Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben: Der berühmte Satz von Michail Gorbatschow könnte auch von einem peruanischen Archäologen stammen. Denn im Norden Perus kommen die Archäologen fast immer zu spät: Grabräuber, sogenannte Huaqueros, sind meist schneller als die Wissenschaftler, wenn es gilt, eine neu entdeckte archäologische Fundstätte zu sichern und zu erforschen. Für Touristen lohnt sich ein Besuch der zahlreichen Stätten aber dennoch.
Im Norden von Peru:Archäologische Sensationen
Im Norden des Andenstaats finden interessierte Besucher faszinierende Zeugnisse von Kulturen, die lange vor den Inka das Land beherrschten.
Nord-Peru ist reich an Bodenschätzen der besonderen Art: 1000 Jahre alter Goldschmuck, vergrabene Mumien, kostbare Grabbeigaben aus Keramik und Edelmetall. Es sind Hinterlassenschaften der Hochkulturen der Moche, Chimu und Lambayeque, die lange vor den Inka hier riesige Stufenpyramiden und Stadtanlagen schufen.
Das fordert nicht nur die Archäologen heraus, sondern lockt auch allerlei Abenteurer und vor allem die Grabräuber an. Indiana Jones hätte in der Gegend zwischen den Städten Trujillo, Chiclayo und Chachapoyas seine helle Freude.
"Die Archäologen buddeln auf den Spuren der Grabräuber, legen dann etwas frei und begnügen sich mit den Resten", sagt Claudia Riess. Die Deutsche lebt seit zehn Jahren in Trujillo und hat sich einen Namen als archäologische Fremdenführerin und Übersetzerin gemacht.
Doch im Jahr 2006 hatte der Archäologe Regulo Franco die Nase vorn: In der gewaltigen Lehmpyramide El Brujo, die 70 Kilometer nördlich von Trujillo liegt, entdeckte er die in 20 Lagen Baumwollstoff eingehüllte, mit Schlangen und Spinnen tätowierte Mumie der Fürstin von Cao. Es war die zweite archäologische Sensation in Südamerika, nachdem in einem Nachbartal im Jahr 1986 bereits der Herrscher von Sipán in einem Wettlauf mit den Huaqueros geborgen werden konnte.
"Die Fürstin von Cao ist sehr jung gestorben. Wir nehmen an, kurz nach der Geburt eines Kindes", sagt Denis Vargas. Er gehört zu den Archäologen, die im Pyramidenkomplex El Brujo graben und immer neue prachtvolle Fresken freilegen. "Wir konnten hier die Grabräuberei stoppen, weil wir die örtliche Bevölkerung eingebunden haben."
Der Archäologe kennt "seine" Huaqueros aus den umliegenden Dörfern, denn inzwischen arbeiten die früheren Grabräuber als Helfer und Techniker für die Wissenschaftler und haben sich mit Hinweisen auf verborgene Wandmalereien in der Anlage einen Arbeitsplatz geschaffen.
Machu Picchu in Peru:Die "Gralsburg" der Inka
Machu Picchu gilt als Perus Touristenmagnet Nummer eins. Aus Sorge um das Weltkulturerbe fordert die Unesco, dass der Zugang beschränkt wird.
Warum ist das Grab eine Sensation? Vor allem, weil die Mumie eine Frau war. Eine Frau als Fürstin der Moche, eines altperuanischen Kriegervolkes: Für Historiker war das eine überraschende Erkenntnis, denn bis dato waren sie nur von männlichen Herrschern ausgegangen.
Pyramiden in Peru:Das zweite Machu Picchu
Im Norden Perus stießen Archäologen auf versunkene Städte und Pyramiden, deren Reliefs von Kriegern und Fabelwesen erzählen.
Für Regulo Franco ist die Fürstin von Cao deshalb auch "die Kleopatra Südamerikas". Sie starb vor etwa 1700 Jahren. Nun beginnt sie ein neues Leben als Touristenattraktion. Ende April 2009 eröffnete neben der Stufenpyramide von El Brujo das modern gestaltete und schwer bewachte Cao Museum, in dem neben der Mumie auch viele der gefundenen Goldketten, Keramiken und Schmuckstücke zu sehen sind.
Kämpferisch, kunstsinnig, ingenieurwissenschaftlich
Für einige Archäologen sind die Moche so etwas wie die antiken Griechen Südamerikas: kämpferisch, aber auch kunstsinnig und ingenieurwissenschaftlich begabt. Dank der vielen Keramiken, Reliefs und Fresken, die Alltagsszenen und Gottheiten zeigen, ließ sich die Moche-Kultur, die von etwa 100 vor bis 700 Jahre nach Christus reichte, gut entschlüsseln.
Wie bei anderen Kulturen Südamerikas spielten auch hier Menschenopfer eine große Rolle: Um üppige Ernten in den Tälern des sonst knochentrockenen Küstenstrichs zu erflehen, wurden schon mal Dutzende Krieger erwürgt und von Felskanten gestoßen - für die Auserwählten eine Ehre. Um ihnen die Angst zu nehmen, wurden den Opfern Kokablätter und Essenzen aus dem St.-Pedro-Kaktus verabreicht, der eine starke halluzinogene Wirkung hat.
Bei der "Mondpyramide" Huaca de la Luna, die etwa drei Kilometer südöstlich des Kolonialstädtchens Trujillo liegt, buddeln die Archäologen noch immer Skelette aus dem braun-grauen Sand. Die "Mondpyramide" entwickelt sich ebenfalls zum wichtigen Touristenziel, da hier immer mehr Fresken und Reliefs freigelegt werden, die Teile der Moche-Religion waren.
Der Schlangengott Aiapaec zum Beispiel zeigt im Halbdunkel auf meterhohen Wandbildern sein aufgerissenes Maul, und den wenigen Touristen laufen Schauer über den Rücken, wenn sie von den Blutopfern hören, die diesen Obergott milde stimmen sollten. Die Fresken leuchten in Gold-, Ocker-, Schwarz- und Weißtönen und sind so gut erhalten wie nirgendwo sonst auf dem Kontinent.
El Niño schadet den Pyramiden
Gegenüber der "Mondpyramide" erhebt sich die "Sonnenpyramide", mit 41 Metern die höchste in Südamerika. Die Stufenpyramiden wurden einst aus handgefertigten Lehmziegeln erbaut - und sehen heute aus wie riesige Lehmhaufen, von Erosionsrinnen zerfurcht und zerfressen.
Schuld daran ist neben dem schmirgelnden Wüstenwind auch die Klima-Anomalie El Niño, die mit sintflutartigen Unwettern alle paar Jahre die ansonsten dürre peruanische Nordküste unter Wasser setzt.
Das schadet auch der uralten Festungsstadt Chan Chan, in der im 13. und 14. Jahrhundert bis zu 100.000 Menschen vom Volk der Chimu lebten, bevor sie von den Inka erobert wurde. Die Inka hatten der Stadt mit den unüberwindbar hohen Mauern das Wasser abgedreht, das über ein ausgeklügeltes Kanalsystem herangeführt wurde.
Chan Chan erstreckte sich über zwei Dutzend Quadratkilometer und war seinerzeit wohl die größte präkolumbische Stadtanlage Amerikas und zugleich die größte Lehmziegelstadt der Welt. Heute sehen weite Teile der Ruinen aus wie eine Mondlandschaft, auf die eine gnadenlose Sonne brennt.
Ausgangspunkt für den Besuch der Ausgrabungsstätten sind die Städte Trujillo und Chiclayo. Rund um Chiclayo ragen so viele Lehmziegel-Pyramiden aus dem Sand wie nirgendwo sonst auf der Welt.
In der benachbarten Kleinstadt Lambayeque wurde mit dem Museo Tumbas Reales de Sipán ein Vorzeigeobjekt geschaffen, das jetzt mehr und mehr Touristen in den Norden Perus lockt, denn hier sind die Originalfunde aus dem Grab des Herrschers von Sipán ausgestellt.
Spielcasinos neben Schmuckstücken im Kolonialstil
Die alte Stadt Trujillo ist im Gegensatz zu Chiclayo ein städtebauliches Schmuckstück. Merkwürdigerweise hat Trujillo neben den prächtigen Kolonialbauten rund um die Plaza de Armas aber nicht nur schöne Hotels und Restaurants zu bieten, sondern auch 25 Spielcasinos, vollgestopft mit blinkenden einarmigen Banditen.
Echte Banditen trieben sich in den abgelegenen Andengebieten Perus einst auch herum, doch das ist seit einiger Zeit vorbei. Angstschweiß tritt trotzdem auf - weil viele der Straßen haarscharf und ohne Leitplanken an tiefen Schluchten und Steilwänden entlangführen.
Trotzdem lohnt sich die zehnstündige Busfahrt von Trujillo über den Percuya-Andenpass nach Chachapoyas, der "Stadt der Wolkenkrieger". Je weiter es dabei nach Osten geht, desto grüner wird die - immer vom Amazonas-Quellfluss Rio Marañon begleitete - Gebirgslandschaft.
Nur wenige Touristen verirren sich in diese Gegend, die von den Peruanern "Augenbraue des Amazonas" genannt wird. Dabei verbirgt sich 70 Kilometer von Chachapoyas entfernt an der Ostflanke der Anden eine der spektakulärsten und doch weitgehend unbekannten archäologischen Stätten Südamerikas: die altperuanische Festungsstadt Kuélap, die keinen Vergleich mit der Inkafestung Machu Picchu zu scheuen braucht, aber wegen der schwer zugänglichen Lage bislang wenig besucht wird.
Kuélap ist älter und größer als Machu Picchu. Die Anlage macht einen atemlos - nicht nur, weil sie so spektakulär ist, sondern auch, weil sie auf einer 3100 Meter hohen Bergkuppe über dem Utcubamba-Tal thront und die Besucher vom Parkplatz 30 Minuten zu Fuß durch die dünne Luft hinauf müssen. Kuélap wurde weit vor der Inka-Zeit vom Volk der Chachapoya geschaffen, das Talent für die Landwirtschaft besaß und in den Tälern Mais, Bohnen, Linsen und Kartoffeln anbaute.
Allein in der Festungsstadt
Wolkenfetzen und Nebelschwaden ziehen über die Stadtruine, die 600 Meter lang und 120 Meter breit ist - eingefasst von einer 20 Meter hohen Außenmauer aus polierten Kalk- und Sandsteinen. Nur drei extrem schmale und gut zu verteidigende tunnelartige Eingänge führen ins Innere. 450 Ruinen von Rundhäusern sind in der Stadt zu finden, die auf zwei Ebenen erbaut wurde. Darunter sind Wohnstätten, öffentliche Gebäude und religiöse Plätze. Den Inka-Kriegern gelang es erst um 1475, die Anlage einzunehmen und das Volk der Chachapoya zu unterwerfen.
Heute haben Urwaldbäume, Wurzeln und Bromelien Teile der Anlage erobert, was ihren mystischen Eindruck noch verstärkt. Während sich in Machu Picchu und Cusco die Touristen auf die Füße treten, ist man als Besucher in Kuélap allein unterwegs.
Das könnte sich in der Zukunft allerdings ändern. Denn die Regionalverwaltung möchte die geheimnisvolle Stadt besser für den Tourismus erschließen und hat begonnen, die Straße von der Küste nach Chachapoyas auszubauen. Es wird sogar überlegt, die Reisenden eines Tages mit einer Seilbahn auf die Festungsstadt Kuélap hinaufzuschaffen.