Baden in Berlin:Paradiese und Höllenhunde

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In Berlin findet jeder Badende sein Glück: Eine Wasserreise von Babelsberg im Westen bis in die Stadtmitte.

Erster Tag: Schlosspark

Schlosspark Babelsberg (Foto: Foto: Times/GNU)

Man kann sich den Badenden als einen Schläfer vorstellen, glücklich in der Sonne liegend und brütend, von Zeit zu Zeit aufstehend, den heißen Leib im Wasser kühlend, gemächlich zurückkehrend an seinen Liegeplatz, friedvoll weiterdämmernd.

Dieser Badende hat nur ein einziges Ziel: jenen Zustand der Leere zu erreichen, in welcher der Mensch, so hat es uns jedenfalls kürzlich der Fußballtorwart Oliver Kahn erklärt, endlich zu sich selber findet. Man wird nie genau wissen, wie man den seltsamen Geisteszustand eines solchen Tagträumers nennen soll: Ist es noch Stumpfsinn, oder ist es schon Tiefsinn? Der Mensch weiß es wohl selber nicht.

Man kann sich den Badenden aber auch ganz anders vorstellen: als einen Kulturmenschen, hellwach, allzeit zum Staunen bereit. Für einen solchen Badenden gibt es in und um Berlin keinen besseren Badeplatz als den Schlosspark in Potsdam-Babelsberg.

Hier kann man jederzeit und ohne Mühe vom Zustand der Meditation in jenen der Aktion übergehen. Man kann sich vom Wasser abwenden und eine Kulturexpedition beginnen: das Hügel- und Gartenkunstwerk Lennés durchwandern, das Schloss besichtigen, den ehrwürdigen Aussichtsturm besteigen - und dann, wenn man will, an den Havelstrand zurückkehren.

Aufs Wasser schauen und den Schiffen zusehen, den Lastkähnen und den Touristendampfern. Nach links Richtung Potsdam blicken oder nach rechts, zur legendären Glienicker Brücke.

Gewiss, es gibt hier auch eine ordentliche Badeanstalt samt Biergarten und Bademeisterservice, aber wer nicht das gewöhnliche, sondern das gleichsam aristokratische Badevergnügen sucht, der ist in einer der stillen Buchten des Schlossparks eindeutig besser aufgehoben. Der kann sich sogar eitel einreden, dass das Baden, das Schauen und das Denken einander verwandte Tätigkeiten sind.

Lesen Sie weiter über eine Insel, wo die Pfauen ihr Lied singen.

Zweiter Tag: Pfaueninsel

Ein Segler kreuzt vor der Pfaueninsel. (Foto: Foto: R.Alt/Berlin.de)

Die Fähre braucht nur zwei Minuten, und schon hat man jenen Ort der Hauptstadt erreicht, der am weitesten von der Hauptstadt entfernt ist. Auf der Pfaueninsel, kaum fünf Kilometer nördlich von Potsdam, betritt man ein märkisches Illyrien, eine andere Welt, eine andere Zeit.

Keine Autos fahren hier, sie sind nicht einmal zu hören. Das dominierende Geräusch auf dem Eiland sind die seltsam heiseren Schreie (oder sollte man sagen Gesänge?) der Pfauenvögel, und man weiß nicht, ob es Klagelieder sind oder Bekundungen der Lust.

Es gibt hier ein weißes Lustschloss im Ruinenstil, erbauen ließ es Friedrich Wilhelm II., vom Volk genannt der dicke Wilhelm, für seine Mätresse Wilhelmine. Es gibt Wasserspiele, Ziergärten und pseudorömische Ruinen. Und im Norden der kleinen Insel findet man, neben einem malerischen alten Bauernhof, tatsächlich auch einen winzigen, nur wenige Meter breiten Strand. Ein Badestrand ist dies allerdings nicht, vermutlich ist das Baden hier verboten.

Aber wer die Pfaueninsel erreicht hat, wahrscheinlich den idyllischsten Ort von ganz Berlin, den wird das nicht betrüben. Der Mensch mit Badehose oder gar ohne hätte hier in einer Schönheitskonkurrenz ohnehin keine Chance - gegen die stolz flanierenden, schreienden, toll das Rad schlagenden Pfauen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wo sich die Massen ahlen.

Dritter Tag: Masse Mensch

Strandbad Wannsee (Foto: Foto: ddp)

Das Strandbad Wannsee, angeblich Europas größtes Stadtbad, war einmal ein Sehnsuchtsort: die "Badewanne Berlins", Schauplatz von Filmen, Thema von Schlagern ("Pack die Badehose ein!"). In den vergangenen Jahrzehnten ist es dann aber unaufhaltsam zum Objekt von Klagegesängen und Nachrufen geworden.

Und wer vor ungefähr zehn Jahren hoffnungsfroh hierher kam, den erwartete ein Schock: ein Bild der traurigsten Verwahrlosung. Die legendäre zweistöckige Promenade - verfallen. Das Restaurant Lido - eine Ruine. Die kolossalen Garderoben- und Toilettengebäude - verdreckt und verlassen.

Das Strandbad, ehemals ein Prunkstück der Neuen Sachlichkeit, war zum Mahnmal der Alten Hässlichkeit geworden. Hätte damals jemand einen Spielfilm drehen wollen über stille Badefreuden im tristen deutschen Osten, er hätte hier, ausgerechnet an einer mythischen Stätte des Berliner Westens, den besten aller Drehorte gefunden.

Vor einem Jahr wurde das Strandbad hundert, und zum Jubiläum war die große, die komplette Renovierung versprochen. Sie ist einstweilen ein Fragment geblieben. Man kann nun zwar wieder über die schier endlose zweistöckige Promenade flanieren, aber plötzlich, südwärts, ist die Pracht zu Ende, denn hier steht immer noch das Wandelhallen-Skelett aus rostigen Säulen und Balken.

Von jeglicher Eleganz oder gar Pracht also ist das Monumentalbad noch immer weit entfernt, aber das ist dem treuen Berliner Wannseebadfan vermutlich schnuppe oder sogar recht. Denn er kommt hierher ja nicht als Kulturreisender oder Nostalgiker, sondern mit ganz handfesten Interessen: Er will nicht nur im seichten Wannseewasser baden, sondern auch in der Masse der lieben Mitmenschen.

Er will den Qualen der Einsamkeit glücklich entkommen. Er will, nicht weit entfernt von Kanzleramt und Reichstag, das Original Berliner Mallorcagefühl spüren, Kopf an Kopf, Leib an Leib. Wer das Wannseebad liebt, gehört nicht zu den Verzärtelten: Er glaubt, dass der Mensch sich selber nicht in der Leere findet, sondern, wenn überhaupt, in der Fülle.

Badefreuden zwischen Hunden und Nackten - auf der nächsten Seite.

Vierter Tag: Bullenwinkel

Im Norden des Grunewaldsees (Foto: Foto: oh)

Die Welt verändert sich nun, doch der Wandernde kann es zunächst nicht sehen, bloß hören. Die Naturbilder sind noch immer dieselben, Kiefernwälder und schmale, sichelförmige Seen. Sie heißen Schlachtensee, Krumme Lanke und Grunewaldsee, und wer aus dem Strandbad Wannsee hierhin entkommen ist, der wähnt sich erst einmal in Sicherheit.

Doch dann fängt es an, zuerst leise, dann unaufhörlich anschwellend: das Gebell und Geheule von Hunden. Hier ist ihr Berliner Hauptrevier, und wer selber keinen Hund hat, sollte jetzt vielleicht westwärts zur Havel zurückkehren oder ostwärts in die Weiten des Grunewalds entweichen. Oder Zuflucht suchen im Jagdschloss Grunewald und seiner kleinen, edlen Gemäldegalerie.

Im Norden des Grunewaldsees, einander direkt gegenüber, liegen zwei Strände, die man, je nach Temperament und geistiger Verfassung, Paradiese oder Höllenorte nennen kann. Im Osten der Hundestrand, im Westen der Bullenwinkel.

Hier die besessenen Tierfreunde, gegenüber die bekennenden Nackten, die im Bullenwinkel eben nicht schnell und diskret aus den Kleidern schlüpfen und dann Ruhe geben, sondern, vor allem wenn sie höheren Alters und männlichen Geschlechtes sind, gern und pfauenhaft herzeigen, was alles die Natur ihnen mitgegeben hat.

Für den, der hier nicht heimisch ist, für den Fremdling, den Eindringling, ist dies ein etwas mulmiger Ort. Und die moosgrüne Notrufsäule am Strand, mit der man jederzeit die Polizei herbeirufen kann, ist vielleicht ein Zeichen dafür, dass es bei der Rückkehr des Menschen ins Paradies auch zu Schwierigkeiten kommen kann.

Man muss jetzt, und das ausgerechnet hier, an die Berliner Museen denken. An die alten Tafelbilder mit den Szenen vom Jüngsten Gericht. Nackt schreitet dort der Mensch ins Himmelreich. Aber nackt stürzt er auch ins Inferno, wenn er zu den Verdammten gehört. Die Bestien und Dämonen, die ihn höllenwärts erwarten, sehen einem strammen Berliner Kampfhund nicht einmal unähnlich.

So denkt man, auch wenn es womöglich Unfug ist. So denkt man und ergreift die Flucht. Und bleibt nicht stehen, bis man wieder mit den Vögeln allein ist.

Lesen Sie weiter über ungestörtes Plantschen in stillen Havelbuchten.

Fünfter Tag: Niemandsbucht

Am Ufer der Havel (Foto: Foto: GNU)

In Berlin findet jeder Badende sein Glück. Es sind nur ein paar hundert Meter, und man hat Hundehölle oder Wannsee-Ballermann hinter sich. Am Ufer der Havel, die ein Fluss ist, aber wie ein See aussieht, gibt es Hunderte von kleinen, namenlosen Buchten, Fluchtorte in allen Größen. Buchten für den Einzelgänger und die Zweisamen. Buchten für die Klein- und die Großfamilie. Buchten mit Schilf und Buchten mit Kopfweiden.

Und an den heißen Hauptstadttagen gibt es gleich zwei Wege ins Kühle: Entweder steigt man furchtlos ins nicht eben quellklare Havelwasser. Oder man wendet sich um und ist in wenigen Schritten in den schattigen Wäldern und Schluchten des Grunewalds - wo man staunend sieht, dass Berlin eben nicht nur, wie ein böses Vorurteil behauptet, ein monoton plattes, steinernes Riesengebilde, sondern auch eine Berg-, Wald- und Wasserlandschaft ist.

Idyllisches Baden zwischen Autobahnen? Auf der nächsten Seite!

Sechster Tag: Autobahn

Im Autobahnkreuz: Halensee (Foto: Foto: Luftschiff.de)

Die Hunde hört man hier nicht, die Vögel nur mit Mühe. Denn der kleine Halensee, nicht weit entfernt vom westlichen Ende des Kurfürstendamms, liegt direkt an der Berliner Stadtautobahn, mitten im Motorengetöse, aber dafür mit schönem Blick auf den Funkturm.

Es ist ein fast unzugänglicher See, die Villen und die Komfortbungalows versperren den Weg zu den Ufern. Nur eben neben der Autobahn ist ein kleiner Strand fürs gemeine Volk übriggeblieben, und hierhin lockt es auch viele lichthungrige Senioren aus den nahen, gutbürgerlichen Vierteln Charlottenburg und Wilmersdorf, wo man, so hat es der Neuköllner Komiker Kurt Krömer höhnisch erklärt, "zum Sterben hinzieht". Woran aber gerade die älteren Badegäste (viele von ihnen mit Stock, aber ohne Hose) gewiss nicht denken, wenn sie sich hier vergnügen.

Man muss jetzt zwangsläufig mitten im Brummilärm an den schönsten und stillsten aller Berliner Badeplätze denken: Er befindet sich in der Gemäldegalerie am Potsdamer Platz, auf Cranachs Gemälde "Der Jungbrunnen". Dort steigen runzlige Greisinnen ins Brunnenwasser und entsteigen ihm als rosige Nymphen. Ob es am Berliner Halensee zu ähnlichen Verwandlungswundern kommt, konnten wir vor Redaktionsschluss leider nicht mehr in Erfahrung bringen.

Lesen Sie weiter über einen Strand, an dem man nicht baden kann.

Siebter Tag: Capital Beach

(Foto: Foto: Berliner Akzente)

Wäre noch eine Woche Zeit, müsste man jetzt aufbrechen zu den Stränden in Berlins Osten, zum Großen Müggelsee und seinen labyrinthischen Nachbargewässern. Und dann in den Süden und dann in den Westen. Danach wüsste man endgültig, dass Berlin, das Steinerne Meer, auch eine Wasserwelt ist.

Unsere Expedition aber endet nun. Nicht am Ende der Welt, sondern im Mittelpunkt der Stadt. Am grünen Strand der Spree, gegenüber dem neuen Hauptbahnhof. Schwimmen kann man hier zwar nicht, dafür aber stundenlang friedlich den Schiffen und den Zügen zusehen.

Die Strandbar heißt "Capital Beach" und bietet neben Strandkorb, Liegestuhl, Palme und dezenter Dauerbeschallung, neben dem Üblichen also, auch einen Cocktail mit dem Namen Maradona.

Da fällt einem zwangsläufig wieder der heiße Sommer 2006 ein: Deutschland hatte Argentinien im Elfmeterschießen bezwungen, und die Fußballfreunde strömten von der nahen Fanmeile hierher. Einige tollkühne Männer sprangen im Glücksrausch doch tatsächlich von der hohen Fußgängerbrücke kopfüber hinab in die trübe Spree.

Die Berliner Wasserpolizei, die sonst jedes Baden im Fluss grimmig verhindert, schaute dem wilden Treiben tatenlos zu. Es gab kein Gesetz mehr, und alles war gut.

© SZ vom 3.7.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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