Architektur in England:Wer sagt, dass Ferienhäuser langweilig sind?

Lesezeit: 4 Min.

Die Unterkünfte, die Alain de Botton in England von bekannten Architekten errichten lässt, sollen glücklich machen. Beim Bau kosten sie erst einmal Nerven - schließlich sind hier Genies am Werk.

Von Evelyn Pschak

Ein Ferienhaus zu bauen, das vielen gefällt, ist eine schwierige Aufgabe. Ein das Leben verbesserndes Ferienhaus zu bauen, und das noch dazu mit bekannten Architekten, tja, wie könnte man diese Herausforderung umschreiben? Vermutlich treffen die Worte Alain de Bottons es ganz gut: "Es ist Qual und Freude zugleich."

Der 47-jährige Alain de Botton ist der kreative Kopf der 2010 ins Leben gerufenen britischen Stiftung Living Architecture, die in Großbritannien bereits sieben Ferienhäuser mit solchen "Starchitects" wie John Pawson oder David Kohn realisieren konnte. Das achte, geplant vom Pritzker-Preisträger Peter Zumthor, hätte im Dezember im Südwesten des Landes eröffnet werden sollen. Inzwischen gehen die Verantwortlichen allerdings von einer Einweihung 2018 aus. Wie sagte de Botton: "Es ist eine Freude, so zu arbeiten, weil diese Menschen oft kreative Genies sind. Und eine Qual, weil wir diese Genies an schrecklich langweilige Dinge erinnern müssen wie den Kostenplan oder Stauraum für die T-Shirts unserer Kunden."

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(Foto: Living Architecture)

Wie das Haus, so das Leben: The Balancing Barn - die Balancierende Scheune - wurde vom niederländischen Architekturbüro MVRDV entworfen und steht in Suffolk.

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(Foto: Living Architecture)

Das bauliche Konzept ist offensichtlich: Ein langer Gang, von dem aus man in die vier Schlafzimmer gelangt. Anfang und Ende bilden Wohnküche und Wohnzimmer.

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(Foto: Living Architecture)

The Balancing Barn steht am Ende einer Kirschapfelallee an einem Weiher in einem Naturschutzgebiet und wirkt von vorn betrachtet eher wie der Anhang eines Hofes.

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(Foto: Living Architecture)

Seit Dezember 2010 kann auch The Dune House in Suffolk gemietet werden.

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(Foto: Living Architecture)

Entworfen wurde der asymmetrische Bau von der norwegischen Architekturfirma Jarmund/Vigsnæs.

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(Foto: Charles Hosea)

The Shingle House steht an einem der längsten Kiesstrände der Welt auf der Landspitze Dungeness in Kent.

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(Foto: Charles Hosea)

Das Design stammt vom schottischen Architekturbüro NORD.

Den Schweizer Philosophen de Botton, der seinen Lebensmittelpunkt in London hat, kennt man in Deutschland vor allem als Begründer der School of Life, einer Schule des guten Lebens. Nun, da der Schriftsteller auch Bauherr ist, will er die Feriengäste in gutem architektonischen Geschmack unterweisen. Was für de Botton vor allem bedeutet: keine Cottages, keine Fachwerkhäuser, keine nostalgischen Niedlichkeiten. In den Ferienhäusern von Living Architecture in Kent, Suffolk oder Wales gilt: Sie haben offene Sichtachsen, keine verschachtelten Grundrisse. Es gibt Glasfronten, die bis zum Boden reichen, keine Efeu-umwachsenen Sprossenfenster.

Und wo sich andernorts der Putz vergangener Jahrhunderte über das Mauerwerk legt, wird hier auf klare Erkennbarkeit von Struktur und Materialien Wert gelegt. Wobei der Philosoph eine Verklärung der Vergangenheit, die sich auch am Bau ausdrückt, schon nachvollziehen kann: "Natürlich fürchten wir uns vor dem Morgen, denn es kann sein, dass wir morgen sterben. Die Vergangenheit ist hingegen sicher: Das ist die Zeit, in der wir entweder noch nicht geboren waren oder nicht starben."

Die Häuser sollen Toleranz und Offenheit symbolisieren - schwierig in diesen Zeiten

Living Architecture soll nun sentimental unterfütterte Wohngewohnheiten aufbrechen. Schon 2008 untertitelte Alain de Botton in seinem Architektur-Glücksratgeber die Fotografie eines offen arrangierten Wohnraums mit weiten Fluchten: "Ein ausbalanciertes Gebäude als Versprechen auf ein ausbalanciertes Leben".

Umgesetzt hat de Botton dies 2010 mit der Balancing Barn, der "Balancierenden Scheune". Der lang gestreckte Bau, entworfen von dem niederländischen Architekturbüro MVRDV, steht am Ende einer Kirschapfelallee an einem Weiher in einem Naturschutzgebiet in Suffolk. Von vorn betrachtet wirkt das geduckte Gebäude tatsächlich so unaufgeregt und einfach wie der Anhang eines Hofes. Doch wer versucht, die "Scheune" zu umrunden, wird scheitern: Sie ist nur zur einen Hälfte im Boden verankert. Die andere Hälfte ragt in die Luft.

Man betritt das Haus durch eine von silbernen Schindeln eingefasste Glastür und erfasst sofort das bauliche Konzept: ein langer Gang, von dem aus man in die vier Schlafzimmer gelangt. Am Eingang liegt die große Wohnküche, am Ende, schwebend über dem Grund, der Aufenthaltsbereich. Die Außenwand ist durchbrochen von so vielen gläsernen Schiebetüren, dass das Licht sämtliche Räume durchflutet. Auf dem Küchentisch liegt ein Handbuch, das so beginnt: "Ein gutes modernes Haus kann dein Leben verbessern."

Im Wohnzimmer sitzt es sich geschützt und exponiert zugleich. Man ist erstaunt, den Flügelschlag vorbeiziehender Möwen nicht zu vernehmen - die Glaswand ist schon vergessen. Die Vögel kommen von der Nordsee, die nur ein paar Meilen hinter dem Marschland liegt. Sie fliegen über tausendjährige Pfarrkirchen und reglose Kühe hinweg, über Bilderbuchorte der englischen Ostküste wie Southwold und Walberswick mit Leuchttürmen und auf hölzernen Stelzen liegenden Piers. Das Wohnzimmer hat einen Kamin. Licht steigt von unten und fällt von oben durch die Glaspaneele in Boden und Dachgiebel.

SZ-Karte (Foto: SZ-Karte)

Innen ist das Haus komplett mit Holz verkleidet, was der Leichtigkeit der Außenhülle Erdung und Schwere entgegensetzt. Springt man an dem Ende des Hauses, das über den Vorsprung in die Luft ragt, auf und ab, schwingt die Scheune leicht mit. Nur: So geschmackvoll gestaltet diese Wohnwelt auch sein mag, sie wirkt doch so lebensecht wie der Stand einer Möbelmesse.

Und so macht man es sich etwas hölzern bequem, wenn man denn mal entschieden hat, wo: auf dem groben Strick der Poufs der Utrechter Designerin Christien Meindertsma. Oder doch lieber unter dem weichen Licht der Filzstehlampe von Tom Dixon auf dem grauen Zweisitzer von James Harrison. Oder auf dem Elefantenstuhl der Industriedesignerin Ineke Hans daneben. Oder gleich auf einem Klassiker, dem 637 Utrecht Sessel von Gerrit Rietveld, der in der Lehne ein kleines Ablagebrett mitliefert, auf dem sich trefflich ein Whiskyglas abstellen lässt.

Im Regalsystem finden sich neben Reisetipps zu Suffolk und Abhandlungen zur Architekturgeschichte auch Alain de Bottons gesammelte Werke. Ansonsten: viel Glas, viel Aus- und Einsicht, viel Öffnung. "Wir bauen Häuser, die von Toleranz sprechen, von Offenheit, Wärme und Obhut", sagt de Botton. "Wir hoffen, dass diese Codes unserer Gebäude auch weiterhin im politischen Raum gespiegelt werden."

Wird es für ihn schwieriger, nach dem Brexit international renommierte Architekten und Designer für solche Projekte zu gewinnen? "Wir sind zuversichtlich, dass Vernunft und gesunder Menschenverstand überwiegen und die Nationen Europas weiterhin in Harmonie leben", sagt de Botton. "Wir haben sehr verständnisvolle deutsche Fensterbauer, die uns nicht für die Verrücktheiten unserer Politiker bestrafen werden."

So zuversichtlich sind nicht alle Kreativen im Land. Größen aus dem Architektur- und Designbereich wie Terence Conran, Tom Dixon oder David Adjaye und auch John Pawson, der für Living Architecture ein Ferienhaus in Wales entworfen hat, hatten vergangenen Sommer ein "Brexit Design Manifesto" veröffentlicht. Die Unterzeichner befürchten, dass der Brexit ihre Kreativität hemmt und sie nicht mehr konkurrenzfähig sein werden.

"Design hat von der Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU profitiert. Der Kontinent ist der wichtigste Exportmarkt für Designdienste und der größte Talentpool für Mitarbeiter", heißt es in der Schrift. Es geht hier wohl um nicht weniger als das Selbstverständnis einer ganzen Branche. Und welches Gebäude wäre besser geeignet als die Balancing Barn, seine Bewohner anzuleiten, den kippeligen Situationen des Lebens standfest zu begegnen.

© SZ vom 30.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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