Arizona:Ein Herz für Burros

In Arizona haben sich frei laufende Esel so stark vermehrt, dass sie zur Adoption freigegeben werden. Nur sind die Tiere vor allem eines: wild.

Von Pia Volk

Die Route 66 ist dicht. Gerade noch hatte sich der Verkehr gemütlich auf der Straße durch die hügelige Steinwüste Arizonas bewegt, aber jetzt, an der Einfahrt zur alten Goldgräberstadt Oatman, stauen sich die Autos. Auf der Straße stehen zwei Männer mit Cowboyhut und Pistolengürtel. Es gibt Streit. Geht wohl um das Geld, das sie gerade aus der Bank geraubt haben. Dann ein Schuss: Einer der Männer fällt in den Staub, während ein Esel seelenruhig an ihm vorbeitrottet. "Bitte füttern Sie den Esel nicht während unserer Performance", hatte der Bankräuber gerade noch sagen können, bevor er zu Boden ging. Die Esel sollen sich nicht überfressen - sie sind schließlich die eigentliche Attraktion von Oatman.

Früher trugen die Esel Lasten für die Goldgräber. Heute sind sie eine Attraktion für Touristen

Oatman ist eine Geisterstadt, einst Anziehungspunkt für Goldgräber, heute ein Schatten ihrer ruhmvollen Vergangenheit. 1901 trieb die Gold Road Company Schächte in die Westflanken der Black Mountains, dort entstand zunächst ein Camp, das langsam zu einer Stadt heranwuchs. Bis zu den 1930er-Jahren stieg die Bevölkerungszahl auf 10 000. Auf alten Fotos sieht man im grauen Gestein die dunklen Öffnungen, die in den Berg führen. Damals transportierten Esel Wasser und Proviant in die Minen, Geröll und Erze heraus. Als die Goldadern erschöpft waren, wurden die Tiere freigelassen. Hundert Jahre später leben ihre Nachkommen noch immer in Oatman, der Westernstadt. Die hat heute nur noch 128 Einwohner, aber 1,5 Millionen Besucher pro Jahr.

Arizona: Bitte nicht füttern! Jeden Morgen kommt eine Herde Wildesel aus den Bergen in die Geisterstadt Oatman.

Bitte nicht füttern! Jeden Morgen kommt eine Herde Wildesel aus den Bergen in die Geisterstadt Oatman.

(Foto: Pia Volk)

Der Esel trottet vorbei an Shops mit Edelsteinen und Eselplüschtieren, vorbei am Saloon und einem Lederwarenladen bis zu einem alten Planwagen, an dem Popcorn und Eselfutter verkauft werden - eine Art gepresstes Heu. Kekse oder Karotten soll man nicht füttern, beides sei schlecht für die Zähne. Vor dem Wagen steht Brenda Trahan, die Betreiberin. In das Gesicht der 59-Jährigen haben Sonne und Wind Falten gegraben. "Guten Morgen, Duke", sagt sie und krault den Esel zwischen den Ohren. Sie kümmert sich hier um kranke Tiere oder trächtige Stuten. "Andere Menschen haben Kinder oder Hunde. Ich habe die Esel." Jeden Morgen kommt eine kleine Herde aus den umliegenden Hügeln in die Stadt, gegen zehn, wenn die ersten Touristen da sind. Sie lassen sich von den Besuchern füttern, streicheln, fotografieren. Um 17 Uhr verschwinden sie wieder. So wie die Touristen.

Der Esel, er ist so etwas wie das inoffizielle Wappentier von Arizona. Rund die Hälfte der 11 000 Wildesel der USA lebt hier. Das Klima in der steinigen Mojave-Wüste ist jenem in Nordafrika und Vorderasien ähnlich, der Heimat der Ur-Esel. Die Tiere können besser als Pferde über Geröll laufen, und sie kommen mit weniger Wasser aus. Für die Goldsucher waren die Esel deshalb unverzichtbar. Bis heute sind sie für viele Amerikaner, ähnlich wie die Mustangs, Symbole des amerikanischen Pioniergeistes. Als solche stehen sie unter besonderem Schutz: Wildesel dürfen in Amerika nicht getötet werden.

Hinweis der Redaktion

Die Recherchereisen für diese Ausgabe wurden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Nur, was macht man, wenn sie sich zu stark vermehren? In den USA leben heute rund doppelt so viele Wildpferde und Wildesel wie vor 35 Jahren. "Im vergangenen Winter hatten wir hier 36 Esel", sagt Brenda Trahan, "das waren eindeutig zu viele. Die Hengste haben sich getreten und gebissen." In der kargen Landschaft konkurrieren die Tiere zudem mit Dickhornschafen und den Rindern der Farmer um Futter. 25 Esel wurden schließlich freigegeben zur "Adoption" - so nennt man das hier, wenn die Tiere vom Staat als ihrem Besitzer eingefangen und in private Hände gegeben werden. Bei den Eseln von Oatman ging das schnell. "Unsere Esel sind Berühmtheiten", sagt Brenda, "ich habe mittlerweile eine Warteliste."

Aber die Esel von Oatman sind eine Ausnahme. Denn einen Esel zu halten, erfordert nicht nur Platz, sondern auch Geduld. Die meisten Tiere sind nicht so handzahm wie die aus Oatman. Die Burros, wie sie die verwilderten Esel hier nennen, sind eben genau das: wild. Man muss sie frei auf der eigenen Farm herumstreifen lassen - oder an den Menschen gewöhnen. Der Erwerb der Esel ist deshalb an eine Probezeit gebunden: Ein Jahr lang testet der neue Eigentümer, ob der Esel und er miteinander zurechtkommen. In der Zeit kontrolliert ein Tierarzt oder Mitarbeiter des zuständigen Bureau of Land Management (BLM), ob der Esel nicht beim Schlachter gelandet ist oder im Stall vor sich hin vegetiert.

Arizona: SZ-Karte

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Je nachdem, wie trocken der Sommer war, werden jährlich einige Dutzend bis weit über hundert Pferde und Esel eingefangen. Alle Tiere werden zu sogenannten Holding Facilities gebracht, große Koppeln und Gebäude, in denen man sie versorgt und an Menschen gewöhnt - bis sich jemand findet, der die Tiere zu sich nimmt. Allerdings würden viel zu wenige Tiere adoptiert, sagt Dolores Garcia, Sprecherin des BLM. 2014 wurden 20 adoptiert, aber 93 gefangen. Seit Jahren schon sinkt die Zahl der Esel, die einen neuen Besitzer finden. Die Tiere, die nicht vermittelt werden können, verbringen den Rest ihres Lebens in einer Holding Facility - wenn sie Glück haben. Tierschützer vermuten, dass einige dann doch beim Schlachter enden.

Nancy Kohl will einfach nur Gutes tun. Die 60-Jährige mit den fliederfarbenen Fingernägeln ist die moderne Version eines Cowgirls. Sie lebt eine Stunde außerhalb von Phoenix, in einem Haus mit akkurat geschnittenem Rasen. Davor, auf einer Koppel, stehen zwei Pinto-Pferde, Mustangs wie aus dem Bilderbuch. Nun wartet sie auf den Bescheid, bald auch Esel aufnehmen zu dürfen. Sie hat einen Stall und genug Auslauf - gute Aussichten.

Allerdings gibt es auch Esel in ihrer Nähe. Ihr Haus liegt knapp zwölf Kilometer vom Lake Pleasant entfernt. Der ist ein beliebtes Ausflugsziel, nicht nur wegen des kühlen Wassers, sondern auch, weil hier Esel herumstreunen, sich streicheln und füttern lassen. "Manchmal kommen einige von ihnen bis an mein Haus", sagt Nancy Kohl und steigt auf ihr Quad. Hinter ihrem Haus beginnt die Leere: eine Kieswüste. Meterhohe Saguaro-Kakteen stehen hier, ihre Arme von sich gestreckt. Nancy stellt den Motor aus. In der Ferne hört man einen durchdringenden Schrei. Sehen kann man den Esel nicht, das Fell der Tiere ist ja so grau wie die Berge um sie herum. Stehen sie still, verschmelzen sie mit dem Hintergrund. Nancy zeigt auf Löcher in einem Kaktus. "Von Schrotflinten", sagt sie, "das hier ist immer noch der Wilde Westen."

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