So könnte sich die Autofahrt von morgen anfühlen: Man hat Luftkissen unter dem Sitzpolster. Kleine Ventile sorgen für die Be- und Entlüftung. Schon vor dem Einsteigen stellt sich der Sitz auf die Statur des Fahrers oder der Fahrerin ein. Keine Verspannung mehr nach einer langen Autofahrt, der Autositz wird zum Massagestuhl. Und das, obwohl das Auto nur gemietet ist: Die Daten dafür liegen in einer Smartphone-App, mit der das Fahrzeug verbunden ist.
Alfmeier heißt das Unternehmen, das hinter diesem Szenario steckt. Ein Mittelständler aus Treuchtlingen, einer 13 000-Einwohner-Stadt etwa 70 Kilometer südlich von Nürnberg. Alfmeier hat lange fast die Hälfte seines Umsatzes mit Tanksystemen für Verbrennungsmotoren gemacht. Doch viele Autohersteller orientieren sich gerade um, Richtung Elektroantrieb, vielleicht noch zu Hybridmodellen. Wie geht das Unternehmen damit um? "Wir glauben an die Zukunft", sagt Klaus Beetz, Europachef Automotive. Alfmeier ist größtenteils ein Autozulieferer, Kunden sind Beetz zufolge alle Hersteller, die man kennt, von Tesla bis Opel. Gut 2200 Mitarbeiter hat der Mittelständler, neben der Tanktechnik gehören Sitzsysteme zum Kerngeschäft. Und hier sieht das Unternehmen seine Chance.
Denn die Zukunft, an die Klaus Beetz glaubt, ist das autonome Fahren. Wer hinter dem Steuer sitzt, muss sich nicht mehr auf die Straße konzentrieren, Fahrzeuge sollen zum Lebensraum werden, Sitze müssen dann mehr können. Und dann sind da noch die Sensoren, mit denen Autos überhaupt selbständig fahren können. Dazu muss man wissen: Alfmeier hat neben dem Automotive-Geschäft noch eine kleine Industriesparte, in der Kameratechnik hergestellt wird, zum Beispiel Einstellsysteme für den Autofokus. Dieses Know-how fließt in Produkte für automatisiertes Fahren, etwa in Komponenten für Kamera-Sensorik. "Wir entwickeln unsere bestehenden Technologien konsequent in zukunftsträchtige Bereiche hinein", sagt Beetz. Massierende Sitze sind so ein Beispiel. "Vor allem machen wir uns auch über digitale Geschäftsmodelle Gedanken." Das könnte die App sein, welche die Sitzvorlieben eines Passagiers enthält und Zusatzfunktionen zum Kauf per Klick anbietet.
Nur jedes vierte kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland hat zwischen 2014 und 2016 erfolgreich Digitalisierungsprojekte abgeschlossen, ergab eine Studie der Förderbank KfW. Im Durchschnitt gab jede Firma 18 000 Euro für die Digitalisierung aus. Ungefähr die Hälfte der Investitionen betreffen IT-Strukturen, die erneuert werden oder die Schnittstelle zu Kunden und Zulieferern, die digitalisiert wird. Produkte und Dienstleistungen werden hingegen selten digitalisiert.
In einem Gewerbegebiet im Norden Bambergs sitzt der Arzneimittelhersteller Dr. Pfleger. Etwa 350 Mitarbeiter arbeiten dort. Seit Beginn dieses Jahres hat das Unternehmen neue Geschäftsführer: Ralf Will und Günter Auerbach. "Die digitale Transformation wird unser gesamtes Unternehmen betreffen", sagt Auerbach. Den neuen Chefs war von vornherein klar, dass es die nicht auf Bestellung gibt - auch, wenn diese Annahme verbreitet sei.
Doch es gibt Unterstützung: Im Bamberger Innovations- und Gründerzentrum sitzt Bytabo, eine junge Digitalagentur. "Die Chemie hat gestimmt", sagt Auerbach, "mit dem Start-up haben wir jetzt einen Konterpart, von dessen Spirit wir profitieren." An neuen Geschäftsmodellen tüfteln Dr. Pfleger und Bytabo gemeinsam - in einem "Innovation-Bootcamp": in Workshops rund um das Thema digitale Transformation. Außerdem würden neue Technologien angewandt, Datenbanken verbessert und Prozesse digitalisiert.
Viele Betriebe haben ein Problem: Ihnen geht es zu gut. Das bremst Innovation
Die Workshops finden in Altbauten der Bamberger Innenstadt in einer "kreativen Umgebung" statt, sagt Ralf Will. Dort sollen die Mitarbeiter auch eine neue Fehlerkultur, digitale Denkweisen und agile Managementmethoden lernen. Techniken wie "Scrum" oder "Design Thinking" beschleunigten bereits jetzt die Entwicklung und reduzierten Budgets, sagt der Geschäftsführer Will. Außerdem spielen die Beteiligten ein sogenanntes "Disruptionsszenario" durch: Mitarbeiter denken sich in die Rolle von Herausforderern und greifen das eigene Unternehmen fiktiv an - um mögliche Schwachstellen zu finden. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete Dr. Pfleger einen Rekordumsatz von 78,6 Millionen Euro. Der Firma geht es sehr gut, sagt auch Auerbach.
Genau das aber ist es, was viele Unternehmen daran hindert, sich digital weiterzuentwickeln. Richard Dürr, bei der IHK in Nürnberg zuständig für Themen rund um IT und Digitalisierung, sagt: "Die Auftragsbücher sind gerade voll, viele Unternehmen sind mit dem Tagesgeschäft ausgelastet." Häufig fehle deshalb die Motivation, sich auch noch um Digitalisierungsprojekte zu kümmern. Dieses "Innovator's Dilemma", erklärt Niklas Volland, Gründer und Geschäftsführer von Bytabo, sei "gefährlich für den deutschen Mittelstand". Schwierig findet er auch, dass Digitalisierung noch zu oft als reines IT-Thema abgestempelt wird. Schließlich stünden die Mitarbeiter selbst dabei im Fokus.
Etwa 100 Kilometer nordöstlich von Bamberg liegt die Stadt Rehau, knapp 10 000 Einwohner, nur eine Viertelstunde Autofahrt trennt den Ort von der tschechischen Grenze. Dort hat die gleichnamige Rehau-Gruppe ihren Stammsitz. Weltweit beschäftigt sie etwa 20 000 Mitarbeiter. Rehau ist Spezialist für polymere Kunststoffe, auch als Autozulieferer oder Hersteller von Fenstersystemen. Rehau hat vor zwei Jahren ein Innovationslabor in München gegründet: Unlimited X hat elf Festangestellte und fast genauso viele Doktoranden, Studenten oder Praktikanten arbeiten dort. Mit dem eigenen Labor will man digitale Dienstleistungen, Produkte und Geschäftsmodelle weit weg vom Kerngeschäft entwickeln, wofür im Alltag die Zeit fehlt. Unlimited X ist dem Unternehmen zufolge keine verlängerte Werkbank der Rehau-Sparten, sondern eine eigenständige Ideenschmiede. "Heute ist Digitalisierung ein Trend. Morgen kann und wird es andere geben", sagt Stefan Girschik, stellvertretender CEO der Rehau Gruppe.
Und dafür will sich der familiengeführte Konzern aus Oberfranken wappnen. "Neue digitale Services, Produkte und Geschäftsmodelle stellen derzeit noch unter zehn Prozent des Produktportfolios", sagt Girschik. Doch künftig sollen digitale Applikationen das bisherige Kerngeschäft ergänzen und mittelfristig einen Anteil von etwa 30 bis 40 Prozent erreichen. Heißt: Die neuen Ideen aus dem Labor sollen die angestammten Produkte ablösen, die Mitbewerber günstiger anbieten oder die der Markt künftig nicht mehr braucht.
Die Zukunftsdenker beackern in München die Schwerpunktbranchen Automotive, Bau und Industrie. Ein Ergebnis ist der sogenannte "Rehau Smart Guard", ein Einbruchschutz für Fenster und Türen. Das System sendet Warntöne und Lichtsignale, wenn sich jemand dem Fenster nähert. Das soll abschrecken und sich von herkömmlichen Alarmsystemen abgrenzen.
Aber ist das Münchner Labor nicht vor allem ein Lockvogel für diejenigen begehrten Spezialisten, die man nicht in die oberfränkische Provinz bekommt? Auch, sagt Girschik. Doch vor allem will man die wachsende Start-up-Szene der bayerischen Landeshauptstadt nutzen. Und: Unlimited X hat die große Aufgabe, die Start-up-Kultur in das Unternehmen zu transportieren.