Asien-Reisen: Sri Lanka:Ein Gott für alle Fälle

Geld, ein neues Handy, einen reichen Mann für die Tochter: Im alltäglich praktizierten Buddhismus Sri Lankas geht es weniger um Erleuchtung als um handfeste Anliegen.

Marc Bielefeld

Nimal Chandana trägt ein solides Bäuchlein vor sich her, große quadratische Latschen an den Füßen, Goldkettchen am Hals, er ist guter Dinge. Chandana ist Kandidat der Grünen Partei UNP von Sri Lanka. Er will demnächst Ratsvorsitzender des Distrikts Hikkaduwa werden, die Wahlen stehen an, und da kann es nicht schaden, gelegentlich bei Buddha vorbeizuschauen.

BUDDHISTS

BUDDHISTS Sri Lankan Buddhists pray at a temple in Colombo, Sri Lanka, Tuesday, Nov. 15, 2005. Sri Lankas Sinhalese majority is made up mainly of Buddhists and accounts for about 14 million people. The Sri Lankan presidential elections will be held on Nov. 17. (AP Photo/Eranga Jayawardena)

(Foto: AP)

Mit Kokosfasern und Wäscheleinen hat Chandana, 45, eine riesige Elefantenattrappe auf dem Dach seines klapprigen Jeeps festgeknotet. Der Elefant ist das Parteisymbol. Chandana sitzt in seinem Wagen, eine Marlboro klemmt in seinem Mund, das Handy klingelt im 30-Sekunden-Takt. Plakate mit seinem Konterfei hängen fast überall im Süden, aber das reicht nicht. Täglich fährt er derzeit seine Runden, parliert mit den Menschen, hält Reden, grüßt, winkt, ruft mitten durchs Gewusel auf den Straßen. Die Leute mögen ihn, Chandana ist ein Politiker der Menschen. Aber auch das reicht nicht.

Ohne Hilfe von ganz oben geht auf Sri Lanka gar nichts.

Darum hat Chandana ein paar Früchte und ein Bündel Räucherstäbchen eingepackt. Es ist Samstag, zehn Uhr morgens, als Chandana mitten in der Wahlkampftour mit seinem Elefantenjeep in den Dschungel abbiegt.

Zeit für ein Stoßgebet

Nach 15 Minuten Fahrt erreicht er einen weißen Tempel, der auf einem stillen Hügel unter grünen Palmen steht. Moskitos sirren in der Luft, zwei Mönche sind in leise Gesänge versunken. Chandana zieht die Schlappen aus, seine Hände treffen sich zum heiligen Gruß vor der Brust, dann verbeugt er sich und geht zum Schrein vor. Er hat nicht viel Zeit, doch für ein Stoßgebet muss es reichen. Chandana legt die Früchte aus, zündet die Räucherstäbchen an. Dann kniet er nieder. Das Gebet dauert maximal eine Minute, ein Express-Anruf an Buddha. Der thront direkt vor ihm, gekreuzte Beine, strenge Augen, die rechte Hand ruht auf dem Schenkel der mächtigen Figur.

Zurück im Jeep die vorsichtige Frage, worum es in seinem Gebet ging. "Ich habe Buddha darum gebeten, dass ich die Wahl gewinne. Ich tue das mindestens zweimal die Woche, green party best party, wir müssen siegen!", sagt Chandana.

Lord Buddha als Wahlkampfgehilfe

Der Fremde staunt. Den großen Lord Buddha mal eben zum Wahlkampfgehilfen zu degradieren - nicht gerade ein himmlisches Anliegen. Doch geht es im Buddhismus keinesfalls immer um den Einzug ins Nirwana. Auch geht es nicht immer um ein reines Leben, Güte, Milde, Weisheit, um Meditation und Erleuchtung - selbst wenn die Augen vieler Europäer zu leuchten beginnen, sobald sie mit solchen Begriffswelten hantieren.

Asien-Reisen: Sri Lanka: A Sri Lankan Buddhist devotee offers prayers on the Sri Lankan public holiday Poya Day at the Kelaniya Temple in Kelaniya on September 22, 2010. The predominantly Buddhist country marks every full moon as a key religious holiday or Poya Day. Buddhism was brought to the island nation from neighbouring India over 2,500 years ago. Over seventy percent of Sri Lanka's population practice Buddhism. AFP PHOTO/ Ishara S.KODIKARA

A Sri Lankan Buddhist devotee offers prayers on the Sri Lankan public holiday Poya Day at the Kelaniya Temple in Kelaniya on September 22, 2010. The predominantly Buddhist country marks every full moon as a key religious holiday or Poya Day. Buddhism was brought to the island nation from neighbouring India over 2,500 years ago. Over seventy percent of Sri Lanka's population practice Buddhism. AFP PHOTO/ Ishara S.KODIKARA

(Foto: AFP)

Der Buddhismus ist im Westen erstaunlich populär, eine hip klingende Alternative zur um sich greifenden Gottlosigkeit. Dutzende Bücher zum Thema sind erschienen, sie liegen an Flughäfen und Bahnhöfen aus - Titel wie "Das gute Leben" von Gerald Roscoe - "Ein Wegweiser zum Buddhismus für den Westen". Werke dieser Art erklären buddhistische Philosophien, formulieren Lebensregeln, weisen dem Suchenden einen Weg durch den Dschungel der Moderne. Doris Dörrie bekannte: "Der Buddhismus lehrte mich, den Moment zu schätzen." Und der Dalai Lama ist nie weit, wenn Sätze wie diese zu vernehmen sind.

Erleuchtung ist nicht zwingend notwendig

Nimal Chandana steht derweil wieder in Dodanduwa an einer Kreuzung. Es ist heiß und schwül. Ein dieselrotzender Tata-Truck rast an ihm vorbei, zehn Meter vor ihm steht eine Kuh auf dem Asphalt. Chandana überwacht, wie gerade seine Plakate und grünen Parteifähnchen aufgehängt werden. Der Versuch, ihm zu erklären, dass in München, Hamburg, Berlin heute jede Menge Buddhismus-Seminare, Vorträge und Lesungen stattfinden, erstickt in einer rußschwarzen Staubwolke. "Aha, aha, aha", kreischt Chandana, "gut, gut! Buddha powerful God, good for everyone! East, west - no problem! Green party good party! Wir werden gewinnen!"

Es existieren viele Formen des Buddhismus; mit Erleuchtung haben sie nicht zwingend zu tun. So führt der Glaube auch in Sri Lanka zunächst vor allem in die Wirren des ganz normalen Alltags.

In Hikkaduwa am Strand sitzt Samantha Pottawela, 48. Er führt ein kleines Hotel, kümmert sich aber auch um die Belange seiner Gemeinde; 24 Millionen Rupien hat er gesammelt, um damit den buddhistischen Tempel Silakkanda Ptuwata zu bauen. Er kennt sich gut aus mit der wichtigsten Religion seiner Insel, der 70 Prozent der Bewohner angehören.

Natürlich kennt er die fünf Hauptregeln. Töte nicht! Stehle nicht! Lüge nicht! Begehe keinen Ehebruch! Genieße keinen Alkohol, keine Drogen! Ihm ist jedoch durchaus bewusst, dass es mit der Einhaltung dieser Regeln weiß Gott nicht immer ganz einfach ist. "Viele gehen zu den Tempeln, um Buddha um Entschuldigung zu bitten, wenn sie mal wieder über die Stränge geschlagen haben", sagt er, "das ist ganz normal." In den täglichen Gebeten würden die Menschen ferner um Geld bitten, ein neues Handy, einen begüterten Gatten für die Tochter. Der eine betet, dass der Husten verschwinden möge, der andere wünscht sich gute Zahlen für die Pferdewetten.

Boxenstopp am Tempel

Asien-Reisen: Sri Lanka: A Sri Lankan Buddhist offers prayers at a temple during full moon day religious observances in Colombo, Sri Lanka, Tuesday March 10, 2009. (AP Photo/Eranga Jayawardena)

A Sri Lankan Buddhist offers prayers at a temple during full moon day religious observances in Colombo, Sri Lanka, Tuesday March 10, 2009. (AP Photo/Eranga Jayawardena)

(Foto: AP)

Auch Samantha Pottawelas Handy klingelt ständig. Er raucht, trinkt Tee. "Das höchste, worum wir Buddha anflehen können, ist der Einzug ins Nirwana. Aber auch ich habe das bisher nicht getan. Nun, der Tag wird schon noch kommen."

Um die 70.000 buddhistische Tempel gibt es in Sri Lanka, schätzt er. Jedes kleine Dorf habe mindestens zwei. Selbst an den Stränden stehen kleine Schreine, und in den windschiefen Supermärkten blinkt die Gottfigur neben Waschmittelkartons und Plüschpferden für die Kinder. Buddha ist überall. Zur Not batteriebetrieben und in Plastikausführung. Und dabei sorgt der große Meister im irdischen Alltag in erster Linie für Bodenhaftung, Ordnung und Hoffnung.

Lebend durchs Verkehrschaos

Nahe Bentota steht ein Riesentempel direkt an der Straße. Autos, Laster, Trucks, Dreiräder und Mopeds qualmen an einer großen Kreuzung direkt daran vorbei. Viele Fahrer halten mitten im Gewusel, stecken flugs ein, zwei Scheinchen in einen blechernen Trichter, beten kurz und preschen weiter. Die Prozedur dauert 30 Sekunden.

Ein heiliger Boxenstopp im Gewimmel, der weniger der Weisheits- und Wahrheitssuche dient als vielmehr dem Wunsch, lebend durch das Verkehrschaos zu gelangen. Denn auch der Glaube vieler staunender Besucher aus dem Westen, dass im verkehrstechnischen Wahnsinn Asiens alles irgendwie flutsche, fließe und auf wundersame Weise seinen Weg finde, ist ein Irrglaube.

Dort nämlich scheppert's und kracht's allerorten. Unweit von Nimal Chandanas Haus donnerte unlängst ein Autobus mitten in das Wohnzimmer eines kleinen Hauses. Auch die Unfallmeldungen im Daily Mirror von Sri Lanka sprechen Bände. Mopedfahrer tötet Radfahrer. Radfahrer starb, als ein Laster ihn in Kekirawa überfuhr. Zwei Tote bei Frontalzusammenstoß. Ambulanz fährt gegen einen Tuktuk-Fahrer, drei Tote. Und so weiter und so fort. Doch auch hier soll Buddha Beistand leisten. Ein Quick-Stopp am Tempel, eine schnelle Gabe in das Spende-Kästchen an der Kreuzung - und schon geht es weiter. Mit dem Segen von oben für eine heile Fahrt.

Rache an Dieben

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(Foto: SZ-Grafik)

Im Dschungel nahe Hikkaduwa steht ein weiterer Tempel, Seenigama Vihara ist sein Name. Ihn besuchen die Singhalesen aus einem noch weitaus profaneren Grund. Wer hier die Hände vor Buddha zusammenführt, will sich speziell an Dieben rächen, sie verdammen, den Himmel aber vor allem darum ersuchen, dass gestohlene Mopeds, Radios, Kühlschränke den Weg zurück zum Besitzer finden.

Drückend steht die Luft an diesem Abend über der Insel. Neele Zoysa, 46, zweifacher Vater und Tuktuk-Fahrer, kauft an einem kleinen Stand Kokosnussöl, er hat Räucherstäbchen und eine Plastiktüte mit Blütenblättern dabei. Auch er will zum schnellen Abendgebet noch seinen Dorftempel aufsuchen. Ihm liegt nichts Besonderes auf dem Herzen. Er wird kurz vor Buddha knien, "für ein gutes Leben und Gesundheit", wie er sagt.

Vor einem kleinen Nebenschrein kauert eine Frau, sie ist vielleicht Mitte 30. Sie klagt, psalmodiert schon eine ganze Weile vor sich hin. Neele Zoysa hört ihren flehenden Worten eine Weile zu, alle Anwesenden können sie hören - aber nicht, dass sich irgendjemand wundern oder gar entrüsten würde. Zoysa übersetzt: Die Frau habe in der Zeitung ein schlechtes Horoskop gelesen. Wochen mit Liebeskummer, Müdigkeit und Geldverlust würden drohen. Und so bittet sie nun Buddha, die heraufziehende Pechsträhne abzuwenden.

Der ganz reale Buddhismus, geschrieben vom Hier und Jetzt. Er ist den Singhalesen eher wie Zähneputzen, wie duschen, Wohnung fegen und ein Schwätzchen mit dem Nachbarn halten. Und wer weiß es schon genau? Vielleicht hilft all das am Ende ja mehr als die Suche nach der letzten Weisheit.

Vom Autor ist soeben im Heyne Verlag die Reisereportagen-Sammlung "Sturzflug mit Krokodil" erschienen.

Informationen:

Anreise: Mit verschiedenen Airlines von Deutschland nach Colombo und zurück ab 574 Euro. Tempel: Überall auf der Insel sind Tempel zu finden, vom kleinen Dorfschrein bis zum Großtempel. Fast alle können von Fremden besucht werden. Man sollte dabei weder Schuhe noch Kopfbedeckung tragen. Weitere Auskünfte: Sri Lanka Tourism Promotion, Josephspitalstr.15, 80331 München, E-Mail: info.germany@srilanka.travel, www.srilanka.travel, Tel.: 089/55 25 33 830

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