Australien: Steve Irwin:Grotesker Totenkult

Am 15. November ist Steve Irwin Day: Keiner kämpfte für die Erhaltung des Lebensraums der Tiere so wie er, doch im Australia Zoo läuft die Heldenverehrung komplett aus dem Ruder.

Karin Steinberger

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" Crocodile Hunter - Auf Crash-Kurs "

Quelle: dpa

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Wenn er jetzt plötzlich vor einem liegen würde, gleich hinter der Kasse, genau da, wo gerade ein mächtig aufgeblasener Grüner Leguan herumspaziert. Wenn er jetzt also daliegen würde, unter ihm ein mehrere Meter langes Crocodylus porosus, das größte lebende Reptil der Welt, das Maul weit aufgerissen. Wundern würde es einen nicht. Steve Irwin lag gerne auf Krokodilen.

Und da Krokodile nicht gerade die Begabtesten in Sachen Mimik sind und eigentlich immer so aussehen, als würden sie gerade mordsmäßig Spaß haben, lag er meist auf sehr freundlich grinsenden Krokodilen. Es sah so aus, als würden sie ihn lieben, ihren Stevo, ihren Crocodile Hunter. Er jedenfalls liebte die Krokodile. Und dafür liebten ihn die Menschen.

Das tun sie bis heute. Abgöttisch.

'Crocodile Hunter' Steve Irwin Dies At Age 44

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Wer von Brisbane die Sunshine Coast Richtung Norden fährt, der kann den Australia Zoo gar nicht übersehen. Steve Irwins Eltern haben hier 1970 den kleinen Beerwah Reptilienpark eröffnet. Klein ist hier nichts mehr. Man muss nur den Schildern folgen, den grinsenden Krokodilen, dann links abbiegen, vorbei an den Glass-House-Mountains, die zu einer Art Vorprogramm des Zoos verkommen sind. Am Steve Irwin Way Nummer1638 kann man langsam anfangen, einen Parkplatz zu suchen. Viel Glück.

Wenn das Wort Totenkult je eine Berechtigung hatte, dann hier. Seit ein Stachelrochen dem australischen Tierschützer Steve Irwin am 4.September 2006 bei Dreharbeiten im Great Barrier Reef den Stachel tief ins Herz bohrte, hat seine Frau Terri den Australia Zoo zu einer Art Schrein ausgebaut, einem mit Tieren ausstaffierten Grabmal. Ort eines Personenkults, wie ihn eigentlich vor allem Diktaturen und kommunistische Regime pflegen.

Steve Irwin ist tot. Aber hier im Australia Zoo lebt er.

Steve Irwin Memorial Day

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Er steht mit seiner Familie in Bronze gegossen gleich hinter der Kasse, ...

Steve Irwins Frau Terri, die Kinder Robert und Bindi und Vater Robert Irwin (v.l.n.r.)

steve irwin australien

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... er hüpft auf riesenhaften Postern in die Höhe, er dreht sich auf den Armen eines Pappmachékrokodils im Karussell, er klettert an Bleistiften herum, schwimmt in Schneekugeln, kämpft in Regalen, legt sich Schlangen auf den Kopf, trägt Krokodile unterm Arm, er ist auf Schultaschen, Tellern, Gummibärchentüten.

Irwin Steve Zoo

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Es ist eine fast schon Kim-Jong-Il-hafte Allgegenwärtigkeit.

steve irwin

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Am 15.November ist Steve Irwin Day. Dann wird er wieder von den Toten auferstehen. Im Australia Zoo werden dann nicht nur die Mitarbeiter seine legendären Khaki-Hemden und Khaki-Hosen tragen, sondern auch die meisten Besucher.

Bindi Irwin

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Seine Tochter Bindi Sue (im Bild, bei Steve Irwins Beerdigung) und sein Sohn Robert Clarence werden im "Crocoseum" die Show eröffnen. Genau dort, wo Steve Irwin 2004 seinen gerade mal einen Monat alten Sohn Robert im Arm hielt, während er einem ausgewachsenen Salzwasserkrokodil einen zerrupften Hühnerkadaver vors Maul hielt.

Es war das erste Mal, dass Steve Irwins Karriere hinterfragt wurde. Was macht dieser Mann da eigentlich? Von Kindesmisshandlung war die Rede, von einem komplett verrückten Vater. Irwin entschuldigte sich im US-Sender NBC, ohne dass er wirklich verstand, was das Problem ist. Er hatte selbst mit sechs Jahren seine erste Common Brown gefangen, eine der giftigsten Schlangen der Welt. In seinem Elternhaus hingen Koalas an den Vorhängen, die Mutter päppelte verwaiste Kängurubabys in der Küche auf, und im Wohnzimmer wohnten Schlangen.

So sollten auch seine Kinder aufwachsen. Unter Tieren. Für ihn war es das Normalste der Welt.

Steve Irwin 'The Crocodile Hunter'

Quelle: picture-alliance / dpa

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Wenn eines seiner Krokodile im Zoo starb, weinte er hemmungslos vor der Kamera. "Ich habe sie geliebt wie meine Frau." Das war sein Geheimnis. Er war Superheld und Kind. Einer, der alles in die Hand nahm und betatschte, ein komplett irrer Aussie, ein Unterhalter, ein Adrenalinjunkie, immer hyperaktiv, immer neugierig, immer ein Stück zu nah dran am Todesbiss. Er weinte nicht, weil er gebissen wurde, sondern, weil er nicht ertragen konnte, was der Mensch dem Tier antut. Er war ein Mann, der vor nichts Angst hatte, außer vor Papageien.

TV-Krokodiljäger Steve Irwin gestorben

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Aber er war eben auch ein Mann, der mehr über Salzwasserkrokodile in freier Wildbahn wusste als die meisten anderen. Der Zoologie-Professor und Krokodilforscher Craig Franklin nannte ihn seinen Lehrer, die University of Queensland verlieh ihm posthum einen Ehrendoktortitel. Keiner kämpfte so für die Erhaltung des Lebensraums der Tiere wie Steve Irwin. Alle wollte er retten. Die Tasmanischen Teufel vor dem tödlichen Gesichtskrebs, die Cassowarys vor den Autofahrern, die Koalas vor ihrer eigenen Energielosigkeit, die Krokodile vor Politikern, die forderten: Knallt sie alle ab.

steve irwin

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Und jetzt hockt er da, tausendfach, zwischen Bindi-Wear-Shorts aus dem Label seiner Tochter und Plüschkrokodilen in Khaki. Steve Irwin als limitierte Bronzefigur oder als Talking-Steve-Puppe, die "Crikey" krächzt, wenn man ihr auf den Bauch drückt. Oder: "Danger, danger, danger." Oder: "Crocs rule."

Im Shop des Australia Zoos fällt es schwer, den Steve-Irwin-Kult nicht als große Abzocke zu sehen, als komplett aus dem Ruder gelaufene Heldenverehrung. All die Briefe hinter Glas, der Pathos: Wir vermissen Dich so sehr, Stevo. - Er war mein Held, jeden Abend saß ich vor dem Fernseher und habe auf ihn gewartet. - Steve war mein Ziel, mein Leben, mein alles.

Da mag noch so viel Geld in Artenschutzprogramme, Forschungsprojekte und Zuchtprogramme fließen. Für die Wale, die Gorillas, die Riesenschildkröten. Da mag eine noch so gute Absicht dahinterstecken, irgendwann kann man den Mann nicht mehr sehen und die Crikey-Mützen und Bindis-Wildlife-Adventure-Buchserie im Sonderangebot.

Dame Edna and Crocodile Hunter Steve Irwin

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"Raw Stevo", so haben sie ihn schon zu Lebzeiten vermarktet, roh und ungehobelt, man wusste nie, was als Nächstes passiert. Nicht am Set und nicht vor dem Fernseher. Er war so unberechenbar wie die Tiere, mit denen er es zu tun hatte. Es heißt, dass John Stainton, der die "Crocodile-Hunter"-Serie drehte und produzierte, ihm nie ein Skript gegeben hat. Steve Irwin sollte für immer so natürlich bleiben, wie er war. Er wurde von Tieren gebissen, angepinkelt und angespuckt, er hatte kleine Kratzer und tiefe Wunden. Aber er war er.

Dafür hassten ihn die einen und die anderen vergötterten ihn. Besonders in den USA. Kinder, Studenten und interessanterweise FBI-Agenten sollen seine größten Fans gewesen sein.

Er war ein Besessener, der auf allen vieren hinter giftigen Schlangen herrobbte, in krokodilverseuchte Gewässer sprang und auch sonst ausschließlich Dinge tat, die man in diesem Land auf keinem Fall tun sollte. Und er schien unverletzlich zu sein. "Ich habe ein Gespür dafür, was ich tun kann und was nicht", hat er einmal gesagt. Alle glaubten es.

Bis er von einem Fisch getötet wurde. Ausgerechnet.

TV-Auftritt mit Dame Edna

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Quelle: AFP

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Nach seinem Tod wehten auf der Harbour Bridge in Sydney die Flaggen auf halbmast. 5500Menschen kamen zum Gedenkgottesdienst im Crocoseum. In Südindien wurde ein Krokodil-Gedenkpark errichtet, eine Steve-Irwin-Briefmarke wurde herausgegeben und auf dem Apec-Treffen 2007 in Australien wurde ernsthaft darüber nachgedacht, alle anwesenden Staats- und Regierungschefs auf dem Abschlussfoto in landesüblicher Tracht in Irwins Khaki-Outfit zu stecken. Als dann an den Stränden Australiens zahllose Stachelrochen gefunden wurden, denen Unbekannte die Schwänze mit dem tödlichen Stachel herausgeschnitten hatten, war klar: Diese Erinnerung läuft aus dem Ruder.

Seine Familie begrub ihn an einer unbekannten Stelle im Australia Zoo, Bindis Karriere auf Papas Spuren wurde angekurbelt, und in der US-Fernsehserie "Southpark" tauchte auf einer Halloween-Party in der Hölle ein Typ auf mit einem Stachelrochenstachel in der blutenden Brust. Wer der Typ in Khaki sei, fragten die Gäste. "Ich bin es wirklich", sagte Steve Irwin. Und Satan glaubte es ihm.

Am Steve Irwin Day im Australia Zoo

© SZ vom 11.11.2010/dd
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