Attentat auf Flughafen in Istanbul:Weiterer Schlag für Reiseland Türkei

  • Der Anschlag auf den Istanbuler Flughafen ist der jüngste Vorfall in einer Reihe von Terrorattacken in der Türkei.
  • Mehrere Angriffe hatten Reisende und Touristen zum Ziel.
  • Die türkische Tourismusbranche leidet unter massiven Buchungseinbrüchen.
  • Aus Russland kamen zuletzt wegen politischer Spannungen fast überhaupt keine Urlauber mehr: Nach dem Anschlag vom Dienstag bewegt sich Putin nun auf Erdoğan zu.

Bei einem Anschlag auf den größten Istanbuler Flughafen haben drei Selbstmordattentäter mindestens 41 Menschen getötet und fast 150 verletzt. Einer der Täter habe in der Abflughalle um sich geschossen, berichten Augenzeugen. Dann hätten sich alle drei in oder in der Nähe der eine Etage tiefer gelegenen Ankunftshalle in die Luft gesprengt.

Mittlerweile wird der Luftverkehr wieder aufgenommen. Erste Flüge von Turkish Airlines landeten am frühen Morgen. Der Sender CNN Türk berichtet, Reisende könnten inzwischen auch wieder ins Terminal. Der Angriff sorgt allerdings für massives Chaos im Flugverkehr, schließlich ist der Atatürk-Flughafen der größte der Türkei und ein wichtiges Drehkreuz für Reisende aus aller Welt.

Neuer Schlag in einer Zeit massiver Buchungseinbrüche

Weitreichend dürften die psychologischen Folgen der Attacke sein. Dass erneut Istanbul Ziel von Terroristen geworden ist, wird viele verunsichern, die im Sommer in die Türkei reisen oder bereits dort sind.

Dabei befand sich das eigentlich so beliebte Urlaubsland bereits vor dem jüngsten Anschlag in einer äußerst schwierigen Situation. Erst am Dienstagnachmittag, wenige Stunden vor dem Attentat, hatte die türkische Regierung neue Statistiken bekanntgegeben.

Demnach sind die Besucherzahlen in der Türkei vor Beginn der Hochsaison um etwa ein Drittel eingebrochen. Im Mai seien knapp 35 Prozent weniger Ausländer als im Vorjahresmonat eingereist, teilte das Tourismusministerium mit. Insgesamt kamen knapp 2,5 Millionen Gäste. Auch die Zahl der Deutschen nahm mit einem Minus von 31,5 Prozent im Vergleich zum Mai 2015 weiter ab. Sie stellen dennoch nach wie vor die größte Gruppe der Ausländer.

Spannungen im Verhältnis mit Russland sorgen für weitere Verluste

Einen Sonderfall bildet das Geschäft mit russischen Urlaubern: Mit einem Minus von fast 92 Prozent hat die Zahl Touristen aus Russland in der Türkei besonders dramatisch abgenommen. Das wiederum liegt vor allem an der angespannten Beziehung beider Länder, die monatelang auf Eis lag. Nach dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs Ende vergangenen Jahres hatte Russland Sanktionen gegen die Türkei verhängt und unter anderem Charterflüge gestrichen.

Nach sieben Monaten Eiszeit will nun Russland die Sanktionen gegen die türkische Urlaubsbranche aufheben. Nachdem Putin und Erdoğan miteinander telefoniert haben, scheint eine Entspannung im Verhältnis der beiden Staaten eingeleitet. Beide Präsidenten streben offenbar eine Normalisierung der Beziehungen an. Sie wollen sich auch wieder treffen, hieß es aus dem Präsidentenamt in Ankara. Das Telefonat sei "sehr produktiv und positiv" verlaufen, es Gespräch fand auf russische Initiative statt. Dem Kreml zufolge äußerte Putin bei dem Telefonat auch sein Beileid für den Anschlag auf den Atatürk-Airport in Istanbul.

Mehrmals waren ausländische Reisende Opfer von Attacken

Neben diversen politischen Spannungen hatten wiederkehrende Terroranschläge Urlauber zuletzt verunsichert. Einige Attacken zielten auf Orte, die von Ausländern besonders frequentiert werden. Mehrmals waren Reisende unter den Opfern. (Hier eine komplette Auflistung der Anschläge seit Juli 2015.) Für besonderes Aufsehen sorgten in den vergangenen Monaten folgende Attentate:

7. Juni 2016 - Durch einen Bombenanschlag sterben in der Altstadt von Istanbul mindestens elf Menschen: sieben Polizisten und vier Zivilisten.

19. März 2016 - Auf einer beliebten Einkaufsstraße im Zentrum von Istanbul reißt ein Selbstmordattentäter vier ausländische Touristen - drei Israelis und einen Iraner - mit in den Tod. Die Behörden vermuten Dschihadisten des sogenannten Islamischen Staats (IS) hinter der Tat.

12. Januar 2016 - Bei einem Selbstmordanschlag in der Altstadt von Istanbul werden zwölf Deutsche getötet, auch dieser wird dem IS zugeschrieben. Dieser Vorfall führt auch zu unmittelbaren Reaktionen von Reiseveranstaltern, die teils Angebote aus dem Programm nehmen.

10. Oktober 2015 - Während einer prokurdischen Friedenskundgebung vor dem Hauptbahnhof in Ankara sprengen sich zwei Selbstmordattentäter in die Luft. Sie töten 101 Menschen. Der türkische Staat macht auch dafür die IS-Dschihadisten verantwortlich.

Einzelne Regionen sind besonders stark betroffen

In der Region Antalya etwa, wo die Menschen hauptsächlich vom Tourismus leben, entwickeln sich die Besucherzahlen vor diesem Hintergrund noch dramatischer als im Landesdurchschnitt. Türkische Medien berichteten kürzlich unter Berufung auf Angaben des Flughafens in Antalya, in den ersten zwei Juni-Wochen seien etwa 60 Prozent weniger Besucher angekommen - 45 Prozent weniger Deutsche, fast keine Russen. "Schwarzer Juni" titelten denn auch die Zeitungen.

Der weltgrößte Reisekonzern Tui schätzt derweil, dass er in diesem Jahr mit einer Million Urlaubern nur halb so viele Gäste in die Türkei bringt wie 2015. Die Buchungen liegen bis jetzt 40 Prozent niedriger als im Vorjahr, nur das Last-Minute-Geschäft barg Hoffnung - einige Veranstalter sprachen zuletzt von leichten Aufholeffekten. Für diese kleine Erholung machten Experten zwei Faktoren verantwortlich. Zum einen gesenkte Preise, zum anderen bieten manche Hoteliers mehr Leistung für das gleiche Geld, erklärte Torsten Schäfer vom Deutschen Reiseverband (DRV): "Dieser Marktmechanismus funktioniert." Der Anschlag auf den Istanbuler Flughafen könnte dies nach Ansicht der deutschen Reisebranche wieder zunichte machen. "Es ist ein erneuter Rückschlag für die Türkei", sagte ein Sprecher des Reisekonzerns Thomas Cook ("Öger Tours", "Neckermann").

Das sagt das Auswärtige Amt; das sind die Rechte von Türkei-Urlaubern

Das Auswärtige Amt rät allgemein in Istanbul, Ankara und anderen Großstädten der Türkei zu erhöhter Vorsicht - insbesondere auf öffentlichen Plätzen und vor touristischen Attraktionen. Landesweit sei weiter mit Anschlägen zu rechnen. Die ausführlichen Hinweise sind hier auf der Website des Amtes zu finden.

Der Reiserechtler Paul Degott rät Pauschalurlaubern, mit ihrem Veranstalter Kontakt aufzunehmen und zu erfragen, wie er die Situation vor Ort einschätzt.

Für kostenlose Stornierungen auf Kulanz angewiesen

Wer nun eine gebuchte Türkeireise etwa nach Bodrum oder Antalya lieber stornieren oder umbuchen will, ist auf die Kulanz des Veranstalters angewiesen, solange es keine Reisewarnung des Auswärtigen Amts gibt. Die Angst vor dem Terror allein reiche nicht aus, um den Vertrag kostenlos zu kündigen, so Degott.

Auch bei bereits gebuchten Städtetrips nach Istanbul sind die Hinweise des Auswärtigen Amts maßgeblich - es rät lediglich dringend ab von Reisen in das Grenzgebiet zu Syrien und Irak, nicht aber von Reisen nach Istanbul. Urlauber bleiben laut Degott also auf den Stornokosten sitzen, sofern sich der Veranstalter nicht großzügig zeigt.

Deutsche Reisende waren nach bisherigem Stand nicht Opfer der Anschläge auf den Flughafen. Die Stadt ist bei den auf Pauschalurlaube spezialisierten Anbietern Thomas Cook und Tui nicht sonderlich gefragt, derzeit haben die beiden Firmen zusammen nur 30 Touristen in Istanbul. "Unser Geschäft spielt sich vor allem an Badeorten wie Antalya ab", sagte der Thomas-Cook-Sprecher. Städtereisende könnten in der nächsten Woche kostenlos von ihrem Besuch zurücktreten. Tui bietet diese Möglichkeit bis Ende Juli.

Die Türkei bleibt in einer schwierigen Situation

Präsident Erdoğan versuchte in einer Stellungnahme kurz nach dem Flughafen-Anschlag, auf den Kontext hinzuweisen: "Die Bomben, die heute in Istanbul explodiert sind, hätten in jedem Flughafen, in jeder Stadt auf der ganzen Welt detonieren können."

Der Anschlag auf den Atatürk-Flughafen ziele darauf, die Türkei zu untergraben, sagte Erdoğan. Dazu werde das Blut unschuldiger Menschen vergossen und Angst verbreitet. Diese Angst wirkt sich bereits aus, wie die aktuellen dramatischen Probleme der örtlichen Tourismuswirtschaft zeigen.

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