Armenien:Noahs großer Rausch

Weinanbau unterhalb des Ararat in Armenien

Unterhalb des Ararat liegt das Kloster Chor Virap - mit Blick auf die fruchtbare Ebene.

(Foto: Monika Maier-Albang)

Gleich nach der Sintflut soll in der fruchtbaren Ebene zu Füßen des Ararat der Weinanbau in Armenien begonnen haben. Doch jetzt drohen andere Pflanzen die Reben zu verdrängen.

Von Monika Maier-Albang

Der Laster ruckelt aus den Weinbergen hinab Richtung Dorf, den sandigen Weg entlang. Aus der Ferne kann Norik Makerjan nicht erkennen, wer im Wagen sitzt, die Laster sehen hier ja aus wie geklont. Hellblaues Fahrerhaus, weiße Schnauze. Die Armenier verdanken den unverwüstlichen "Gaz 53" den Sowjets, wie so vieles andere. Makerjan bedeutet dem Fahrer zu halten und, ach wie gut: Es ist einer der Nachbarn, die ihren Weinberg pflegen und gute, herzeigbare Trauben haben. Ein ganzer Schwung Frauen hat bei der Ernte geholfen, zwei sitzen mit im Fahrerhaus, zwei weitere auf der Ladefläche vor den getrockneten Trieben, die im Winter verfeuert werden und so dem Schaschlik einen besonderen Duft verleihen. Die Trauben sind fast alle dunkel. Areni-Trauben. Eine Rebsorte, so uralt wie die Besiedlung im Tal.

In den Hochlagen kann es im Winter eisig werden. Die alten Rebstöcke halten das aus

Schon vor rund 6000 Jahren, so schätzen Archäologen, wurde hier in der südarmenischen Provinz Wajoz Dsor Wein gekeltert. In einer Karsthöhle über dem Fluss Arpa, "Areni 1" oder "Vogelhöhle" genannt, fanden armenische und amerikanische Wissenschaftler im Zug der 2007 begonnenen, systematischen Erforschung der Höhle nicht nur den ältesten Lederschuh der Menschheit (zu sehen im Historischen Museum in Jerewan), sondern auch Tongefäße, in denen Wein aufbewahrt wurde. Die Radiocarbonmethode datiert die Amphoren auf einen Zeitraum zwischen 4100 und 4000 vor Christus. Neben Vorratsgefäßen wurden auch Reste einer Presse, Trinkbecher und eine Wanne zur Fermentierung entdeckt - der älteste bislang gefundene Weinkelter der Welt. Und offenbar auch ein Ritualplatz; in der Nähe der Weingefäße fanden sich zahlreiche Begräbnisstätten. Der Wächter, der auf Russisch und Armenisch durch die Höhle führt, spricht von Menschenopfern.

Norik Makerjan wohnt rund 15 Kilometer entfernt im Dorf Gladzor. Sein Weinberg liegt etwas außerhalb, der Vater hatte nach dem Zerfall der Sowjetunion 2000 Quadratmeter Grund bekommen, der Sohn baut dort heute zwei alte, autochthone Sorten an: Areni eben, jene Trauben, von denen auch in der Höhle Reste gefunden wurden. Und eine, die sie hier im Dorf Kharji nennen. Voskehat ist der gängigere Name. Deren helle, fast marmorfarbene Trauben verarbeitet der 51-Jährige zu Cognac. Aus den Areni-Trauben macht er Wein.

Die jungen Triebe stützt er auf Zweige, die alten, armdicken Äste wachsen fast waagerecht dicht über der Erde. Eine Überlebensstrategie in den Hochlagen, wo es im Winter bis zu 25 Grad minus hat. "Der Schnee legt sich darüber, das schützt die Reben", sagt Makerjan. Viermal pro Jahr lässt er Wasser durch die Kanäle zwischen den Rebstöcken laufen, im Frühling wird zurückgeschnitten, einmal im Jahr spritzt er eine Kupferkalkbrühe gegen Pilzbefall. Pestizide braucht es nicht. Und als Dünger reicht der Mist seiner zwei Kühe.

Bei der Ernte gehört Makerjan zu den Wagemutigeren im Dorf; Mitte Oktober, vor dem ersten Frost, holt er die Trauben. "Ich warte, so lange es geht." Noch die letzte Herbstsonne soll den Wein verfeinern, der perfekt ist, wenn er, wie Norik Makerjan sagt, "die Farbe von Blut" angenommen hat. Drei Tage kommt der Traubensaft in Plastikfässer, dann wird er filtriert und umgefüllt in eine Amphore - Karas heißt die in Armenien. Sie ähnelt den Quevris in Georgien. Man befüllt sie bis unter den hölzernen Deckel, damit keine Luft an die Flüssigkeit dringt. Deckel und Tongefäß werden mit Teig verbunden, dann verkorkt.

Im November probiert Norik Makerjan zum ersten Mal den frischen, süßen Wein, "Madschar" nennt ihn der Weinbauer, der in seinem Garten Gäste zu Verkostungen empfängt. Neugierige Enten schauen vorbei, hinter ihm hängt ein altes Butterfass, es sieht aus wie eine langgestreckte Amphore, nur aus Holz. Als Junge hat Makerjan selbst noch gebuttert, aber jetzt sind andere Zeiten. In der Hauptstadt Jerewan hat sich eine neue Mittelschicht etabliert. Bauspekulanten reißen gerade - gegen den Widerstand vieler Einwohner - die alten Bürgerhäuser ab, alles soll glänzen und modern aussehen, und doch stehen die Hochhäuser im Zentrum fast alle leer. Nur die Stühle vor den neuen Restaurants und Cafés sind an den warmen Herbstabenden gut besetzt.

Zwischen den beiden großen Brandy-Fabriken in Jerewan liegt die schwankende Brücke

In Gladzor, Makerjans Dorf, hat noch kein Wohlstand Einzug gehalten. Fast jeder hier fährt noch einen alten Lada, und die selbstgebaute Weinpresse reicht man zur Erntezeit von Haus zu Haus. Dennoch ist das Leben einfacher geworden, auch dank der Touristen, die kommen, um sich im ältesten christlichen Staat der Welt die Klöster anzusehen, die überall im Land an den malerischsten Orten stehen: Chor Virap mit Blick auf den Ararat, Sewanawank über dem Sewansee, Norawank am Ende der Amaghu-Schlucht, nahe der Areni-Höhle. Die Gäste reisen von Kreuzstein zu Kreuzstein, zu Vulkankratern - und wollen armenische Speisen mit hausgemachtem Wein probieren.

Oder Cognac. Zwei große Fabriken stehen in Jerewan - Ararat und Noy. Die Brücke, die sie verbindet, nennen die Einheimischen die schwankende. Wobei die Armenier ihren Cognac international als "Brandy" verkaufen müssen - die Franzosen haben das Recht am Namen. Die Führungen bei "Ararat" sind professioneller, die bei "Noy" interessanter, weil man in die Keller der alten Stadtfestung kommt, wo die Fässer lagern und es entsprechend duftet. Önologin Lusine Shakinyan hat gerade eine Runde russischer Militärangehöriger zu Gast in ihrem Kellerbereich. Sie lässt eine Flasche entkorken, der Wein, der hier auch hergestellt wird, ist eingedickt und süß - Jahrgang 1913, Vor-Weltkriegs-Wein.

Die Jungen wandern nach Russland aus

ie Trauben für den Cognac kommen vor allem in der fruchtbaren Ararat-Ebene vor, wo schon Noah nach der Sintflut Wein angebaut - und sich damit solch einen Rausch angetrunken haben soll, dass sich seine Söhne für ihn schämten. Die Trauben, die heute hier wachsen, haben wenig Säure, viel Zuckergehalt. "Unser Cognac schmeckt anders als der französische", erklärt Khachatryan Tigran, Chef-Önologe bei Noy, und zählt die Aromen auf: Schokolade, Vanille, getrocknete Früchte, dunkle Pflaume, Eichenholz. Größter Abnehmer ist Russland. Dreizehn autochthone Rebsorten stünden ihm zur Verfügung, sagt Tigran; die Areni-Traube allerdings tauge für den Cognac nicht, "die ist gut für jungen Wein".

Norik Makerjan serviert zu seinem Wein Auberginen-Röllchen, die mit den hier allgegenwärtigen Walnüssen gefüllt sind, und Salate, in denen Koriander nicht fehlen darf. Natürlich hat seine Frau gekocht, nur Grillen ist hier Männersache. Vorneweg gibt es frische Lavash-Fladen, das dünne Brot aus dem Erdofen, auf das man Kräuter und Käse legt, um es dann zum Wrap zu falten.

Beim Essen erzählt Makerjan von seinem Nachbarn, der nach Russland ausgewandert ist. Russland ist zwar nicht das Traumziel für junge Armenier - aber es ist ein erreichbares. Russland, die Schutzmacht, deren Soldaten bis heute an der geschlossenen Grenze zur Türkei postiert sind, ist großzügig bei Arbeitsgenehmigungen für Fachkräfte. Vor allem die jungen Frauen, die in Armenien oft sehr gut ausgebildet sind, zieht es dorthin. Makerjans Nachbar hat in Sibirien eine Lederfabrik aufgezogen. Jeden Sommer aber kommt er heimwehgeplagt nach Gladzor. "Schön, dass du geblieben bist", hört ihn der Weinbauer dann sagen. Nur: "Das ist ein Problem", sagt Norik Makerjan. Überall verschwinden Weinberge. Sie werden ersetzt durch Aprikosenhaine, Apfel- und Pfirsichbäume. Macht weniger Arbeit. Wer soll sich auch das ganze Jahr um die Reben kümmern, wenn die Jungen auswandern?

Wobei das Auswandern - das erzwungene wie das relativ freiwillige - Teil so gut wie jeder armenischen Familiengeschichte ist. Norik Makerjan holt einen Stammbaum, den er selbst gezeichnet hat; er reicht sieben Generationen zurück. Im 17. Jahrhundert wurden seine Vorfahren aus dem Dorf Gladzor nach Persien verschleppt, das damals von den Safawiden regiert wurde. 1828 holte das zaristische Russland Hunderttausende christliche Armenier zurück ins Reich und siedelte sie, als Puffer, an den Grenzen zu den muslimischen Gebieten an. Viele Verwerfungen um Gebietsansprüche, auch in Aserbaidschan und dem zwischen beiden Ländern umstrittenen Bergkarabach, wurzeln in dieser Zeit.

Nach Iran führt heute eine für armenische Verhältnisse gut ausgebaute Straße. Vor den Orten, auch nahe der Areni-Höhle, verkaufen Frauen an Ständen Wein in Colaflaschen. Den iranischen Zöllnern dürfte bewusst sein, was sich in den Flaschen befindet, aber die meisten Käufer nehmen ja auch nicht nur eine Flasche mit. Es wird schon was für sie abfallen.

Auch in Armenien waren Korruption und Vetternwirtschaft verbreitet - bis zu diesem Frühjahr, bis zu der "Samtenen Revolution", die Ministerpräsident Sersch Sargsjan zur Abdankung zwang. Der neue Premier Nikol Paschinjan, der Hunderttausende auf die Straße brachte, führt das Land nun im Dezember in Neuwahlen. Seit der Revolution habe sich vieles zum Besseren gewendet, sagt Sergey Gabrieljan. Die alten Machthaber, empört er sich, "das war eine Bande, keine Regierung". Gabrieljan betreibt im Dorf Garni eine Gaststätte. Sein Betrieb läuft gut, nebenan steht der viel besuchte, wohl zu Kaiser Neros Zeiten im griechisch-römischen Stil erbaute Tempel von Garni. Gabrieljan erzählt von Drohungen, Schutzgelderpressung. Das alles habe mit dem Machtwechsel schlagartig aufgehört. Jetzt, sagt Gabrieljan, könne er endlich Zimmer anbauen und vermieten. Er schenkt einen klaren Schnaps ein, Aprikosen vom Baum aus seinem Garten. "Die Zukunft", sagt er, "jetzt kann sie kommen."

Reiseinformationen

Reisearrangement: Studiosus hat eine neuntägige Studienreise nach Armenien im Programm. Neben Kultur-Ausflügen sind auch Begegnungen mit einheimischen Familien geplant. Inklusive Flug, Übernachtungen in Vier-Sterne-Hotels mit Frühstück, mehreren Mittag- und Abendessen und Studiosus-Reiseleitung kostet die Reise ab 1695 Euro, www.studiosus.com/4801. Armenienreisen in der Gruppe oder individuell bietet auch Marco Polo an, www.marco-polo-reisen.com

Wein und Cognac: eine Übersicht der Produkte unter www.armenianbrandyandwine.eu;

Führungen: Ararat-Cognac-Werke: https://en.araratbrandy.com, Noy: http://www.brandy.am/eng; Kontakt zu Norik Makerjan: norikmkrtchyan09@gmail.com

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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