Süddeutsche Zeitung

Uluru in Australien:Jetzt ist aber Schluss

Der lange Streit um das Kletterverbot am heiligen Berg der Aborigines geht in die letzte Runde - wahrscheinlich. Ein Besuch beim Stein des Anstoßes.

Von Verena Mayer

Das Beste, was dem Berg passieren kann, ist Wind. Dann nämlich wird die Stelle gesperrt, an der eine Metallkette auf einem steilen Weg zum Gipfel führt. Und all die Leute, die hier auf bloßem Stein eineinhalb Kilometer nach oben klettern wollen, müssen unten bleiben, weil der Aufstieg zu gefährlich wäre. Wenn es windig ist, dann herrscht endlich Ruhe am Berg. Nicht irgendeinem Berg, sondern am Uluru, einer der beliebtesten Touristenattraktionen Australiens. Gelegen im roten Zentrum, in einem Teil des Landes, der den australischen Ureinwohnern gehört.

Für sie ist der Berg ein Heiligtum, und daher wollen sie nicht, dass die Fremden darauf herumklettern. Lange haben sie die Touristen auf Schildern, Infotafeln und in Broschüren um Rücksicht gebeten, vor zwei Jahren beschlossen sie eine drastischere Maßnahme: Wenn alles so kommt wie geplant, soll es ab Ende Oktober verboten sein, auf den Uluru zu steigen. Wenn.

Denn seit Monaten tobt eine heftige Diskussion darum, was man auf dem Uluru darf und was nicht, und wer überhaupt darüber entscheidet. Es geht um die Frage: Wem gehört der Berg?

Der Stein des Anstoßes, kurz nach sechs Uhr morgens. Alles ist wie immer in der touristischen Hochsaison. Am nachtblauen Himmel verglimmen die letzten Sterne, auf den Parkplätzen reiht sich ein Reisebus an den anderen, und die Besucher strömen über markierte Wege zu den Aussichtsplattformen. Sie stellen sich in Reihen auf, halten Handys und Kameras hoch und sehen zu, wie am Horizont die Silhouette des Berges hervortritt.

Wie der Uluru im Licht der aufgehenden Sonne seine Farbe wechselt, von Grau zu Kakaopulverfarben zu einem flammenden Orangerot. Wie Schichten, Risse, Höhlen und Verwerfungen im Gestein sichtbar werden, wie man Linien und Muster zu erkennen meint und Formen, die an riesige Augen erinnern.

Für Ungeübte nicht ungefährliche Kletterei

Sofort ist einem klar, was die Menschen an diesem Berg fasziniert, der so unvermittelt aus dem weiten roten Land emporragt. Warum der "Uluru Climb" von unzähligen Leuten auf Instagram und Youtube als ultimatives Erlebnis beschrieben wird, das man nicht verpassen darf. Warum sich die Leute in der prallen Sonne eine Wand hochquälen, die für ungeübte Kletterer nicht ungefährlich ist.

Clive Scollay weiß noch, wie alles angefangen hat. Scollay sitzt mit Basecap und Rucksack in einem Hotelcafé der Touristensiedlung Yulara, die 17 Kilometer vom Berg entfernt ist. Scollay war lange Sozialarbeiter in einem Dorf der Anangu-Ureinwohner, jetzt leitet er Maruku Arts, eine Plattform für indigene Künstler. Als es Scollay vor 40 Jahren hierher verschlug, war der Berg überall nur als "Ayers Rock" bekannt, der Name, den europäische Entdecker ihm gegeben hatten.

Es gab eine Rinderfarm und eine Tankstelle, ansonsten lebten die Leute so, wie sie schon Tausende Jahre zuvor gelebt hatten. Sie jagten und sammelten im Busch und kamen zu Zeremonien am Uluru zusammen. Scollay traf Menschen, die noch genau wussten, wie das war, als sie den ersten Weißen gesehen hatten.

Mitte der Achtzigerjahre bekamen die Anangu das Land, in dem der Uluru liegt, wieder zurück und verpachteten es an die Regierung. Ein Nationalpark mit einer gemeinsamen Verwaltung wurde eingerichtet, ein Resort für Touristen gebaut und ein Flughafen. Seither strömen Besucher aus aller Welt zum Uluru, bis zu 400 000 im Jahr. Und mit dem Tourismus kam das Bedürfnis nach dem Außergewöhnlichen - nach dem Aufstieg auf den Berg.

Weil so viele Besucher hochkletterten, wurde hier erst eine Kette angebracht und dann für jeden, der beim Aufstieg in den Tod stürzte, eine Plakette. 37 Tote gab es bislang am Uluru.

Auch die junge Frau, die sich als Leah Savage vorstellt, kam als Touristin. Savage stammt aus Westaustralien, als Kind reiste sie mit den Eltern zum Ayers Rock, die Familie kletterte hoch, weil das alle so machten.

"Wir wussten nichts über die Kulturen in unserem Land", sagt Savage. Als Erwachsene kam sie zurück, lernte die Sprache, heute übersetzt sie unter anderem für die Ureinwohner. So wie für die ältere Frau, die zwischen Farbtöpfen auf dem Boden sitzt und schwarze, weiße und orange Linien und Punkte auf eine Leinwand pinselt.

Sie heißt Millie Coulthard und kommt aus einer der Siedlungen in der Umgebung, für die es keine Straßenschilder gibt, weil die Aborigines ein Leben abseits der Touristen führen wollen. Das Kunsthandwerk ist für Coulthard eine Möglichkeit, ein wenig Geld zu verdienen.

Millie Coulthard ist versunken in ihre Arbeit, nur manchmal sieht sie auf und erzählt, wofür die Punkte und Linien stehen. Es geht um einen Krieger mit Speeren und um eine Schlangenfrau mit ihren Kindern, es geht darum, wo man den Emu jagt und wie man zum Wasserfall findet. Und immer wieder läuft die Geschichte auf einen Punkt zu - den Berg.

Coulthard spricht langsam und auf Pitjantjatjara mit einigen englischen Worten dazwischen. Sie wirkt versunken, so, als sei sie beim Malen in eine andere Welt abgetaucht. Es ist schwer zu sagen, was sie genau mit dem Berg verbindet. Sie will auch nicht erzählen, wie oft sie dort ist, was sie oder ihre Familie dort machen. Aber es wird klar, dass der Berg eine zentrale Rolle in ihrem Denken einnimmt.

Das wird auch spürbar, sobald man direkt vor dem roten Felsen steht. Ein Weg führt um den Uluru herum, vorbei an Höhlen, steinernen Becken, in denen sich Wasser sammelt, an Gesteinsformationen, die aussehen wie Tierspuren, an Wegen, die voller Bäume sind und etwas von einem Garten haben.

Auf Tafeln kann man die Geschichten nachlesen, die die Ureinwohner mit dem Berg verbinden, man erfährt, dass die Leute hierher kamen, um diese Geschichten zu hören, um Höhlenmalerein zu sehen, um zu baden oder zu beten, um Frauen- und Männerdinge zu besprechen, um einen Platz zu haben, an dem Alte und Jugendliche für sich sein können.

Fünf Tage unterwegs, zu Fuß, ohne Proviant

Noch heute kommen die Anangu zum Berg, erzählt ein Tourguide, erst letztens sei ein alter Mann mit einem Jungen hier gewesen, ein Großvater, der seinem Enkel beibringen wollte, was einen Mann ausmacht. Die beiden waren fünf Tage lang zu Fuß unterwegs, ohne Proviant, ernährt haben sie sich von Sukkulenten.

Spätestens wenn man die zehn Kilometer um den Uluru herumgelaufen ist, versteht man, dass dieser Berg nicht nur ein Berg ist, sondern auch religiöse Stätte, Universität, Ausstellungsort, Sportplatz und soziale Anlaufstelle, alles zugleich. Leah Savage, die Übersetzerin, sagt, dass es Anangu-Männern vorbehalten sei, auf den Berg zu klettern, und das auch nur, wenn es bestimmte Zeremonien erfordern. Wenn es andere tun, "dann ist das so, wie wenn du Gäste bei dir zu Hause hast und sagst, bitte trinkt keinen Rotwein auf dem weißen Sofa, und prompt trinken die Leute auf dem weißen Sofa Rotwein".

Klettern ja oder nein - die Frage spaltet das Land

Gerade sind es besonders viele. 70 000 zusätzliche Besucher habe man 2018 gezählt, heißt es aus der Parkverwaltung. Und von denen klettern an Tagen, an denen das Wetter es zulässt, Hunderte den Berg hoch, dicht an dicht hintereinander, wie eine riesige Ameisenstraße.

Sie tun es, weil es für sie zum Erlebnis dazugehört, oder auch nur aus Überzeugung, etwas zu tun, wovon man glaubt, dass man es als zahlender Kunde darf. Oder aber sie tun es aus Prinzip: So wie im Juli die rechtspopulistische Politikerin Pauline Hanson. Sie nannte das Verbot "lächerlich" und machte sich vor laufenden Kameras an den Aufstieg (den sie dann abbrechen musste, weil er zu steil war).

Klettern ja oder nein - die Frage spaltet das Land. Die einen sagen, man müsse Respekt vor den australischen Ureinwohnern haben, die anderen, darunter konservative Politiker, finden, dass der Uluru allen Australiern gehöre.

Es gibt Leute, die Overtourism am Uluru beklagen, und andere, die glauben, der Tourismus würde unter einem Kletterverbot leiden, was am Ende auch den Anangu selbst schade. Jeder hat eine Meinung, jeder fühlt sich im Recht.

"Es ist ein Minenfeld", sagt ein Mann, der seit Jahrzehnten in Yulara arbeitet. Er will nicht mit Namen zitiert werden, zu verhärtet seien die Fronten. Die Debatte um den Berg weist über das rote Zentrum Australiens hinaus. Sie handelt von den Grenzen des Tourismus und davon, wer welche Rechte hat. Wie viel Rücksicht man auf Minderheiten nehmen will und was die Mehrheitsgesellschaft glaubt, sich herausnehmen zu dürfen.

Am Uluru heißt das Gegengift: Eventisierung. Wenn die Leute das eine schon nicht tun sollen, dann will man ihnen zumindest etwas anderes bieten. Man kann Segway-Touren machen oder auf Kamelen reiten. Helikopter kreisen über dem Berg, und es gibt das "Field of Light". Der Künstler Bruce Munro hat am Fuß des Uluru Zehntausende kugelförmige Lampen angebracht. Wenn es dunkel wird und die ersten Sterne sichtbar werden, leuchten die Lampen nach und nach auf. Bis man irgendwann ein riesiges Lichtermeer vor sich hat, durch das man spazieren, in dem man Cocktails trinken oder heiraten kann.

Die Sonne geht jetzt unter am Uluru, es ist wieder die Zeit, in der die Touristen in ihren Bussen ausschwärmen. An einem verborgenen Platz am Ende einer Sandstraße sind Tische und Bänke aufgebaut. Köche bereiten ein Vier-Gänge-Menü mit Weinbegleitung zu, Dinieren mitten in der Wüste, auch so ein Event. Bevor es losgeht, sagt der Maître: "Danke, dass wir dieses Land nutzen dürfen", die traditionelle Formel in diesem Teil Australiens, um sich bei den Ureinwohnern zu bedanken.

Beim Dessert leuchtet eine Frau mit einem Laserpointer in den sternenklaren Himmel, zur Milchstraße und zum Kreuz des Südens. Sie erzählt die Geschichten, die der Westen und die Ureinwohner für die Sternbilder erfunden haben. Zwei Wahrheiten, die friedlich nebeneinanderstehen, wenigstens hier, nachts in der Wüste.

Reiseinformation

Anreise: Singapore Airlines fliegt von Frankfurt aus über Singapur nach Darwin, hin und zurück ab 1500 Euro in der Economy Class, www.singaporeair.com

Übernachtung: Das Voyages Ayers Rock Resort ist eine Touristensiedlung rund um den Uluru und die einzige Übernachtungsmöglichkeit im Nationalpark. Es bietet Unterkünfte der unterschiedlichsten Kategorien, vom Campingplatz bis zum Sternehotel, www.voyages.com.au

Formalitäten: Für den Nationalpark Uluru-Kata Tjuta braucht man einen Pass, erhältlich im Internet auf www.parksaustralia.gov.au/uluru

Weitere Auskünfte: Northern Territory Tourism, www.northernterritory.com/de

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4586349
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.09.2019/kaeb
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.