Bauboom im Segment der kleinen Schiffe:Einmal im Leben

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Nah am Gletscher, so nah, dass man das Knacken des Eises hören, kleine Brocken berühren kann. Naturerlebnisse wie diese sind es, die Menschen auf Expeditionskreuzfahrten in die Arktis oder die Antarktis führen. (Foto: Hapag-Lloyd Cruises)

Mehr als 50 neue Expeditionsschiffe sollen bald auf den Meeren fahren - viele neue Anbieter drängen in den exklusiven Markt.

Von Michael Wolf

Auf den Pfaden großer Forscher wandeln, die entlegensten Teile der Welt bereisen, sich über unberührte Natur freuen oder seltene Tiere entdecken, das bieten Expeditionskreuzfahrten. Mit Zodiacs unbewohnte Inseln anfahren, von Experten Wissenswertes über die jeweilige Gegend und ihre Pflanzen- und Tierwelt erfahren, an Bord mit gutem Service und exzellenter Küche umsorgt zu werden: Diese Reiseart zieht immer mehr Menschen an. Der Traum von Eisbergen, Pinguinen oder Galapagosechsen hat allerdings seinen Preis. Expeditionskreuzfahrten gehören zu den teuersten Segmenten der Kreuzfahrtindustrie. Auf einigen Fahrten kann der Tagespreis pro Person 1000 Euro übersteigen.

Ein Geschäft, das brummt. Nach vielen Jahren ohne einen einzigen Neubau herrscht rege Betriebsamkeit bei etlichen Reedereien: Nicht weniger als 52 neue Expeditionsschiffe mit der höchsten Eisklasse sind derzeit im Bau, einige wurden bereits geliefert. Entstanden sind sie meist auf kleineren Werften, die oft zuvor noch keine Kreuzfahrtschiffe gebaut haben. Das führt immer wieder zu Verzögerungen bei der Auslieferung der Schiffe. Die Zahl der Kreuzfahrtpassagiere soll sich von 242 000 im Jahr 2018 bis zum Jahr 2023 nach Angaben des Branchendienstes Cruise Industry News nahezu verdoppeln.

Schiffe mit 200 Passagieren sind und bleiben ein Nischenmarkt, die Masse fährt auf Megakreuzern

Dennoch wird es nie ein Markt der großen Volumina werden. Die Höchstzahl von Passagieren eines solchen Expeditionsschiffes liegt wegen der strengen Auflagen in der Antarktis oder anderen geschützten Gebieten meist bei 200 - und die würden bequem in einen einzigen Tender vieler Megaschiffe passen. Das macht die kleinen Schiffe natürlich noch viel interessanter für diejenigen, die dem Massenmarkt mit seinen Verkaufsveranstaltungen und Animationen den Rücken kehren wollen.

Für sie steht die Destination im Vordergrund, sie ist nach Erkenntnissen vieler Touristiker reiseentscheidend. Und je nach Zielgebiet ordern die Reedereien teils ihre Schiffe: Warmwasserschiffe mit Cabanas auf dem Oberdeck für die Galapagosinseln, andere für polare Fahrten mit Eisklasse. Viele Schiffe können beides und fahren im Sommer in die Arktis, im Winter in die Antarktis, und dazwischen erkunden sie auch den Amazonas oder abgelegene Trauminseln in der Südsee oder Asien.

Ende der 1950er-Jahre reisten bereits einige Hundert Gäste auf chilenischen und argentinischen Marineschiffen gegen Bezahlung in die Antarktis. Der schwedische Geschäftsmann Lars-Eric Lindblad sollte wenig später 1966 zum Veranstalter der ersten Antarktisexpedition werden, indem er einen chilenischen Marinetransporter charterte. 1969 brachte er das erste Expeditionsschiff für Passagiere auf den Markt, die Lindblad Explorer, die 1984 als erstes Passagierschiff die Nord-West-Passage durchqueren sollte.

Heute teilen sich gut 30 Anbieter den Expeditionsmarkt mit Produkten, die vom einfachen Abenteuersegler bis zum Luxus-Expeditionsschiff reichen. Zur letzten Kategorie gehören die Scenic Eclipse oder Crystal Endeavor, die mit Gadgets wie Hubschraubern, U-Booten, Suiten mit bis zu 195 Quadratmetern Größe und Butlerservice sowie sechs Restaurants an Bord werben (siehe "Die Kleinen kommen").

Nicht nur Scenic ist neu im Hochseegeschäft. Auch das portugiesische Unternehmen Mystic, zu dem der deutsche Flussreisenveranstalter Nicko Cruises gehört, baut jetzt mehrere Hybrid-Expeditionsschiffe, die World Explorer wird in Kürze in Dienst gestellt. Nicko Cruises hat so sein Portfolio mit der teilweisen Vermarktung dieser Schiffe entscheidend vergrößert.

Einer der Vorreiter in diesem Bereich der neuen Schiffe ist die französische Reederei Ponant, die sich mit kleineren Luxusyachten einen Namen machte und auch die Polargewässer befuhr. Nach dem Einstieg eines Investors aus dem französischen Luxusbereich folgte eine ganze Serie neuer Schiffe. Glanzstück und Weltpremiere wird ein Hybrid-Eisbrecher sein, der im Mai 2021 kommen soll.

Andere Anbieter möchten mit älteren Schiffen jetzt im Geschäft erstmals mitmischen, so etwa die elsässische Flusskreuzfahrtenreederei Croisi Europe und die US-amerikanische American Queen Steamboat Company, die beide Expeditionskreuzfahrten anbieten wollen. Sie kauften oder charterten ihre Schiffe von dem Dänen Niels-Erik Lund, der als König der Expeditionsschiffe gilt. Bis vor Kurzem gehörten seiner Firma SunStone Ships noch zwölf ältere Schiffe, die er weltweit an Reedereien und Veranstalter wie Silversea, Poseidon Expeditions oder Iceland Pro Cruises vercharterte. Damals gab es insgesamt nur noch 35 Schiffe in diesem Segment. Lund: "Etliche verschwanden aus dem Markt. So gehörten uns etwa 30 Prozent des Weltmarktes. Aber die Flotte war alt - wir wollten neue Schiffe bauen."

Es erwies sich als schwierig, damals Werften zu finden, die am Bau kleinerer Schiffe interessiert waren. Erst zehn Jahre später wurde Lund fündig: Bei der chinesischen Werft CMHI hat er nicht weniger als sieben Schiffe fest bestellt, drei weitere Optionen werden wohl noch dieses Jahr in feste Aufträge verwandelt. Das Design ist klar und modern, der patentierte Bug (X-Bow) für raue Gewässer optimiert.

"Wir sehen an Bord unserer Schiffe mehr jüngere Leute, die vielleicht in den 30ern oder 40ern sind. Und auch immer mehr ältere Menschen, die aktiv sind wie nie zuvor. Noch vor zehn Jahren hätte man sicher keinen 85-Jährigen gesehen, der dreimal täglich in ein Zodiac steigt und auf dem Eis spazieren geht", sagt Lund. So habe auch die Altersspanne den Markt vergrößert, genauso wie neue Länder: "Vor zehn Jahren hatten wir keinen einzigen chinesischen Passagier. Heute stellen die Chinesen die zweitgrößte Community an Bord, direkt nach den Amerikanern."

Für die Reedereien könnte es langfristig schwierig werden, qualifiziertes Personal für die vielen Neubauten zu bekommen. Denn auch hier gelten strengere Regeln. Der seit 2017 eingeführte neue Polarcode, der von der IMO (International Maritime Organisation mit Sitz in London) überwacht wird, schreibt besondere Anforderungen auch für die Ausbildung der nautischen Besatzung und des Kapitäns vor.

Spartanische Ausstattung und Jugendherbergscharakter sind passé, sagt Kapitän Thilo Natke

Einer der erfahrensten Kapitäne im Bereich der Expeditionskreuzfahrten ist Thilo Natke. Er hat bereits als Offizier auf der Society Explorer (Ex-Lindblad Explorer) und 1990 auf der World Discoverer gearbeitet. Seit vielen Jahren als Kapitän auf der MS Hanseatic bei Hapag-Lloyd Cruises ist er nun Kapitän der gerade in Dienst gestellten Hanseatic nature, das erste der drei neuen, elegant designten Expeditionsschiffe der Hamburger Reederei.

Natke stellt fest, dass der Trend im Expeditionsbereich eindeutig in Richtung Luxus gehe. "Die Zeiten der alten Schiffe mit ihren doch sehr spartanischen Einrichtungen und Jugendherbergscharakter sind definitiv vorbei." Wo früher nur der Besuch einer Pinguinkolonie auf dem Programm stand, werden heute auch Schneeschuhwanderungen, Kajakfahrten oder Zeltübernachtungen in der Antarktis angeboten.

Jürgen Kutzer, Besitzer des Reiseveranstalters Atiworld in Alzenau, ist einer der besten Kenner des Luxuskreuzfahrtmarktes in Deutschland. Nach seiner Einschätzung ist das Ende des Baubooms noch lange nicht in Sicht.

Auch Karl J. Pojer, der Chef von Hapag-Lloyd Cruises, ist sich sicher: "Die Nachfrage ist größer als das Angebot". Eine Weltneuheit hat die monegassische Luxusreederei Silversea Cruises im Angebot: eine 167 Tage lange Weltreise auf dem Expeditionsschiff Silver Cloud. Einstieg ist am 30. Januar 2021 in Ushuaia, Stationen sind die Antarktis, die Südsee, die Osterinseln, Bora Bora, die australische Kimberley-Region, das Mittelmeer und Spitzbergen. Kosten: ab 87 000 Euro pro Person.

© SZ vom 27.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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