Balearen:Wandern im Norden Mallorcas: nicht immer leicht, aber grandios

Balearen: Zwischendurch auch mit tierischer Gesellschaft: der Wanderweg GR221.

Zwischendurch auch mit tierischer Gesellschaft: der Wanderweg GR221.

(Foto: Mirco Lomoth)

Die Route GR221 führt durch das Tramuntana-Gebirge - durch Bergdörfer und Schluchten, teils mit Blick aufs Meer. Wenn man nicht die Orientierung verliert. Selbstversuch auf einem umstrittenen Weg.

Von Mirco Lomoth

Wo ist der Weg? Eben war er noch da, nun ist er nirgendwo mehr zu sehen. Hing da nicht ein verbeultes Metallschild mit der Aufschrift "Privatweg, Durchgang verboten" an einer Steineiche? Sind wir nach der letzten Markierung falsch abgebogen? Müssen wir umdrehen? Fragen, die man sich auf einer Wanderung ungern stellen will, schon gar nicht, wenn man gerade erst losgewandert ist.

Wir sind am Morgen an der Dorfkirche von Esporles gestartet und durch üppige Bauerngärten spaziert, die hinter hohen Steinmauern lagen. Grüne und gelbe Zitronen, Mandarinen und Mispeln hingen an den Bäumen, in der Luft lag ein süßlicher Duft von Orangenblüten. Wir folgten den Schildern des GR221 in den Wald und hinauf in die Berge. Der Trockenmauerweg, wie der GR221 wegen der alten Steinmauern, die ihn oft begleiten, auch genannt wird, führt einmal quer durch das Tramuntana-Gebirge im Norden Mallorcas - durch Bergdörfer, Schluchten und das karge mallorquinische Hochgebirge. Auf ihm wollen wir sieben Tage wandern, von Hütte zu Hütte, mit Zwischenstopps in Gasthäusern im Tal. Das zumindest ist der Plan, aber erst einmal müssen wir den Weg wieder finden.

In vielen Fällen ist es schwer zu beweisen, dass die Pfade einst öffentlich genutzt wurden

Den GR221 gibt es bereits seit 14 Jahren, doch sein Verlauf glich bisher eher einem Flickenteppich als einem Fernwanderweg. Denn die vom mallorquinischen Inselrat geplante Route von Port d'Andratx im Westen bis zum vorgelagerten Cap Formentor im Nordosten quert vielerorts private Fincas, deren Besitzer sich vehement gegen das Projekt wehren. Vor allem im westlichen Teil, zwischen Port d'Andratx und Deià, gibt es viele Lücken im Wegverlauf. Um die 95 Prozent des Landes auf Mallorca ist in Privathand, öffentliche Wanderwege haben es daher schwer, selbst wenn sie seit Jahrhunderten als Verbindungswege genutzt wurden. "In vielen Fällen ist es nicht einfach zu beweisen, dass es sich um Wege handelt, die früher öffentlich begangen wurden, weil die Dokumente verloren gegangen sind oder nie existierten", sagt Josep Manchado, Umweltdirektor des Inselrats von Mallorca, der für die Wanderwege auf der Insel zuständig ist. "Die Fincabesitzer haben Nachbarn immer erlaubt, die alten Wege zu nutzen, aber manche von ihnen wollen keine Wandergruppen auf ihrem Land haben."

Eine durchgängige Wandertour von Port d'Andratx bis Cap Formentor ist bisher nur möglich, wenn man sich über unzählige Verbotsschilder hinwegsetzt, über Tore und Zäune klettert und sich im unmarkierten Gelände mühsam einen Weg sucht. So wie wir, auf der Strecke von Esporles nach Valldemossa.

Zum Glück hat jemand Steinmännchen aufgeschichtet, denen wir bergauf durch einen lichten Steineichenwald folgen. Kreisrunde, moosbewachsene Plateaus aus Feldsteinen liegen im Halbschatten unter Olivenbäumen. Es sind Meiler, an denen Waldarbeiter einst das Holz von Steineichen zu Kohle verschwelt haben. Sie sind auf unserer Wanderkarte eingezeichnet, und solange es bergauf geht, müsste unsere Richtung stimmen. Und tatsächlich, bald darauf öffnet sich der Wald und gibt den Blick frei auf eine von Straßen und Steinmauern zerschnittene Ebene. Große Landgüter liegen zwischen Olivenbäumen - vor einem Meer, das mit dem Himmel zu einer blauen Endlosigkeit verschmilzt.

Kaum ein Wanderer ist hier oben unterwegs, nur einmal überholt uns eine Dreiergruppe, als wir gerade Rast machen und vom Grat aus die Aussicht genießen. Dann irgendwann tauchen vor uns die Häuser und der Kirchturm des berühmten Kartäuserklosters von Valldemossa auf, wo Frédéric Chopin sich vor fast 200 Jahren von seinem Lungenleiden zu erholen suchte. Wir passieren quietschende Metalltore und laufen die letzten Meter ins Dorf durch einen schmalen Korridor, der zwischen einer alten Steinmauer und einem hohen Zaun mit Sichtschutz verläuft, hinter dem vermutlich eine Finca liegt. Erwünscht fühlen wir uns hier nicht.

"Die Abschnitte um Valldemossa herum sind die problematischsten", sagt Josep Manchado. "Wir haben alles versucht, um uns mit den Landbesitzern zu einigen, aber es hat zu nichts geführt." Auch auf der anderen Seite des Dorfs, wo der Weg weiterführt nach Deià, weigern sich die Fincabesitzer, ihr Land für Wanderer zu öffnen.

Die Zukunft: wie eine Fischgräte

Insgesamt 164 Kilometer des GR221-Wegenetzes wurden bisher zugänglich gemacht und markiert, zuletzt im Februar ein Wegstück zwischen Estellencs und dem Küstenort Banyalbufar - nach einem zwölf Jahre währenden Rechtsstreit. Jetzt sollen die verbleibenden Lücken schneller geschlossen werden. Josep Manchado hofft, dass der GR221 in zwei Jahren vollständig markiert sein wird. "Wir werden mit den Landbesitzern jetzt noch ein letztes Mal verhandeln, um ihnen das Land abzukaufen, und dann einen Enteignungsprozess in Gang setzen." Ein aktueller Gerichtsbeschluss mache diesen Schritt möglich, und ein Gesetz, über das noch dieses Jahr im Parlament der Balearen abgestimmt werden soll, werde es künftig überall auf den Balearen vereinfachen, öffentliche Wege zu schützen oder sie trotz privater Ansprüche wiederzueröffnen.

"Damit wird die Schaffung neuer Wanderrouten enorm erleichtert", sagt Manchado. Der Inselrat erwägt bereits, eine Leuchtturmroute entlang der Küste zu umzusetzen, und auch für das Wegenetz des GR221 sind zusätzliche 100 Kilometer geplant. "Die Route soll in Zukunft wie eine Fischgräte aussehen, wir wollen auch kleinere Dörfer der Ebene an den Hauptweg anschließen, damit sie vom Tourismus profitieren können." Auch in Städten wie Inca, Lloseta, Santa María del Camí und Palma sollen Wanderer künftig in den GR221 einsteigen können.

In Valldemossa, wo Tagesausflügler aus Reisebussen steigen und zum Kartäuserkloster drängen, steigen auch wir in den Bus, um das Privatland zu umfahren, das die Route nach Deià hier noch blockiert. Als wir die Rucksäcke neben uns auf dem Sitz abstellen, sind wir den Landbesitzern für einen Moment dankbar, dass wir heute nicht mehr weiterwandern müssen. Das ist einer der Vorzüge des GR221: Immer wieder führt der Weg durch Dörfer, in denen man einen Cortado oder ein Orangeneis bestellen und auf den nächsten Bus warten kann, um eine Etappe abzukürzen, wenn die Waden schmerzen. Denn manche der mittlerweile sechs offiziellen Tagesetappen sind mit neun Stunden reiner Gehzeit übertrieben lang geplant.

Unsere erste Nacht auf dem GR221 verbringen wir in Doppelstockbetten in einem Mehrbettzimmer hinter den dicken Steinmauern der Can-Boi-Hütte in Deià, einer ehemaligen Olivenölmühle. Sechs solche Wanderunterkünfte hat der Inselrat am GR221 seit 2003 geschaffen, drei weitere sollen in den nächsten Jahren mit dem Ausbau der Route folgen, unter anderem in Banyalbufar und bei Esporles. Zusammen mit anderen Wanderern sitzen wir am Abend an großen Tischen, es gibt gegrillte Hühnerschenkel, Rotwein und zum Nachtisch einen Apfel.

Am Morgen gehen wir durch die steilen Gassen von Deià. Das Dorf zählt zu den schönsten Mallorcas, zwischen kleinen Steinhäuschen stehen Feigen- und Walnussbäume, ein Bach plätschert, Katzen recken sich auf Vordächern. Der GR221 ist hier gut markiert, er führt aus Deià heraus in eine Landschaft aus Trockensteinmauern und Terrassenfeldern, auf denen fantastisch geformte Olivenbäume stehen. Lämmer grasen in ihrem Schatten.

In einem alten Gutshaus am Wegesrand verkaufen zwei Schwestern selbstgebackenen Mandelkuchen, Orangentartes, Zitronen-Baisertorte, frischgepressten Orangensaft. Sie haben weiße Holztische und Stühle direkt am GR221 aufgestellt, auf einer Terrasse über einem weiten grünen Tal. Kaum ein Wanderer schafft es, an diesem Ort vorbeizugehen. "Früher mussten die Leute diesen Weg nehmen, um von Dorf zu Dorf zu gelangen, weil es keine Straßen im Tal gab", erzählt eine der beiden Schwestern. "Damals sagte man, dass es von hier aus nach Marseille näher sei als nach Palma." Sie führt uns durch die alte mallorquinische Küche, die im Haus ihrer Großeltern erhalten ist, mit einer großen Feuerstelle, die von einer weiß verputzten Sitzbank umgeben ist. In den Wandnischen steht noch das alte Familienporzellan, auf Schwarz-Weiß-Fotos sind ihre Großeltern mit einer Schar Landarbeiter und Bediensteter zu sehen, sie produzierten Olivenöl und Holzkohle für den Verkauf in Port de Sóller. Wir bestellen Zitronen-Baisertorte und Cortado, setzen uns auf die Terrasse, schauen in die Ferne. Heute haben wir keine Eile, die Tagesetappe zwischen Deià und der nächsten Hütte bei Port de Sóller ist mit zehn Kilometern für einen Fernwanderweg eher ein Witz.

Schon am Nachmittag, bald nach der Kaffeepause, erreichen wir den Leuchtturm von Cap Gros. Strahlend weiß steht er auf einer Landzunge oberhalb der sichelförmigen Bucht von Port de Sóller, aus der schon vor 100 Jahren mit Orangen beladene Schiffe nach Frankreich ausliefen. Unterhalb des Leuchtfeuers werden wir die Nacht verbringen. Die Muleta-Hütte war früher eine militärische Telegrafenstation, heute sitzen hier Wanderer auf einer riesigen Terrasse und schauen hinaus aufs Meer, das harmlos daliegt. Wir spazieren die gewundene Straße hinunter nach Port de Sóller, legen uns in die Abendsonne an den Strand, bestellen Fisch-Tapas in einer der Strandbars und sind wieder oben bei der Hütte, als die Sonne untergeht. Erst als wir in die Hütte gehen, erinnern wir uns wieder daran, dass wir auf einem Fernwanderweg unterwegs sind: Gemeinsam mit 30 anderen Wanderern liegen wir mit Ohrstöpseln in einem überdimensionierten Schlafsaal, während draußen der weiße Lichtstrahl des Leuchtturms von Cap Gros den Nachthimmel zerschneidet.

Den Weg verlieren wir nun nicht mehr, ab Deià ist der GR221 nahezu lückenlos markiert. Nur einmal verpassen wir den Einstieg, als wir von Sóller aus durch endlose Orangen- und Zitronenplantagen gehen, um zur Schlucht von Biniaraix zu gelangen. Doch nach einem kurzen Umweg finden wir ihn wieder. Auf Steinpflaster geht es steil hinauf in die Höhen der Olivenhaine, vorbei an Trockensteinmauern. Sie terrassieren die steilsten Hänge, um auch die letzten Fleckchen Erde auszunutzen, begrenzen Ländereien, kanalisieren das Wasser. In den vergangenen 30 Jahren hat der Inselrat die fast vergessenen Bautechniken wieder gefördert, Handwerker ausgebildet und einige der alten Konstruktionen restaurieren lassen. Hier, in der Schlucht von Biniaraix, sehen sie aus wie Relikte einer mächtigen Festungsanlage.

Unterwegs stehen Häuser, in denen früher Schnee für heiße Tage im Tal gesammelt wurde

Allmählich verengt sich der Himmel zwischen den Felsen. Hinter uns im Tal liegt Sóller, in der Ferne steht der Leuchtturm von Cap Gros. Wir erreichen einen Grat und laufen hinaus auf die Cúber-Hochebene, über die ein kalter Wind fegt. Hier oben zeigt Mallorca sich von seiner rauen Seite, ein Kontrast zu den lieblichen Terrassenlandschaften und lichten Wäldern der mittleren Höhen, durch die der GR221 meistens verläuft. Wir suchen Schutz hinter einer Trockensteinmauer, packen unser Picknick aus und freuen uns auf die verbleibenden Tage auf dem GR221.

Wir werden im kargen Hochgebirge zu Schneehäusern wandern, in denen früher Schnee für heiße Tage im Tal gesammelt wurde, zum Wallfahrtskloster Lluc, wo Pilger zu der Heiligen Jungfrau von Lluc beten, der Schutzheiligen Mallorcas, und weiter bis nach Pollença, wo am Markttag die Bauern all die Früchte aus ihren Gärten verkaufen, die wir unterwegs hinter dicken Steinmauern haben wachsen sehen. Erst auf der Halbinsel Formentor, wo der GR221 in Zukunft einmal enden wird und wir zu türkisfarbenen Buchten absteigen, verlaufen wir uns wieder zwischen Zäunen, Verbotsschildern und auf unmarkierten Wegen. Da ist er wieder, dieser Kitzel der Ungewissheit - sind wir falsch abgebogen? Müssen wir umkehren? Irgendwie auch ein wenig schade, wenn auf Mallorca bald jeder Weg zum Ziel führt.

Reiseinformationen

Wanderweg GR221: Aktuelle Informationen auf Deutsch zur Tour durch die Serra de Tramuntana gibt es auf der Website des Inselrats von Mallorca. Hier kann man auch den offiziellen Wanderführer zum GR221 herunterladen, die Verfügbarkeit von Betten in den Hütten des Inselrats prüfen und Übernachtungen buchen: www.conselldemallorca.net/mediambient/pedra

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