Australien: Sydney (SZ):Ein Haus, aus Trotz gebaut

Das Queen Victoria Building in Sydney: Zunächst pompöser Markt, dann heruntergekommener Bürokomplex und schließlich luxuriöses Shoppingcenter.

Peter Sartorius

(SZ vom 26.09.2000) - Von seinen Anhängern wurde das Haus als historisches Monument, von seinen Gegnern als Monstrosität tituliert - damals, bei den jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um Abriss oder Erhaltung des Gebäudes, das einer Kombination aus Kathedrale, Moschee und indischem Grabmal gleicht mit einem Schuss Disney-Phantasie in Gestalt einer neonblau strahlenden Kuppel - was unabsichtlich daran erinnert, dass der Bau eine Weile die Elektrizitätsgesellschaft von Sydney beherbergt hat.

Australien: Sydney (SZ): Queen Victoria Building, die Königin der Kaufhäuser.

Queen Victoria Building, die Königin der Kaufhäuser.

(Foto: sonstige)

Vor mehr als hundert Jahren war das Haus als pompöse Markthalle errichtet worden und hatte danach mehr schlechte als gute Zeiten erlebt, auch solche, in denen es, in Düsternis verfallen, nur noch lichtscheues Gesindel anzog. Manche Tode ist der Bau gestorben und lebt trotzdem immer noch. Und am Ende verhalf ihm ein Wunder zurück zum ursprünglichen Glanz. Oder, anders herum, zu einem ganz neuen. Das Haus, konstatierte Pièrre Cardin im Jahre 1986, als nach jahrelanger Agonie das Gebäude wiedereröffnet wurde, sei nun das schönste Shopping Centre der Welt.

Puppen im Tower

Erzählen wir also jetzt, da das Haus mit dem Ansturm der Olympiatouristen fertig werden muss, die Geschichte des QVB von Sydney, das sich einem an der George Street als magischer Blickfang in den Weg stellt. Durch unterirdische Passagen ist es mit einem U-Bahnhof, einem Kaufhaus und einer Futterstelle unter Tage verbunden, die sich wie eine Weltmesse für Fast food präsentiert. Das QVB seinerseits beherbergt ebenfalls Esslokale, Imbisskioske und über 170 Läden und Boutiquen, die sich nicht wesentlich von denen anderer mondäner Shopping Center unterscheiden.

Doch wo sonst in der Welt hätte ein Einkaufstempel vergleichbares Flair, vom Moskauer GUM abgesehen? Die schmiedeeisernen Geländer dreier aufeinander getürmter Galerien, das filigrane Mosaik gekachelter Böden, die blütenförmigen Kirchenfenster, die Pilaster, die allegorischen, halbnackten Frauenskulpturen aus weißem Carrara-Marmor - wohin man schaut: Jugendstil, Tiffany, Art Deco, teils original, teils rekonstruiert. Und darüber, flankiert von mächtigen Westminster-Uhren, der allerschönste Kitsch, ein zwischen den Galerien hängender Tower mit Puppenbühne, auf der Szenen aus Englands großer Geschichte dargeboten werden.

Das QVB ist ein Produkt dieser Geschichte, des britischen Imperiums. Zu Ehren von Königin Victorias diamantenem Thronjubiläum wurde es auf den Namen der Regentin getauft, um Zeugnis davon abzulegen, dass sich Sydney als Brückenkopf in einer von den Briten besetzten, neu besiedelten Welt schon an der Schwelle zum 20. Jahrhundert aus dem Nichts heraus zur Großstadt gemausert hatte.

Fünf Jahre war an dem pompösen Bauwerk gebaut worden, ehe es 1898 fertig wurde. 261 102 Pfund, zehn Schilling und neun Pence investierte die Stadt, immenses Geld damals, durchaus vergleichbar mit den sieben Millionen, die man ein halbes Jahrhundert später für ein neues Wahrzeichen der Stadt ansetzte, für das Opernhaus, wobei freilich bei letzterem die Kosten dann explodierten und sich am Ende mehr als verzehnfachten. Aber das ist eine andere Geschichte. Gemein mit der berühmten Oper hat das QVB zumindest, dass es aus Trotz entstand. Beide Male herrschte eine Wirtschaftskrise, und beide Male wollte man ihr durch ein gewaltiges Bauvorhaben entgegenwirken.

So sehr überragte das Qeen Victoria Building damals alles andere in seiner Nachbarschaft, dass es sich in den Fotoalben aus der Vergangenheit wuchtig wie der Petersdom ausnimmt. Unter den Bildern sind auch solche, die einen Chinesen mit Schottenrock zeigen. Um Quong Tart handelt es sich, Tee-Großhändler und in der Anfangszeit des QVB so etwas wie dessen Patron.

Als Neunjähriger war er an der Hand seines Onkels, eines Glückssuchers, aus China gekommen, um auf den Goldfeldern südlich von Sydney den Dolmetscher zu spielen, weil er daheim von britischen Kaufleuten Englisch gelernt hatte. Aber der Onkel fand kein Glück, sondern den Tod. Quong Tart kam in die Obhut einer schottischen Familie, deren Claims er später erbte. Als das Queen Victoria Building mit Pomp seine Pforten öffnete, war er ein reicher Mann. Im QVB richtete er ein Teehaus, feudale Hotelräume und Bankettsäle für rauschende Feste ein. Garant für die Exklusivität des Hauses war er und Symbol für dessen Exotik.

Insgesamt 200 Geschäfte aus der Stadt hatten sich im großen Haus niedergelassen, Korsett-Schneidereien, Blumenläden, Kräuterstuben und alles andere, was Profit versprach, auch Werkstätten für Fangnetze zu Abwehr der Kaninchen-Plage im Land. In den Kellern ruhten mehr als eine halbe Million Flaschen Wein. Und unter der Kuppel, die damals noch nicht neonblau leuchtete, musizierten Sydneys talentierteste Pianisten und Violinisten. Aber bald stimmten sie ihre Instrumente auf Moll. Ein gefährliches Pflaster war Sydney damals, und Quong Tart wurde ihr Opfer. Ein Straßenräuber erschlug ihn auf der Straße.

Weiterblättern in vergilbten Alben. Man sieht das QVB in voller Blüte und in seinen Hallen Indianerfrauen im Federschmuck und mit der neuesten aus Amerika importierten Errungenschaft, der Singer-Nähmaschine. Und einen Aufzug gibt es zu bewundern, mit dem Fuhrwerke samt Pferdegespann aus dem Keller gewuchtet wurden. Es war indes eine Scheinblüte. Bald nach Quong Tarts Tod im Jahr 1902 zeigte sich, dass der Unterhalt zu teuer kam. Der Erste Weltkrieg kam und dann die Weltwirtschaftskrise. Die Läden wurden schäbiger und die Schulden drückender, die der Stadt aus dem QVB erwuchsen. Aus Warendepots wurden Abstellgaragen; der Rattenfänger der Stadt richtete sich ein; Wasser begann durch die Decken zu tropfen. Man blickt auf Photos, die das Bauwerk in einem Zustand zeigen, als sei es Kulisse für Chicagos Gangsterfilme.

Immerhin, das Haus fand als Bürokomplex eine neue Verwendung. Die Elektrizitätsgesellschaft zog ein. Aus eleganten Ladenpassagen voller flanierender Menschen wurden Schalterhallen für Stromkunden mit Büropersonal hinter Tiffany-Fenstern. Und dann schon ein Bild aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg: Sydneys Bürgermeister bei der Verkündung eines Todesurteils. Ein moderner Hochhausblock sollte das QVB ersetzen. Funktionaler Büroraum war gefragt in der boomenden Stadt. Also weg mit der lästigen victorianischen Hülle, meinte die Stadt und löste Tumult aus, den geballten Protest von Architekten, Professoren, Künstlern.

Arm in Arm gegen den Abriss

Es begann, was in Büchern als die "große Debatte" festgehalten ist. Es ging um viel mehr als nur darum, ob ein Zeugnis der Vergangenheit erhalten bleiben sollte. Es ging darum, wie sehr sich eine explosionsartig verändernde, zur Weltstadt werdende Metropole dem Druck der Ökonomie beugen durfte. Immer neue Pläne wurden gemacht. Das ganze Areal sollte umgestaltet werden. Die Wolkenkratzerstadt entstand. Und mittendrin noch immer die unnütze Kathedrale der Vergangenheit. Denkmalschützer und Umweltschützer marschierten Arm in Arm und im Protest durch die George Street. Steine flogen. Die Auseinandersetzung um das QVB kreierte mehr Petitionen, Resolutionen als jeder andere Streitpunkt in der Stadt, und gleichzeitig hing die Abrissbirne als Damoklesschwert über dem Bau. Um eine Lösung zu finden, bedurfte es am Ende, eben, eines Wunders.

Womit nahm es seinen Anfang? Mit einem missglückten Bombenattentat auf einen indischen Staatsgast? Dem hohen Besucher passierte nichts, aber ein Portal des QVB wurde in Fetzen gerissen - der rechte Anlass, nun gleich den Abriss des ganzen Hauses einzuleiten. Ende der siebziger Jahre war das, und dem Bau wurde nur noch eine kurze Galgenfrist eingeräumt. Wenn sich nicht umgehend ein Investor finden würde, wollte man die Abrissbirne ihr zerstörerisches Werk beginnen lassen. Es soll der letzte Tag vor Ablauf der Frist gewesen sein, als der Immobilien-Magnat Yap Lam Sin, ein Chinese aus Malaysia, abreisefertig aus dem Hotel Hilton trat, das dem QVB gegenüber liegt. Das flatternde Transparent will er entdeckt und darauf gelesen haben, dass noch ein paar Stunden Zeit für ein Angebot blieben. Und Yap Lam Sin handelte sofort. Nicht Wochen oder Monate habe es gedauert, sagt emphatisch die Pressechefin des QVB, nein, innerhalb von Stunden habe sich Yap Lam Sin entschieden, habe dann ein Angebot gemacht, habe 85 Millionen Dollar investiert - and here we are, schauen Sie sich das wunderbare Gebäude an!

Im Jahr 1986 fing der Organismus des alten Queen Victoria Buildings wieder an zu pumpen. Und seit nun schon fast anderthalb Jahrzehnten, ist wieder pralles Leben in dem feudalen Haus an der George Street.

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