Bahnhöfe in Paris:Kunstvoll umsteigen

In Paris die Züge zu wechseln, ist eine Tortur. Doch statt durch die verschiedenen Bahnhöfe zu hetzen, sollte man etwas Zeit einplanen - und ein paar Schmuckstücke entdecken.

Von einem Zug in den anderen umzusteigen ist üblicherweise keine große Sache. Man steigt an einem Gleis aus, läuft ein paar Minuten zu einem anderen Gleis und steigt in den Anschlusszug ein. Nicht so in Paris. Hier gibt es keinen Hauptbahnhof wie in anderen europäischen Metropolen. Der Fernverkehr läuft über sechs sogenannte Kopfbahnhöfe, die rund um den Stadtkern liegen. Wer den Zug wechseln will, muss mit Metro, Schnellbahn, Bus oder Taxi durch die Innenstadt hetzen.

"Als im 19. Jahrhundert verschiedene private Bahngesellschaften ihre Gleisstränge vom zentralen Verkehrsknoten Paris sternförmig in alle Landesteile verlegten, baute jedes Unternehmen seinen eigenen Bahnhof", erklärt Gustave Mercier, Vielreisender aus dem Elsass und geübter Umsteiger. Das Eisenbahnsystem befindet sich längst in staatlichem Besitz, die alten Bahnhöfe und Strecken aber blieben bis auf wenige Ausnahmen erhalten.

Bahnfans in aller Welt schwärmen von diesen Bauten, die Adelsschlössern aus der Feudalzeit gleichen. Der Prunk war gewollt, die Bahn galt vor eineinhalb Jahrhunderten noch als Fortbewegungsmittel der Reichen. Die Fahrgäste warteten in Salons an den Bahnsteigen und speisten in pompösen Restaurants.

Von Paris nahm 1883 der legendäre "Orient-Express" seine tagelange Reise nach Istanbul auf, zur Côte d'Azur fuhren rollende Luxushotels. Mit dem Zweiten Weltkrieg endete die Glanzzeit der Eisenbahn in Europa. Doch in Paris, dem europäischen Zentrum des Hochgeschwindigkeitsverkehrs, erinnern die prachtvollen Stationen bis heute daran.

Hunderttausende von Passagieren eilen jeden Tag achtlos durch die traditionellen Hallen. Nur wenige Bewunderer der vergangenen Bahnhofsarchitektur nehmen sich Zeit für eine Besichtigung und fotografieren eifrig die Details.

Ein Museum im Bahnhof

In einem der alten Prachtbahnhöfe flanieren Kunstbegeisterte dort, wo einst die Gleise lagen. Der einstige Gare d'Orsay am linken Ufer der Seine ist heute das Museé d'Orsay, spezialisiert auf Maler des Impressionismus. "Unvorstellbar, dass dieser herrliche Bau vor 40 Jahren abgerissen werden sollte", ereifert sich die Kunststudentin Thérèse Roussel. Heute ziehe das Museum jedes Jahr 2,2 Millionen Besucher an.

Europa Frankreich Paris Bahnhöfe, dpa

Endstation für deutsche Parisreisende: der Gare du Nord.

(Foto: dpa-tmn)

Eine private Gesellschaft errichtete den Gare d'Orsay zur Weltausstellung im Jahr 1900 für den Verkehr nach Südwestfrankreich. Qualmende Lokomotiven waren aus der Halle verbannt, der Betrieb lief elektrisch - eine Sensation für die damalige Zeit. Ein Luxushotel war angeschlossen. "Der Bahnhof ist prachtvoll, er erinnert mich an den Kunstpalast", sagte der Maler Edouard Detaille bei der Eröffnung. Der Gare Saint Lazare faszinierte im 19. Jahrhundert den Impressionisten Claude Monet. "Er malte ihn zwölfmal", sagt Roussel. Von hier erreicht man bis heute die Badeorte und Häfen am Ärmelkanal.

Bahnreisende aus Deutschland kommen entweder am Gare de l'Est oder am Gare du Nord an. Von hier fahren der Eurostar durch den Kanaltunnel nach London, der Thalys nach Amsterdam, Brüssel und Köln, die superschnellen TGVs in Richtung Norden sowie in die Schweiz und nach Italien. Viele Touristen fotografieren die 180 Meter lange neoklassizistische Fassade aus dem Jahr 1864.

Wer hier ankommt und weiter in den Süden, ans Mittelmeer, reisen will, muss zum Gare de Lyon. "Für das Umsteigen haben Sie hoffentlich genügend Zeit kalkuliert", sagt der französische Zugbegleiter Alain. "Etwa eine Stunde reicht." Am bequemsten ist es, per Taxi die Züge zu wechseln. Wer Metro oder Schnellbahn nimmt, muss lange Wege in den verzweigten Tunnelsystemen zurücklegen.

Wo die Belle Epoque weiterlebt

Europa Frankreich Paris, dpa

Gut situiert: Das Museé d'Orsay liegt mitten in Paris am linken Ufer der Seine.

(Foto: dpa-tmn)

Der Geschäftsmann Sean Peters aus London, der regelmäßig nach Marseille weiterreist, lässt sich beim Umsteigen gerne etwas mehr Zeit. "Im Gare de Lyon gibt es das schönste und beste Bahnhofsrestaurant Europas", schwärmt er. "Le Train Bleu" nennt sich der Gourmettempel, wie früher der luxuriöse Express an die Côte d'Azur. Hier in der ersten Etage, teils mit Blick auf die Bahnhofshalle mit ihren modernen Zügen, lebt die Belle Epoque weiter.

Dutzende mächtige Wand- und Deckengemälde, Kronleuchter, Mobiliar im Stil der Wende zum 20. Jahrhundert, weiß gedeckte Tische und traditionell gekleidete Kellner erzeugen die elegante Atmosphäre der Vergangenheit. Das Restaurant wurde im April 1901 vom Staatspräsidenten eröffnet. Gäste sollten unbedingt reservieren - auch mittags.

Reisende in die zentralen französischen Regionen sowie in den Südwesten müssen zum Gare d'Austerlitz. Er ist benannt nach dem Schauplatz der Dreikaiserschlacht im Jahr 1805, in der Napoleon siegte. Auch die Schlafwagenverbindungen mit Madrid und Barcelona starten und enden hier.

Der einzige Bahnhof, der seine architektonische Vergangenheit ablegen musste, ist der Gare Montparnasse. Von hier fahren die TGVs an den Atlantik. Eine moderne Glasfassade prägt seit 20 Jahren das Gebäude, zum Schrecken der Bahnnostalgiker. Es ist nur schwer vorstellbar, dass sich hier eines der spektakulärsten Zugunglücke ereignete: 1895 durchbrach eine Dampflok die Bahnhofsfassade und stürzte auf den eine Etage tiefer liegenden Vorplatz.

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