Bayern: Fränkisches Seenland:Der Traum vom Ferienparadies

Mit dem Fränkischen Seenland, dem Urlaubsgebiet aus der Retorte, drängten die Touristen in Nürnbergs Süden. Geblieben aber sind sie nicht - und dann kamen die Algen.

Uwe Ritzer

Der erste Sommer war ein Sommer der Anarchie. Surfer glitten haarscharf an den Köpfen von Schwimmern vorbei, Segler und Tretbootfahrer kurvten kreuz und quer, und auch am Ufer des Kleinen Brombachsees herrschte Chaos. Radler und Spaziergänger kamen sich laufend in die Quere, selbst in Naturschutzgebieten wurde wild gecampt, und die Liegewiesen waren von Sonnenhungrigen überfüllt.

Sonnenuntergang am Brombachsee, 2006

Sonnenuntergang am Brombachsee bei Pleinfeld.

(Foto: dapd)

An heißen Wochenenden kämpfte die Polizei aussichtslos gegen Falschparker, die Straßen, Feld- und Rettungswege zustellten. Bilder vom Durcheinander sah man vor Ort nicht gern, und Medienberichte wurden als pure Böswilligkeit gegeißelt. Als ein Verkehrspolizist öffentlich klagte, an manchen Tagen würden sämtliche Strafzettel Nordbayerns nicht ausreichen, um wenigstens halbwegs für Ordnung zu sorgen, bekam er disziplinarrechtlichen Ärger.

"Frankens Rimini", schrieben die Zeitungen. Vor Ort wusste man nicht, ob man sich über den spöttischen Vergleich ärgern oder freuen sollte. Denn mit dem unerwartet großen Ansturm der Gäste in jenem Jahr 1986 verband sich auch die Hoffnung auf den Beginn einer neuen Epoche für eine sehr ländliche Region südlich von Nürnberg.

Urlaubsgebiet aus der Retorte

Jahrhundertelang hatten sich Bauern hier mit kargen, sandigen Böden abgeplagt. Nun sollte der Tourismus Wohlstand bringen: Das Fränkische Seenland, ein Urlaubsgebiet aus der Retorte. Vor 25 Jahren wurde der Kleine Brombachsee seiner Bestimmung übergeben, vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß persönlich. An einem heißen Julitag 2000 setzte dessen Nach-Nachfolger Edmund Stoiber in einem Boot des Talsperren-Neubauamtes über das Wasser des Großen Brombachsees vom Hafen Ramsberg hinüber nach Allmannsdorf. Singende Schulkinder und Tausende Zaungäste bejubelten Stoiber, als er den Bau des Fränkischen Seenlandes für abgeschlossen erklärte.

In knapp 30 Jahren waren fünf künstliche Seen entstanden: Der Rothsee gleich vor den Toren Nürnbergs, der Große und der Kleine Brombachsee, der Igelsbach- und der Altmühlsee bei Gunzenhausen, mit etwa einer Autostunde Fahrtzeit von Nürnberg aus der entfernteste. Gemessen an ihren Wasserflächen, sind die Gewässer teilweise größer als die weitaus bekannteren Königs-, Schlier- oder Tegernsee in Oberbayern. Nur sind sie viel unbekannter, und ihnen fehlt die malerische Alpenkulisse.

Als der bayerische Landtag 1971 den Bau des Fränkischen Seenlandes beschloss, dachten die Abgeordneten nicht an Tourismus, sondern an ein wasserbauliches Problem. Mit Hilfe der Seen-Kette sollten jährlich bis zu 25 Millionen Kubikmeter Wasser vom nassen Süden über die Wasserscheide hinweg in den trockenen Norden des Freistaats gespült werden. Das Feriengebiet war gewissermaßen ein Nebenprodukt.

Am Reißbrett entstanden

Glücklicherweise sieht man dem Fränkischen Seenland nicht an, dass es am Reißbrett entstanden ist. Die Stauseen fügen sich so harmonisch zwischen die sanften Hügel im südlichen Franken ein, als wären sie schon immer dagewesen. Von der gewaltigen Umwälzung, welche diese Landschaft erlebt hat, sind ihr keine Narben geblieben.

Ställe zu Ferienwohnungen

Die schönste Aussicht hat man vom Hügel oberhalb von Ramsberg aus. Der Blick schweift über das Dorfkirchlein und die an den Hang geschmiegten Häuser hinweg auf den Großen Brombachsee, wo ein futuristisches Passagierschiff seine Bahnen zieht, ein gläserner Trimaran. Früher war Ramsberg ein Bauerndorf. Mehr als die Hälfte seiner Fläche ging im See unter.

Viele Einwohner sattelten um. Sie gaben die Landwirtschaft auf und bauten Ställe zu Ferienwohnungen aus. Gaststätten und Cafés eröffneten, ein Hafen mit mehreren hundert Liegeplätzen für Segelboote entstand. Aus dem einstmals trostlosen Ramsberg wurde - zumindest in der warmen Jahreszeit - ein quirliger Fremdenverkehrsort.

Die Ufer gehören der Allgemeinheit

Unmittelbar entlang der Seen bewegt man sich im Fränkischen Seenland am besten zu Fuß oder mit dem Rad. Die Ufer sind vollständig der Allgemeinheit vorbehalten; kein Investor oder Privatmann darf sie zubauen. Das ist ein großer Unterschied etwa zum Starnberger See oder dem Tegernsee. Unmittelbar an der Wasserkante entlang führt ein Rad- und Wanderweg. Er führt vorbei an künstlich aufgeschütteten Stränden, grünen Liegewiesen, Cafés, Biergärten und Restaurants, die allerdings rücksichtsvoll in die Landschaft gesetzt wurden. Die Preise in dieser Region sind in der Regel moderat, die gastronomische Qualität jedoch ist sehr unterschiedlich.

Die gut ausgeschilderten Wander- und Radrouten führen auch über die Dämme der Seen. Der imposanteste ist jener, der den Großen Brombachsee nach Osten hin abschließt: 1,7 Kilometer lang und bis zu 34 Meter hoch, hält das mächtige Bollwerk 137 Millionen Kubikmeter Wasser zurück. Wer den Damm von Allmannsdorf Richtung Pleinfeld überquert, blickt linker Hand in eine grüne Talidylle mit saftigen Wiesen, Weihern, in die Landschaft getupften Wäldchen und der Mandlesmühle. 1315 erstmals urkundlich erwähnt und bis 1983 bewirtschaftet, ist in ihr heute ein kleines, aber feines staatliches Mühlenmuseum untergebracht sowie eine Ausstellung über Bau, Sinn und Zweck des Seenlandes.

Untergegangen in den Fluten

Das prächtig herausgeputzte Anwesen erinnert an die elf Mühlen, die sich entlang des kleinen Flüsschens Brombach reihten und die im Großen Brombachsee untergegangen sind. Einige von ihnen hatten ihren Ursprung im 14.Jahrhundert. Als letzter gab der Langweidmüller seine Mühle auf; die Flutung des Brombachsees hatte bereits begonnen und das Wasser war seinem Anwesen schon sehr nahe gekommen. Er wurde wie alle Mühlenbesitzer vom Staat entschädigt. Der inzwischen verstorbene, alte Mann litt dennoch für den Rest seines Lebens auch gesundheitlich am Verlust der seit Generationen von seiner Familie bewirtschafteten Mühle.

Hoffnungen auf einen Neuanfang

Der Bau dieser Seenplatte, in die Staat und Kommunen etwa eine Milliarde Euro investierten, ging so gut wie ohne juristische Auseinandersetzungen über die Bühne. Es bildete sich keine Bürgerinitiative dagegen und es formierten sich keine Demonstrationszüge. Die Angst der Menschen in diesem Landstrich vor den Einschnitten in die Landschaft war geringer als die Hoffnungen auf einen Neuanfang.

Das galt auch für das Hinterland. Besucher tun gut daran, die Gestade der Seen zu verlassen und Ausflüge zu unternehmen. Zum Beispiel in die alte Deutschordensstadt Ellingen mit ihrem prächtigen Barockschloss. Ins mittelalterliche Wolframs-Eschenbach, den Geburtsort des Minnesängers Wolfram von Eschenbach, einer Art Elvis Presley seiner Zeit. Oder in die Bier-Stadt Spalt, die in einem Seitental liegt, eingebettet von Hopfengärten. Und natürlich empfiehlt sich ein Besuch in Weißenburg.

Römerschatz in Weißenburg

Die Stadt vereint in sich Mittelalter und Antike. Als freie Reichsstadt war Weißenburg jahrhundertelang direkt dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation unterstellt und damit privilegiert. Viele hundert Jahre zuvor hinterließen die Römer hier ihre Spuren. Nachdem die Unesco den einstigen römischen Grenzwall Limes vor einigen Jahren zum Weltkulturerbe erklärt hat, wurde das entsprechende Informationszentrum für Bayern in der 17.000-Einwohner-Kreisstadt angesiedelt. In Weißenburg ist neben dem in einem Museum konservierten, gut erhaltenen römischen Bad und Rudimenten eines Kastells auch der spektakulärste und wertvollste Römerschatz zu sehen, der je nördlich der Alpen entdeckt wurde. Ein Weißenburger Mathematiklehrer grub die Götter-Statuetten Ende der siebziger Jahre beim Spargelstechen in seinem Garten aus.

Ansonsten ist von Goldgräbermentalität im Fränkischen Seenland nichts zu spüren. Und auch das anfängliche Chaos ist vorbei. Der Betrieb auf den Seen und im Umland läuft heute geordnet ab. Was auch damit zu tun hat, dass die Besuchermassen, die anno 1986 über den Kleinen Brombachsee hereinbrachen, sich heute auf fünf Gewässer verteilen.

Notwendige Investionen - Fehlanzeige

Der Andrang hat aber auch abgeflaut, denn die Region kämpft ein Vierteljahrhundert nach jenem anarchischen Sommer unübersehbar mit Problemen. Zimmervermieter und Gastronomen halten sich mit notwendigen Investitionen zurück. Tourismusmanager und Kommunalpolitiker propagierten jahrelang ein "Weiter so", anstatt der Region ein klares touristisches Profil zu geben und sie dementsprechend weiterzuentwickeln. Sie propagierten das Fränkische Seenland als günstiges Feriengebiet für junge Familien, für Naturliebhaber, für Radler und Wanderer, für sanften Tourismus - und kämpften andererseits um große, auf Massentourismus ausgelegte Freizeitparks, die zum Glück bislang nicht gebaut wurden. Und dann tauchte da in den vergangenen Jahren noch ein ekliges Problem auf.

Badewarnungen wegen Blaualgen

Ganz entgegen ihrem Namen verfärben seit drei Jahren Blaualgen vor allem Altmühl- und Igelsbachsee unappetitlich grün. Schuld daran ist zu hoher Nährstoffeintrag, unter anderem aus der Landwirtschaft. Regelmäßig wurden im Sommer Badewarnungen ausgesprochen. In der Folge brachen 2010 erstmals Gäste- und Übernachtungszahlen ein. Wird das Problem nicht schnell gelöst, muss das Fränkische Seenland um seinen Ruf als Feriengebiet fürchten. Denn der ist inzwischen mehr gefährdet, als er es in jenem anarchischen Sommer vor 25 Jahren war.

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