Bahnreisen vor Weihnachten:In den letzten Zügen

Armutszeugnis oder Realitätssinn? Warum die Deutsche Bahn davor warnt, kurz vor den Feiertagen mit der Bahn zu fahren.

Daniela Kuhr

Die verschneite Landschaft kann noch so schön glitzern: Wenn der Zug mitten auf weiter Flur stehen bleibt und es im Lautsprecher zu knacken beginnt, reagiert selbst der größte Bahnfan alarmiert. Er weiß, was jetzt kommt. Im besten Fall verzögert sich die Weiterfahrt "um wenige Minuten", im schlimmsten Fall "um unbestimmte Zeit". Diese Durchsagen bekommen Fahrgäste derzeit oft zu hören. Der ICE 649 von Hannover nach Berlin beispielsweise stand am Montagmorgen fast vier Stunden zwischen Braunschweig und Wolfsburg. Eine Schneeverwehung hatte eine Weiche vereisen lassen.

Seitdem der Winter nach Deutschland gekommen ist, ist Bahnfahren geradezu abenteuerlich. Erst müssen die Reisenden stundenlang auf eiskalten Bahnsteigen stehen und auf verspätete Züge warten. Dann dürfen sie sich in völlig überfüllte Wagen drängen.

Am Wochenende hat die Deutsche Bahn die Fahrgäste sogar aufgefordert, ihre Reise nach Möglichkeit zu verschieben - auf weniger nachgefragte Zeiten. Genauso gut hätte der Konzern sagen können: Hilfe, wir packen es nicht! Ein Armutszeugnis, sagen die einen. Eine gut gemeinte Warnung, die anderen. Und beide haben zu einem gewissen Teil recht.

Folgen des Sparkurses

Die Bahn hat in der Vergangenheit viele Fehler gemacht. Infolge des Sparkurses, den der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn dem Konzern mit Blick auf den Börsengang verordnet hatte, wurde jeder Kostenpunkt dreimal hinterfragt. Nicht nur an den Zügen wurde gespart, es musste auch die ein oder andere Werkstatt schließen, und Heizungen für Weichen rückten ein wenig nach unten auf der Prioritätenliste.

Schon im vergangenen Winter hatten die Fahrgäste das zu spüren bekommen. Mehdorns Nachfolger Rüdiger Grube gelobte allerdings Besserung. 41 Milliarden Euro will er in den kommenden fünf Jahren in Infrastruktur und neue Züge investieren. Weitere 330 Millionen Euro sollen für technische Verbesserungen an Weichen, Signalen und Wagen ausgegeben werden, um den Fahrbetrieb insgesamt weniger wetteranfällig zu machen. Das Problem ist jedoch: Einige der ausgemachten Ursachen lassen sich nicht über Nacht abstellen.

Ein Beispiel: Seit einem Achsbruch im Kölner Hauptbahnhof müssen die ICE-Züge zehnmal häufiger zur Kontrolle in die Werkstatt als ursprünglich geplant. Im Winter dauern diese Kontrollen zudem noch deutlich länger, weil die Züge erst aufwendig enteist werden müssen. Das bedeutet: Die Bahn fährt praktisch ohne jede Reserve. Macht ein Zug Probleme, kann die Bahn ihn nicht einfach ersetzen. Neue Züge aber lassen sich nicht von heute auf morgen anschaffen. Erst Ende kommenden Jahres können die ersten von 15 neuen ICE-3-Zügen in Betrieb genommen werden. 2014 sollen weitere folgen.

Die Bahn ist nicht für alle Pannen verantwortlich

Für andere Probleme, wie etwa den Schotterflug, hat die Bahn überhaupt noch keine Lösung. Bei den derzeitigen winterlichen Temperaturen bilden sich an der Unterseite der ICE Eisklumpen. Fallen diese während der Fahrt herunter, kann Schotter aufgewirbelt werden und gegen den Zug knallen. Wird dieser dadurch beschädigt, muss die Bahn ihn aus dem Verkehr nehmen. Sie hat deshalb derzeit bundesweit die Höchstgeschwindigkeit auf 200 Stundenkilometer reduziert - was natürlich zu weiteren Verspätungen führt.

"Die jetzt bei der Bahn auftretenden Probleme haben viele Ursachen", sagt Hartmut Buyken vom Fahrgastverband Pro Bahn. "Wer die Schuld allein bei dem Unternehmen sucht, macht es sich zu einfach." Zwar sei in der Vergangenheit oft am falschen Ende gespart worden. "Doch wenn meterhohe Schneeverwehungen eine Weiche zufrieren lassen, dann könnte das selbst die beste Weichenheizung nicht bewältigen", sagt er. "Für solche Pannen ist nicht die Bahn verantwortlich, sondern allein der Winter."

Warnung ist "nur der Hinweis auf die Realität"

Auch Holger Krawinkel, Verkehrsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen, will dem Staatskonzern nicht die Alleinschuld geben. "Wenn alle Fluggäste und Autofahrer auf die Bahn ausweichen, dann sind die Züge nun einmal irgendwann voll." Die Bitte, Reisen nach Möglichkeit zu verschieben, sei daher kein Armutszeugnis, "sondern nur der Hinweis auf die Realität".

Man müsse jedoch genau analysieren, woran es in diesen Tagen gehapert habe. "Die Schweizer mit ihren strengen Wintern haben viel weniger Probleme mit ihrer Bahn", sagt Krawinkel. Allerdings investiere die dortige Regierung auch deutlich mehr Geld in das System Schiene.

Bei der Bahn selbst wirkt man ein wenig hilflos. "Wir tun alles, um die Beeinträchtigungen so gering wie möglich zu halten", sagt ein Sprecher. Alle Kapazitäten seien aufgefahren worden. "Trotzdem kann ich nur dringend raten zu reservieren, und wenn im gewünschten Zug nichts mehr frei ist, auf einen anderen auszuweichen." Morgens und abends seien die Chancen größer. "Am schlimmsten wird der 23. Dezember", sagt er. "Wer irgend kann, sollte am 22. oder erst am 24. Dezember fahren."

Die Meldung des Verkehrsclubs VCD dürfte ihm da gerade recht kommen: Die Bahn sei in diesen Tagen immer noch "das sicherste und zuverlässigste Verkehrsmittel", stellt der Club fest. Wer mit ihr unterwegs sei, komme zwar zu spät an und verbringe die Zeit in einem überfüllten Zug - "aber die Bahn fährt".

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