den Raum, in dem sie jetzt zu sehen sind. In den nächsten Wochen sollen noch die QR-Code-Tafeln fertig werden, über die man als Gast dann via Smartphone Informationen über den Künstler und das Making-of seines Zimmer abrufen kann.
Und so ist es fast schade, dass ein Hotelaufenthalt in der Regel nur die Besichtigung eines, nämlich des eigenen Zimmers vorsieht. Zum Glück gibt es auch reichlich Farbe auf den ansonsten dunkel gehaltenen Wänden in den Gängen des Gebäudes, für das zwei ehemalige Gasthöfe aus dem 17. und 18. Jahrhundert entkernt, mit einem modernen Innenleben versehen und mit einem Neubau verbunden wurden.
Aus aller Welt nach Bayreuth geholt wurden die Künstler von Jasmin Siddiqui, Künstlername "Hera", Kuratorin des Hotels und ansonsten ebenfalls mit Farbe auf meterhohen Hauswänden zugange. Ihr Markenzeichen sind die nahezu fotorealistischen Augen ihrer Figuren, die den Blick des Betrachters geradezu hypnotisch zu suchen scheinen. Neben einem Zimmer hat sie damit auch die Betonwände der Lobby gestaltet, einen hohen, lichten Raum mit Glasfassade, halbrundem Ledersofa und langem Holztisch, an dem man sich zu einem schnellen Frühstück hinsetzen kann oder auch mit dem Laptop zum Arbeiten.
Wer häufiger kommt, wird feststellen: Das Bild wächst noch, wird von anderen Künstlern in anderen Stilrichtungen ergänzt. "Ich liebe Wimmelbilder, auf denen man immer wieder neue Dinge entdeckt", sagt Siddiqui.
Eine klassische Rezeption gibt es nicht, einchecken und das Zimmer öffnen kann man "smart" per Handy-App. Das wirkt nicht nur jung, hip und urban, sondern sei auch, sagt der Hotelchef unumwunden, eine Reaktion auf den Personalmangel in der Hotellerie.
Traditionell ist man bei den Materialien geblieben: Eichenholz und Leder, dazu Klinkersteine an nicht bemalten Wänden und eine Zapfanlage für den Aufguss in der Sauna - das alles verweist auf den Standort des Hotels auf dem Gelände der Bayreuther Maisel-Brauerei. In den 70er-Jahren hatte man den Braubetrieb in moderne Anlagen verlegt, die Backsteinbauten aus den Gründungsjahren Ende des 19. Jahrhunderts dämmerten im Dornröschenschlaf. Das Gelände hat Potenzial, darin waren sich Jeff Maisel, Chef des Familienunternehmens in vierter Generation, und Thomas Wenk, Bayreuther Gastronom und Vater des Urban-Art-Hotelchefs, vor einigen Jahren schnell einig.
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Man ließ es trotzdem langsam angehen, polierte nach und nach das bestehende Brauereimuseum auf, richtete eine Brauwerkstatt für Craft-Biere ein und das Restaurant "Liebesbier" mit langem Tresen, großer Terrasse und viel Kunst an den Wänden. Das Hotel folgte, beheizt übrigens von der Abwärme der Brauerei, ebenso eine kleine Kaffeerösterei. Ideen für die noch leer stehenden Gebäude hat Wenk auch, eine Bar auf dem Dach der alten Mälzerei könnte er sich vorstellen oder einen Co-Working-Space - "mal schauen, was uns noch einfällt".
Für die Villa Maisel, das frühere Wohnhaus der Brauerfamilie, gibt es schon einen Plan: Apartments mit kleiner Küchenzeile sollen darin bis Herbst nächsten Jahres entstehen, als geräumigere Alternative zu den Zimmern im Urban Art Hotel. Und draußen steht schon der Pariser Street-Art-Künstler Julien Malland alias Seth Globepainter auf dem Gerüst und malt zwei seiner immer etwas melancholisch anmutenden Kinderfiguren auf die Fassade.
Das alles scheint so gar nicht zum stets etwas schwergewichtigen Image der Wagnerstadt Bayreuth zu passen - bis man sich auf den Weg macht Richtung Altstadt, die nur einen kurzen Spaziergang entfernt ist. Und siehe da, offenbar ist der Blick geschärft, zumindest entdeckt man überraschend viel Kunst an Mauern und Wänden. Vorzeigestücke sind fünf fassadenhohe Street-Art-Werke, die sich allesamt um Markgräfin Wilhelmine drehen, die kunstsinnige Schwester des preußischen Königs Friedrichs des Großen, die so gern Königin von England geworden wäre, aber dann doch nach Bayreuth verheiratet wurde. Gemalt wurden sie vor einigen Jahren anlässlich der Wiedereröffnung des Markgräflichen Opernhauses, einem barocken Schmuckstück, das Wilhelmine 1748 bauen ließ und das seit 2012 zum Unesco-Welterbe gehört.
Richard Wagner setzte bekanntlich auf sein eigenes Opernhaus oben auf dem Grünen Hügel und hat in Sachen Street Art in der Stadt deutlich weniger Platz abbekommen. Festspielbesucher können das Street-Art-Hotel trotzdem unbesorgt in Erwägung ziehen: Im Schrank steht ein Bügeleisen, das Brett dazu lässt sich ausklappen, für den knitterfreien großen Auftritt.
Informationen: Liebesbier Urban Art Hotel, Andreas-Maisel-Weg 1, 95445 Bayreuth, 0921 46008020, liebesbier.de, Doppelzimmer ab 120 Euro
Hinweis der Redaktion: Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.