Apartmentvermittlung in Wien:Bei Romy im Wohnzimmer

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Nicht Wien ist das Klischee, sondern der Gast: Die fiktive Kunsthistorikerin liebt das Alte, kombiniert mit dem Modernen. So wie viele ihrer realen Untermieter.

(Foto: Alexander Haiden/Chez Cliché)

In Wien können Besucher jetzt bei virtuellen Gastgebern wohnen - Kunsthistorikerin Romy oder Stewardess Bella. Ihre Apartments sind jedoch ganz real. Was wäre Wien ohne seinen Schmäh?

Von Evelyn Pschak

Romy ist vermutlich bezaubernd. Ein wenig konfus womöglich und bebrillt, vom Lesen all dieser Werkverzeichnisse. Ihr Kleidungsstil dürfte zwischen unorthodox und konservativ wechseln, selbstverständlich immer mit einer französischen Note. Eben eine Kunsthistorikerin, wie sie im Buche steht. Ihre Altbau-Wohnung nahe der Wiener Votivkirche ist mit sorgsam aufbereiteten antiquarischen Fundstücken eingerichtet. Der Umschwung von der Möglichkeitsform zum Indikativ ist gewollt und schnell erklärt: Das Apartment ist echt, Romy aber ist frei erfunden.

Sie ist das Gedankenkonstrukt von Chez Cliché, einer Agentur, die seit Anfang 2013 in Wien acht Apartments vermietet, verteilt auf die inneren Bezirke der Stadt, allesamt bewohnt von fiktiven Gastgebern wie Bella, der kosmopolitischen Flugbegleiterin oder Koloman, dem Theaterliebhaber. Derlei unterfüttert mit Personalien soll es dem Herbergssuchenden in Wien leichter fallen, zu genau jener Wohnung zu finden, die ihm selbst am ehesten entspricht. Dazu erhalten Gäste außerdem Tipps zur Erkundung der Stadt, wie sie die jeweiligen Gastgeber Gleichgesinnten geben würden.

Romy, die frankophile Kunstexpertin, rät, das Kleine Café am Franziskanerplatz zu besuchen, die Galerien der Schleifmühlgasse und die Antiquare der Rathausstraße im 1. Bezirk. Also genau das, was man als Kunsthistorikerin sehen sollte. Und unter der Trias von Sachertorte, Fiaker und Wienerlied kommt dem Reisenden bei Chez Cliché der erhellende Gedanke: Nicht Wien ist das Klischee, sondern man selbst.

Nistet sich der Kunstsinnige bei seiner fremden Freundin Romy ein, übernimmt er nicht nur ihr Apartment, sondern auch ihre Gewohnheiten; er studiert ihre reiche Sammlung an Glasnegativen aus den 1920er Jahren, die blonde Kinder in Matrosenanzügen zeigt oder Frauen, die in jeder Lebenslage Hüte tragen. Wie vermutlich schon die anderen Übernachtungsgäste zuvor, steht der Besucher alsbald am Orangerie-Fenster des Wohnzimmers, löst vorsichtig Glas für Glas aus den grauen Agfa-Päckchen und betrachtet die Schattenwürfe längst vergangener Urlaubstage.

Fremder Freund in der Stadt

Manche der Pappkästen sind beschriftet und benennen den Aufenthaltsort: Ins venezianisch anmutende Piran an die slowenische Riviera hatte es die junge Familie des Fotografen im August 1927 verschlagen - ein Bootsausflug in der Adria, die Mutter im knielangen Badeanzug bewacht ihre Kinder im schaukelnden Nachen.

Man schaut und liest sich ein in fremde Leben. Nicht nur in Romys. Es ist fast, als gehöre einem Wien ein bisschen und als gehöre man hierher, wenn man nach Mitternacht im Dunkel des Zwischenhofs nach dem richtigen Schlüssel sucht, die Tür zur knarzenden Stiege aufstößt, die Gummibäume passiert und beim Drehen des Lichtschalters ein junges Liebespaar verschreckt, das sich in der Enge des Bogengangs sicher gewähnt hatte. Vielleicht gelingt das Einschlafen nicht sofort, und so sitzt man kurz darauf auf dem Nadelstreifensofa des Art-Déco-Designers Jindrich Halabala, befreit Romys Mozartkugeln aus rotem Stanniol und versucht, sich an das repetitive Knacken des Boilers im Badezimmer zu gewöhnen.

"Wir entwerfen für jeden Gast einen individuellen Plan, und zwar ohne copy and paste", erläutert Gerald Tomez die Idee vom "fremden Freund in der Stadt". Tomez, der nach dem Schulabbruch zunächst als Aktienhändler, Modedesigner, in der Softwareentwicklung und schließlich als Musikproduzent sein Geld verdiente, steht mit seinem Lebenslauf exemplarisch für die Biografien-Vielfalt bei Chez Cliché: "Wir kennen die Szene in Wien. Unser großes Netzwerk war einer der Gründe, warum wir das Projekt überhaupt anstießen: Wir haben für jeden den Schlüssel zur Stadt", sagt der 38-Jährige.

Auch über den Internet-Marktplatz für Privatunterkünfte Airbnb kann man Romy und ihre klischierten Kollegen kontaktieren. Allerdings lasse sich die Illusion dann doch nicht den kompletten Aufenthalt über durchhalten, wie Tomez zugibt: "Auf unserer Internetseite machen wir kein Geheimnis daraus, dass man bei fiktiven Freunden lebt." Bei einem Gast allerdings sei die Kommunikation fehlgeschlagen. "Der wollte bis zum letzten Tag unbedingt die Stewardess Bella kennenlernen", erzählt Tomez. Nun, vermutlich ist Bella auch bezaubernd. Und überhaupt, was wäre Wien ohne ein bisschen Schmäh.

Informationen: Die verschieden großen Apartments sind verteilt auf die Stadt. Die Wohnung "Romy", Schwarzspanierstraße 15, 1090 Wien, ist für bis zu 3 Personen geeignet und kostet ab 189 Euro pro Nacht, Mindestaufenthalt zwei Nächte, www.chezcliche.com

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