Australien:Wildes Land zwischen Wut und Hoffnung

Das Arnhemland im Northern Territory ist eine der am dünnsten besiedelten Regionen Australiens.

Das Arnhemland im Northern Territory ist eine der am dünnsten besiedelten Regionen Australiens. Sie besteht aus wasserreichem Schwemmland, in dem man auch auf Safari zu Krokodilen, Seeadlern oder Schildkröten gehen kann.

(Foto: imago/UIG)

Der dünn besiedelte Norden Australiens ist seit Zehntausenden Jahren Heimat der Aborigines. Nach vielen kulturellen Missverständnissen sollen nun auch sie endlich vom Tourismus profitieren.

Von Cornelius Pollmer

Der sicherste Weg, den Tod im Outback zu vermeiden, ist, schon den Weg dorthin nicht zu überleben. Es ist ein viel zu früher Morgen in Darwin, Nordaustralien. Die Nacht war kurz, der Kaffee kneift im Magen. In der kleinen Baracke am Rand des Flughafens sitzt ein hagerer, minderjährig aussehender Mann in einem viel zu weiten Hemd. Er nimmt einige Daten auf, dann verschwindet er durch eine Hintertür. Zwei Minuten später kehrt er zurück in einem anderen zu weiten Hemd, beschwert von Epauletten. Der Mann trägt jetzt eine Sonnenbrille, sie ist viel zu groß, alles an ihm sieht aus wie eine Verkleidung. Er tapert über den Flur Richtung Rollfeld. Man möge ihm bitte folgen. Es gehe nämlich gleich los, und er freue sich sehr, heute unser Pilot sein zu dürfen.

Beim Anlassen hustet die Cessna wie ein alter Traktor. Noch auf der Startbahn blättert der Mann, der vorgibt, unser Pilot zu sein, in einem Manual. Er blättert darin so, wie man im Auto das Handbuch durchsucht, wenn diese komische gelbe Leuchte mal wieder glimmt. Aber bevor man sich weitere Gedanken machen kann oder sogar Sorgen, ist die Maschine in der Luft und sind die Augen abgelenkt. Vergeblich versuchen sie, Weite und Wunder des Northern Territory zu vermessen, seine urwüchsige Schönheit. So gesehen: Wenn's zu Ende gehen muss, warum nicht hier?

Nach einer Stunde aber reißt der Wald auf, ein schmaler Streifen Erde im Arnhemland. Hier also wird man im besten Sinne eingenordet auf ein besonderes Gebiet, eine besondere Kultur. Das Northern Territory hat knapp 1,5 Millionen Quadratkilometer, auf jeden davon kommen im Durchschnitt nur 0,16 Einwohner. Zahlenmäßig kann der Mensch es hier noch weniger als anderswo mit dem Tierreich aufnehmen. Es gibt landwirtschaftliches und touristisches Nutzvieh in hellen Haufen, Büffel etwa, Wallabys, Krokodile. Wer Geduld mitbringt, wird den Kläfferkauz zumindest hören, die Sichelpfeifgans besser nicht schießen, in Gesellschaft eines storchartigen Jabiru in den Sonnenuntergang blinzeln.

Die Kultur wiederum ist von einer ganz anderen Urwüchsigkeit und nicht minder beeindruckend. Seit vermutlich 50 000 Jahren überleben hier indigene Bräuche und Künste. Es empfiehlt sich allerdings dringend, nicht mit einem Megapixel-Blitzdings bewaffnet in Höhlen zu steigen und nach Dörfern der Aborigines zu suchen. Besser und teilweise nötig ist es, einen Mann wie Sab Lord an seiner Seite zu wissen. Lord steht hier, am Ende des schmalen Streifens im Wald, er kaut auf einem Grashalm und lehnt an seinem Jeep, der noch kränklicher hustet als der Motor der Cessna. Bald schaukelt der Wagen eine Staubpiste entlang, und er tut es auch dann noch, als Sab Lord sich vom Fahrersitz aus für eine Weile nach hinten dreht, um in beunruhigender Ruhe den ein oder anderen Schwank aus seiner Jugend zu erzählen.

Diese Jugend hat wesentlich dazu beigetragen, dass Lord sein Geschäft heute damit betreiben kann, Touristen die Kultur der Aborigines näherzubringen. Dafür braucht er das Interesse der ersteren und einen Zugang zu zweiteren. Am Interesse mangelt es nicht, im Gegenteil. Im Norden Australiens entwickelt sich die Nachfrage für Touren so gut, dass neben kleinen Anbietern wie Lord inzwischen ein großer Verbund 60 Prozent des Marktes bestimmt. Bei so einem Anbieter ist dann vieles inklusive. Garantiert exklusive bleibt ein Mann wie Lord, der in seinem Jeep nicht nur ein echtes Gewehr dabei hat, sondern auch jede Menge Räuberpistolen.

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Das Gayngaru Feuchtgebiet in Arnhemland.

(Foto: Torsten Blackwood/AFP)

Auf der Büffelfarm seines Vaters, sagt Lord, habe es früher kein richtiges Haus gegeben, deswegen sei er als Kind praktisch die ganze Zeit im Freien unter der Sonne Nordaustraliens herumgelaufen. Bald sei er dort gleichaltrigen Aborigines begegnet, habe sich mit ihnen angefreundet, ihre Sprache gelernt. Mit 13 habe er schließlich das erste Mal eine Schule von innen gesehen und dort Erstaunliches gelernt, zum Beispiel, sich die Schuhe zu binden. Ein paar Stunden später erzählt Lord aber auch von einem Eliteinternat, an dem er Rugby gespielt habe.

Drei Mal sei er von Krokodilen angefallen worden, sagt Lord, zwei Mal habe er die Malaria niedergerungen, sein Kampf mit mehreren Löwen in Afrika endete offenbar mit einer Art Unentschieden. In Simbabwe, Verzeihung, das hätte er nun fast vergessen, sei im Nachgang eines Disputs bei der Jagd einmal auf ihn geschossen worden. Auf die Frage, ob das in Summe nicht ein bisschen viel Risiko für ein bisschen wenig Leben sei, antwortet Lord mit einem kaugummiartigen Keine-Ahnung-Geräusch, das ungefähr so klingt: "Njähhh".

Als Snack für zwischendurch gibt es Ameisen

Unbestritten bleibt Lords Expertise für die Kultur der Aborigines und deren Stätten. Besonders das Arnhemland ist für ihn eine Art Wohnzimmer, er kennt hier fast jede Flussbiegung, er weiß, wo Seeadler ihre Flugshows vorführen, und gewisse Informationen scheint ihm auch ein Haufen Dingokot zu übermitteln, den er unterwegs fast detektivisch ausschnüffelt. Danach Händewaschen nicht vergessen, Lord zerreibt ein paar Kräuter. Dann verteilt er eine Hand voll Weberameisen, als Snack für zwischendurch, und wirklich: eine erstaunlich frische Säure, besser als jeder Center- Shock-Kaugummi.

Australien: Die uralte Kultur der Aborigines hat Begräbnisstätten und alte Felsmalereien hinterlassen. Einheimische wie Thomma führen Touristen dorthin.

Die uralte Kultur der Aborigines hat Begräbnisstätten und alte Felsmalereien hinterlassen. Einheimische wie Thomma führen Touristen dorthin.

(Foto: Cornelius Pollmer)

So geht es mit Sab Lord durch weites Schwemmland, immer ist irgendwo eine Kleinigkeit los. Wir erreichen eine Höhle, Lord beruhigt sich, seine Stimme wird leiser, sein Blick fester. Dies sei eine wichtige alte Siedlung der Aborigines, sein Freund Big Charly, deren aktueller regionaler Oberst, habe sie ihm vor ein paar Jahren gezeigt. In der einen Ecke der Höhle liegen staubbedeckte Menschenknochen, heilige Gräber vergangener Tage. Gegenüber, in der anderen Ecke, sei parallel gewohnt und geschwatzt und gekocht worden, sagt Lord. In der Höhle waren die Aborigines sicher, vor Fluten etwa oder vor wilden Tieren. Hier haben sie mit Gemischen aus Blut, Eiche und Extrakten anderer Bäume vor Jahrtausenden schon Schlammkrabben und Stachelrochen an den Fels gemalt und was ihnen im Alltag sonst noch so begegnete. Eine Kultur in Bildern, eine Kultur der Narrative, weitergegeben als Lagerfeuergeschichten.

Lord greift in verschiedene Nischen, mal holt er einen steinernen Schaber hervor, mit dem früher Kanus hergestellt wurden, mal einen mit Bienenwachs gefassten Känguruzahn, ein Schmuckstück. Er sagt, man möge daheim bitte nicht verraten, wo genau sich diese Dinge befinden. "Sonst kommen auch hier bald sehr böse Leute mit dem Helikopter eingeflogen und holen sie sich für ihre Sammlung."

Lord ist manchmal der Verzweiflung nahe, zuweilen auch der Wut, wenn er sich vergegenwärtigt, wie sein Land, seine Regierung, seine Mitmenschen mit den Aborigines lange Zeit umgegangen sind. "Wir haben diesen Menschen in den vergangenen 20 Jahren Milliarden zugeteilt, wirklich: Milliarden, und sie sind jetzt schlechter dran als vorher", sagt er. "Weil sich eine verdammte Industrie herausgebildet hat, der es mehr darum geht, selbst Geld zu verdienen, als den Leuten zu helfen."

Und wie genau sind die Leute schlechter dran? Sab Lord wirft seinen alten Truck wieder an, und die Fahrt führt über den Arnhem Highway nach Gunbalanya, einen der wenigen Orte, die hier für Touristen vergleichsweise leicht zugänglich sind. Sowie einer der Orte, in dem sich beides beobachten lässt: Zum einen die Fehler, die in den vergangenen Jahrzehnten gemacht worden sind bei dem Versuch, die Aborigines in die zivilisatorische und technologische Gegenwart zu holen. Zum anderen der Fortschritt, den es durchaus gibt, nicht zuletzt darin, die Aborigines am wachsenden Tourismus teilhaben zu lassen.

Viele Gärten sind vermüllt, auch Matratzen liegen vor Häusern im Freien herum. Über Förderprogramme sind solche Häuser zwar gebaut worden - ohne allerdings zuvor zu eruieren, ob und in welchen Häusern die Aborigines leben möchten. Ein kulturelles Missverständnis. Die Struktur dieser Fehler wiederholt sich: Zwar wurden Sozialhilfeleistungen für Aborigines eingeführt, doch verschärften diese zum Teil Probleme mit Alkoholismus und ungesunder Ernährung. Zwar gibt es schon länger Beschäftigungsprogramme für indigene Gruppen, auch im Tourismus, aber zu lange fragte niemand: Welche Arbeit seid ihr am besten in der Lage zu leisten?

"Diese Kultur ist anders als alle anderen Kulturen der Welt"

Wie es funktionieren kann, lässt sich in Gunbalanya allerdings ebenso beobachten. Das Zentrum für "Injalak Arts" bündelt und vermarktet die Arbeiten von etwa 200 indigenen Künstlern. Es gibt ein Ladengeschäft, einen Onlinevertrieb. Und einige der Künstler wie etwa der hagere Thomma profitieren zudem als Führer von Touristen. Thommas Englisch reicht nicht sehr weit, aber man versteht das Wesentliche, auch von seiner Arbeitsweise. Auf einem Felsen oberhalb Gunbalanyas setzt sich Thomma zur Rast, er zündet sich eine Zigarette an und erzählt, dass er hier manchmal Fotos der Felsmalereien mache, Fotos in seinem Kopf. Mit diesen Aufnahmen wandere er dann zurück ins Dorf und interpretiere die Motive malend neu. Etwas später steht das Ergebnis im Dorfladen, Thomma auf Leinwand, 2018.

Solche kleinen Engagements können nur Anfänge sein, aber sie machten auch ihm Hoffnung, sagt Peter Hook. Er ist Sprecher des Kakadu-Nationalparks und als solcher schon von Berufs wegen ein Hoffnungsträger. Hook verneint nicht die vielen Versäumnisse der Vergangenheit bei den staatlichen Versuchen, die Kultur der Aborigines nicht nur zu nutzen, sondern der indigenen Bevölkerung auch auf Augenhöhe zu begegnen. Aber er sieht mehr Potenzial, das sich aus der Zeit genauso speist wie aus der Not. "Diese Kultur hier ist so anders als eigentlich alle anderen Kulturen der Welt, sie ist so speziell, das ist ein großer Wert in einer Welt, in der viele Leute glauben, schon alles gesehen zu haben", sagt Hook.

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Aborigines tragen Rinde von Eukalyptusbäumen ins Dorf.

(Foto: imago/UIG)

Und ihre Kultur werde sich noch besser vermarkten lassen, weil alle begriffen hätten, dass der Versuch nicht funktionieren werde, den Aborigines etwas aufzudrücken. Es könne nur darum gehen, sie dabei zu unterstützen, ihre Kultur zu präsentieren. Dies werde auch deshalb immer besser gelingen, weil bei den Aborigines nun eine neue Generation Verantwortung übernehme, sagt Hook, "eine Generation, die auf klassische Schulen gegangen ist, die problemlos Englisch spricht, die viel selbstbewusster und geschäftstüchtiger auch im Tourismus auftritt".

Auch auf Nachfrageseite gibt es kleine Gründe zur Hoffnung, in diesem Sommer etwa wurden - von der Regierung des Northern Territorys finanziell gefördert - Flugverbindungen zwischen Darwin und der prosperierenden chinesischen Metropole Shenzhen eingeführt, damit die Region vom wachsenden Tourismus aus China profitiert. Mit der Not wiederum verhält es sich so, dass viele indigene und nicht-indigene Bewohner auf dem Gebiet des Kakadu-Nationalparks gerade noch gutes Geld im Uranbergbau verdienen, mit dem es in weniger als drei Jahren aber wohl ein Ende haben wird. Was kommt danach?

Nicht nur Hook sieht die einzige Chance in der Kultur der Aborigines, also in einer jahrtausendealten Welteinmaligkeit. Auch Sab Lord sieht diese Not, diese Chance, und er lobt, dass im Kakadu-Nationalpark schon jetzt viele der Ranger, die Touren für Touristen leiten, Indigene seien. Allerdings sind drei Jahre nicht viel Zeit, und wie viele Chinesen sich wirklich für mit Blut gemalte Schlammkrabben auf Felswänden interessieren werden, das kann auch noch niemand mit Sicherheit sagen. Wird das klappen? Sab Lord überlegt kurz, als man ihn das fragt, dann gibt er eine entschlossene Antwort: "Njähhh."

Reiseinformationen

Anreise: Singapore Airlines fliegt von Frankfurt aus über Singapur nach Darwin, hin und zurück ab ca. 2000 Euro in der Economy Class, www.singaporeair.com; von Darwin ins Arnhemland per Charter für ca. 550 Australische Dollar (345 Euro).

Unterkunft: Eine Lodge bei Davidson's im Arnhemland kostet inklusive aller Touren und Verpflegung umgerechnet 500 Euro pro Person und Nacht, www.arnhemland-safaris.com; Lodge in Bamurru Plains ab 690 Euro, www.bamurruplains.com;

Safaris im Northern Territory: Sab Lord bietet Touren durch den Kakadu-Nationalpark und das Arnhemland an, www.lords-safaris.com

Weitere Auskünfte: zum Northern Territory: www.northernterritory.com

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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